nd-aktuell.de / 21.04.2022 / Politik / Seite 6

Zahlenprobleme an der US-Südgrenze

Gestiegene Migrant*innenzahlen und »Titel 42« bereiten der Biden-Regierung politische Probleme

Moritz Wichmann

Debbie Lasko wollte wohl einmal eine ganz große Zahl ausschreiben und wirken lassen und hängte - unwissentlich oder nicht - drei Nullen dran: »Der Grenzschutz hat in nur sechs Monaten über 1 000 000 000 Migranten an der Südgrenze abgefangen. Bidens Grenzpolitik befeuert diese Krise«. In ihrem Tweet verlinkte die Republikanerin einen Artikel des »Wall Street Journal«, dessen Überschrift die eigentliche Zahl beinhaltete: eine Million. In Reaktion auf den Tweet der Kongressabgeordneten aus Arizona trendete am Mittwochmorgen in den USA auf Twitter das Wort »1 Billion« - viele Nutzer*innen machten sich über Lasko lustig.

Doch die neueste Episode im Kulturkampf über illegalisierte Migration in den USA zeigt auch, wie von rechts mit Zahlen Angst geschürt wird. Die Zahl, der durch den US-Grenzschutz an der Grenze gestoppten Migrant*innen steigt, in der Tat seit Monaten und ist mittlerweile wieder auf einem Level, den das Land zuletzt im Jahr 2000 unter Präsident George W. Bush gesehen hat. Doch die Zahl ist vermutlich künstlich aufgebläht. Trotzdem bereiten die hohen Zahlen und die Angstmacherei darum den herrschenden Demokraten gerade politisches Kopfzerbrechen.

Laut Quellen der »Associated Press« will die Biden-Regierung die Grenzsondergesetzgebung nach »Titel 42«, die in der Pandemie angewandt wurde, am 23. Mai auslaufen lassen. Biden selber scheint aber noch unentschlossen zu sein. Das Gesetz von 1944 erlaubt die Aussetzung von Asylgrundrechten zur Bekämpfung von grenzüberschreitenden Krankheiten. Seit seiner Anwendung seit dem März 2020 durch die Trump-Regierung sind aus vermeintlichem Gesundheitsschutz vor Covid über 1,7 Millionen Menschen aus den USA beschleunigt abgeschoben worden, ohne ihr Recht auf einen Asylantrag wahrnehmen zu können. Biden stand schon länger unter Druck der Demokraten-Basis, von Menschenrechtsgruppen und Migrantenorganisationen, seine Abschiebepolitik zu beenden - besonders in Zeiten fallender Corona-Einschränkungen.

Die Anwendung von »Titel 42« und das nun mögliche Ende ist ein doppeltes politisches Problem. Zum einen erwartet der Grenzschutz einen weiteren Anstieg der aktuell täglich 7000 ankommenden Migrant*innen auf mehr als 18 000 - was die von Personalproblemen gebeutelte Behörde überfordern und hässliche Bilder von überfüllten Aufnahmelagern produzieren könnte. Deswegen soll die Frist bis Ende Mai dem US-Grenzschutz Zeit zur Vorbereitung geben.

Doch zum anderen ist »Titel 42« mitverantwortlich für die hohen Grenzübertrittszahlen. Denn bei dem beschleunigten Verfahren wurden die Aufgegriffenen nicht ordentlich registriert. Wenn sie dann kurze Zeit später erneut den Grenzübertritt versuchen, werden sie zum Teil erneut gezählt. So sieht die Zahl, der auf die Grenze Anstürmenden, größer aus als sie vermutlich ist.

Die Republikaner*innen nutzen dies, um Ängste vor einem bevorstehenden »Tsunami« neu ankommender Migranten zu schüren. Der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, etwa tut dies. Er hatte die Staatspolizei angewiesen, die Kontrollen von Lastwagen in Grenznähe zu verdoppeln, vermeintlich, weil Drogenkartelle diese nutzen würde, um Menschen und Drogen in die USA zu schmuggeln.

In den neun Tagen, in denen die Anweisung in Kraft war und bevor sie nach scharfer Kritik aufgehoben wurde, hatte sie für lange Staus im Warenverkehr an der Grenze gesorgt und laut Berechnungen einer Beraterfirma wirtschaftliche Schäden in Höhe von neun Milliarden Dollar angerichtet - in einem bereits von Inflation und Probleme mit den Lieferketten geplagten Land.

Doch die rechte Angstmache über Migrant*innen an der Grenze[1] wird auch für die Demokraten zum Problem, nicht nur für Bidens Zustimmungswerte, was die Migrationspolitik[2] angeht, sondern auch in entscheidenden Swing States, in denen bereits der Vorwahlkampf zu den Zwischenwahlen im November tobt.

Mehrere moderate Demokraten-Senatoren mit »schwierigen« Wiederwahlchancen äußern nun Zweifel am Ende von »Titel 42«. Auch der in Pennsylvania führende progressive Demokrat John Fetterman, der auch die weiße Arbeiterklasse umgarnt[3], sagt, man dürfe Titel 42 »nicht beenden, bevor es einen detaillierten Plan gebe« wie weiter verfahren werden soll.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1153015.migrationspolitik-von-joe-biden-kamala-harris-kommt-nicht.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1128504.scott-warren-der-guetige-helfer.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1148168.john-fettermann-linker-huene.html