nd-aktuell.de / 27.04.2022 / Kultur / Seite 13

Von Flammen und Dampfkesseln

»Stubnblues« und Revolution: Willi Resetarits war Schmetterling, Ostbahn-Kurti und politischer Aktivist

Berthold Seliger

Es war kein ganz einfacher Abend, als ich den österreichischen Musiker Willi Resetarits kennenlernte. Resetarits alias Dr. Kurt Ostbahn hatte sich für ein ORF-Fernsehporträt ein Zusammentreffen mit Townes Van Zandt[1] gewünscht, den er sehr verehrte und dessen Europaagent ich war.

Townes hatte zugestimmt, den Ostbahn-Kurti zu treffen und ihn auch für einen Song mit auf die Bühne der ausverkauften Münchner Muffathalle zu holen: »At My Window«, den Resetarits auf sehr schöne Art als »Liagn und Lochn« gecovert hatte.

Doch als sie sich nachmittags im Hotel kennenlernten, stellte sich heraus, dass Townes schon so viel getrunken hatte, dass er den Text seines Songs vergessen hatte, und Resetarits musste ihm seinen eigenen Song erst wieder beibringen. Resetarits tat dies auf die ihm eigene respektvolle und sehr freundliche Art und Weise. So gelang der Song abends auf der Bühne ganz gut, Townes und der Ostbahn-Kurti sangen jeweils eine Strophe in ihrer Sprache, Resetarits spielte eine schöne Mundharmonika dazu, das Publikum jubelte. Man kann das auf dem späten Townes-Van-Zandt-Album »The Highway Kind« anhören, merkt aber auch, dass Townes, der ursprünglich ein sehr guter Gitarrist war, nur mühsam die Grundakkorde schlug.

Dr. Kurt Ostbahn (kein Österreicher ohne mindestens einen hinzugedichteten akademischen Titel) und seine »Chefpartie« (»Partie« österreichisch für »Gruppe«, Band) waren da längst Kult, zumindest in Österreich und Süddeutschland. Ende der 70er Jahre hatte der Schriftsteller Günter Brödl die Figur des Ostbahn-Kurti für sein Theaterstück »Wem gehört der Rock ’n’ Roll?« erfunden, die dann Anfang der 80er von Willi Resetarits verkörpert wurde, in dem er amerikanische Songs »verwienerte[2]«, wie der Musikjournalist Karl Fluch schrieb. Heraus kamen im Gegensatz zum Beispiel zu den immer irgendwie klemmig bleibenden verkölschten Dylan-Songs eines Wolfgang Niedecken wunderbar lässige Songs zwischen Rock, Blues, Country oder Tex-Mex, in denen der amerikanische Topos von Arbeitern und Verlierern, von Einsamkeit und Scheitern nach Wien übertragen wird, und zwar nach Favoriten oder Margareten, nicht nach Grinzing oder in den Musikvereinssaal.

Von Springsteen lieh sich der Ostbahn-Kurti »Arbeit«, »Feuer« oder das großartige »A Schritt vire (zwa Schritt zurück)«, von Steve Miller »Da Joker«, von Dave Alvin »Romeo, Romeo«, von Graham Parker »Da brade Weg«, von Fats Domino »I hea di klopfen« und von Bobby Womack »Ois hod sein End« - ausnahmslos Songs, die vom Kurti und seiner famosen Chefpartie nicht irgendwie interpretiert, sondern im besten Wortsinn verkörpert und auf den größten Bühnen performt wurden. Einige der zwischen 1985 und 1994 eingespielten acht Alben des Ostbahn-Kurti schafften es auf Platz 1 der österreichischen Charts.

Doch Willi Resetarits hatte ein langes künstlerisches Leben vor der Ostbahn-Kurti-Hauptrolle. Der 1948 geborene Burgenlandkroate, der nach eigener Aussage erst im Alter von dreieinhalb Jahren begann, Deutsch zu sprechen, schloss sich 1969 der Politrockband Schmetterlinge an, deren bedeutendstes Werk, die »Proletenpassion«, 1976 bei den Wiener Festwochen uraufgeführt wurde. In den 70er Jahren gab es offensichtlich überall im deutschen Sprachraum Bestrebungen, sich aufmüpfiger, oppositioneller Traditionen zu vergewissern und sie für die Gegenwart sichtbar und verwendbar zu machen - just 1976 wurde zum Beispiel in Berlin, Hauptstadt der DDR, die Liedertheatergruppe Karls Enkel gegründet. Und von 1966 bis 1983 war in Köln die Politrock-Band Floh de Cologne aktiv, die 1971 die Rockoper »Profitgeier« schuf.

Die »Proletenpassion« der Schmetterlinge verhandelt auf drei LPs bzw. in einem fast dreistündigen Live-Programm Herrschaftsstrukturen, soziale Fragen und die Möglichkeiten von Aufstand, Rebellion und Revolution. Wie wir von Karl Marx wissen, sind »die Gedanken der herrschenden Klasse in jeder Epoche die herrschenden Gedanken«, also auch »zugleich ihre herrschende geistige Macht«. Dem setzten die Schmetterlinge in der »Proletenpassion« die »Geschichte der Beherrschten« entgegen, wie es im Booklet hieß. Die Lieder handeln dementsprechend vom Bauernkrieg, der Französischen Revolution, der Pariser Kommune, der russischen Oktoberrevolution, dem spanischen Bürgerkrieg oder von den neuen sozialen Bewegungen.

Man bediente sich neben Folk-Rock und an Eisler geschulten Agit-Prop-Elementen häufig auch des jeweiligen regionalen Volksliedtons, wie etwa im von Willi Resetarits gesungenen »Jalava-Lied[3]«, dem wohl populärsten Song der »Proletenpassion«. Das Lied erzählt vom finnischen Lokführer Jalava, der den als Heizer verkleideten Lenin auf seiner Lokomotive nach Russland schmuggelt: »Ich lache, weil wir weiterkamen und weil die Welt sich dreht, / und weil mein Heizer von Flammen und Dampfkesseln was versteht.«

Heute mögen manche dieser Songs ästhetisch etwas altbacken scheinen, aber in den 70er Jahren hatte diese Musik eine enorme Wirkung und wurde beispielsweise in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit eingesetzt. Mitunter versuchte sich die Band auch an lautmalerischen Titeln wie dem frühen weltmusikalischen »Tschotcholossa[4]« (1971) oder dem satirischen »Boom Boom Boomerang«, das als Kritik an der Plattenindustrie gedacht war und die Band im Mai 1977 zum Eurovision Song Contest führte, wo sie konsequenterweise den vorletzten Platz belegte.

2003 schickte Willi Resetarits dann sein Alter Ego Dr. Kurt Ostbahn »in Pension« und betätigte sich fortan neben seinen regelmäßigen Rundfunksendungen (»Trost und Rat mit Willi Resetarits«) in zahlreichen musikalischen Projekten wie dem »Stubnblues« mit kroatisch und deutsch gesungenen Volksliedern, mit Wienerliedern, Vertonungen von Gedichten zum Beispiel von H. C. Artmann oder der Zusammenarbeit mit Ernst Molden. Zusammen mit Molden, Walther Soyka und Hannes Wirth bildete Resetarits die Gruppe Viererbande, die sich der emotionalen und politischen Vermessung Wiens widmete.

Nicht zuletzt war Willi Resetarits zeitlebens ein politischer Aktivist. Er war Mitbegründer der Initiativen Asyl in Not und SOS Mitmensch und des Wiener Integrationshauses. Resetarits setzte sich unermüdlich für die Schwachen ein, förderte die österreichische Popmusik und blieb bissiger Kritiker von Fehlentwicklungen (»Gabaliers Musik[5] ist zynisch und grauslich!«). 2018 erschien seine lesenswerte Autobiografie »Ich lebe gerne, denn sonst wäre ich tot«.

Am 24. April ist Willi Resetarits gestorben. »A working class hero is something to be« ...

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/151216.plattenbau.html?sstr=townes
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/230447.wien.html?sstr=wiener|lied
  3. https://youtu.be/oe65t5m3cAU
  4. https://youtu.be/eJk0JIrzCiU
  5. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1121450.afd-nationalismus.html?sstr=gabalier