»In meinen Augen ist Krieg keine Lösung, sondern ein Versagen«

Der US-amerikanische Künstler und Illustrator Brian Stauffer kommentiert mit seinen Collagen das politische Weltgeschehen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung zeigt erstmals seine Arbeiten in Deutschland

  • Albert Scharenberg
  • Lesedauer: 6 Min.
Brian Stauffer, 1966 in Arizona geboren, ist seit Mitte der 90er Jahre als Künstler und Illustrator für seine oftmals satirischen Titelbilder bekannt.
Brian Stauffer, 1966 in Arizona geboren, ist seit Mitte der 90er Jahre als Künstler und Illustrator für seine oftmals satirischen Titelbilder bekannt.

Herr Stauffer, wie entscheiden Sie, welche Themen und Inhalte Sie in Ihren Illustrationen behandeln?

Meine Eltern nahmen meine Schwester und mich schon als kleine Kinder zu den verschiedenen ehrenamtlichen Projekten mit, in denen sie tätig waren. Dadurch habe ich wohl eine Wertschätzung für Menschen entwickelt, die den Blick nicht vom Leid anderer abwenden. Ich erinnere mich, dass mich als jungen Grafikdesigner Projekte zu gesellschaftlichen Problemen wesentlich mehr interessierten als kommerziellere Aufträge. Im Laufe der Zeit machten diese Arbeiten zu sozialen Themen, mit denen ich mich präsentierte, den Hauptteil meines Schaffens aus. Die Arbeiten, die Illustrator*innen von sich zeigen, führen in der Regel dazu, dass ihnen ähnliche Aufträge angeboten werden.
Spaß und Verantwortung

Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann

Gibt es Themen, zu denen Sie sich besonders hingezogen fühlen – und wenn ja, welche und warum?

Ich liebe das Potenzial von Bildern, den Mächtigen die Wahrheit zu sagen. Es ist sehr befriedigend, korrupte und unmenschliche Handlungen oder Maßnahmen in der Politik in einem Bild offenzulegen. Mich reizt es, Machtmissbrauch, Rassismus und Intoleranz zu ergründen.

Ihre Arbeiten sind sehr stark politisch aufgeladen. Liegt darin auch das Risiko, Teile Ihres Publikums zu verprellen?

Mein einziges Anliegen ist es, wahrheitsgetreu zu sein. In der derzeitigen politischen Landschaft herrscht kein Mangel an Menschen, die nicht meiner Meinung sind. Wenn beispielsweise über einen Priester berichtet wird, dem der Missbrauch vieler Kinder nachgewiesen wurde, werde ich mich bemühen, ein einfühlsames Bild zu schaffen, das die Assoziation von Unschuld und Leid vermittelt, die in solchen Meldungen stecken. Mein Bild wäre aber keine Verurteilung sämtlicher Religionen oder Religionsführer. Es würde das Versagen einer Institution behandeln, sich aber nicht visueller Übertreibungen oder übermäßiger Vereinfachungen bedienen. Übertreibungen und Sensationsgier sind für mich das Schlimmste. Als Donald Trump den US-Amerikaner*innen sagte, Covid-19 würde einfach »verschwinden« und alles sei »unter Kontrolle«, war ich so wütend über ein solches Maß an Unverantwortlichkeit. Aus dieser Wut entstand das Bild »Under Control«, das auf dem Titel des »New Yorker« erschien. Es bedeutete mir viel, dass es nicht in Trumps Macht stand, dieses Bild dem Blick der Öffentlichkeit zu entziehen. Er konnte lügen und es verurteilen, aber er konnte nicht verhindern, dass ihn dieses Bild als lächerlich und korrupt entlarvte.

Ich liebe die subversive Macht von Kunst - dass ein x-beliebiges schüchternes Kind, das in einer winzigen Stadt in Arizona aufgewachsen ist, einer der mächtigsten Personen der Welt eine direkte Botschaft übermitteln kann.

Im Augenblick arbeiten Sie viel zum russischen Krieg in der Ukraine. Vor einigen Tagen gestalteten Sie das Putin-Titelbild des »Spiegel«. Ist es das erste Mal, dass Ihre Arbeiten in großen deutschen Medien publiziert werden?

Nein, ich habe schon einige Titelseiten für den »Spiegel« gestaltet. Eine behandelte den Niedergang der katholischen Kirche in Deutschland, eine andere den Aufstand der Jugend gegen alte Machtstrukturen. Auch für »Die Zeit« habe ich einige Beiträge zu Themen der US-Präsidentschaftswahl gemacht. Es ist eine besondere Ehre für mich, während dieser Katastrophe in der Ukraine einen Beitrag zur Debatte leisten zu können.

Hat der Krieg etwas Besonderes an sich, das Ihre Aufmerksamkeit fesselt?

Meine Frau und ich wohnten nur anderthalb Blocks vom World Trade Center entfernt, als die Türme angegriffen wurden. Wir standen auf dem Dach unseres Hauses und versicherten unseren Familien am Telefon, dass es uns gut gehe, als gerade das zweite Flugzeug in den Südturm flog. Meine Frau war mit unserem ersten Kind im siebten Monat schwanger. Ich kann mich noch genau an meine Gedanken erinnern, während wir auf einem kleinen Boot in ein sicheres Gebiet evakuiert wurden. Ich hoffte, unser Land würde keine gewaltsame Vergeltung üben.

Ich bin gegen Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung, aber mein Anliegen in solchen Kriegssituationen sind immer die unschuldigen Zivilist*innen, die unweigerlich den höchsten Preis zahlen. In meinen Augen ist Krieg keine Lösung, sondern ein Versagen.

Welche Künstler*innen haben Ihren Stil beeinflusst?

Es gibt zwei Künstler, die mich direkt beeinflusst haben, wenn auch aus sehr unterschiedlichen Gründen. Der eine ist John Heartfield mit seiner Fähigkeit, in überraschenden Fotomontagen eine ehrlichere Wahrheit über die Mächtigen und die Elite zu enthüllen. Der andere ist Alexander Calder. Sein Beharren darauf, sich nicht von den vielen Ismen definieren zu lassen, die in Bezug auf seine frühen Arbeiten entstanden, ruft mir in Erinnerung, dass meine Arbeit zu jeder Zeit alles sein kann. Außerdem war er davon überzeugt, dass wir Menschen auf der Erde sind, um jeden Tag an etwas zu arbeiten, und dass man sich auch Zeit nehmen soll, um zusammen mit Freunden das Leben zu feiern.

Wie sieht Ihr künstlerischer Prozess aus?

Ich setze auf die Kraft der Idee und die Bereitschaft, »alles« zu verwenden, um eine Idee zu transportieren. Meine Arbeiten beginnen als traditionelle Bleistiftzeichnungen, werden dann aber digital zu Collagen verarbeitet. Die Objekte in meinen Bildern bestehen normalerweise aus eingescannten, unkenntlichen Stücken abstrakter Texturen. Ich kombiniere Bilder aus allen möglichen Quellen, von alten Zeitschriften bis zum gescannten Fell meines Hundes.

War es für Sie als politischer Künstler in den Vereinigten Staaten schwierig, Trumps Präsidentschaft in Ihrer Kunst darzustellen?

Ja! Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich es mit einem Gegenstand zu tun, der keine Scham kannte. In den USA führte das schnell dazu, dass sich jede und jeder eindeutig auf eine Seite schlug, und beide Seiten überzogen sich gegenseitig mit immer weiter eskalierenden Beleidigungen und Diffamierungen und beweinten dabei den Niedergang des »wahren« Amerika.

Nach sechs Monaten war ich, wie viele meiner Kolleg*innen, erschöpft und ziemlich deprimiert. Wenn jemand eine nachweisliche Lüge als Wahrheit darstellt, was ist dann noch von einer Metapher zu erhoffen? Als ich sah, wie die Bilder zu immer krasseren Übertreibungen tendierten, wurde mir deutlich bewusst, dass ich nichts zu der Bildsprache dieser Echokammer beitragen wollte. Stattdessen wollte ich beide Seiten ansprechen.

Ich weiß nicht, ob das schon mal irgendjemandem gelungen ist. Das Scheitern der Linken in den USA (mich eingeschlossen) lag darin, Menschen, die andere Ansichten vertraten, abzuschreiben, als wären sie bloß Relikte einer alten Denkweise, statt zu akzeptieren und zu begreifen, dass ihre Einstellungen reale Ursachen haben - dass sie ihre Überzeugungen, gute wie schlechte, erlernt haben. Letztendlich hoffte ich, dass meine Bilder einigen wenigen die Augen öffnen könnten, statt mit Übertreibungen Köpfe zu verschließen.

»Werkschau Brian Stauffer«, bis 26. August 2022; Rosa-Luxemburg-Stiftung, Straße der Pariser Kommune 8 A, Berlin; Mo bis Fr 9 bis 18 Uhr.

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