Aus fürs Einfamilienhaus?

HEISSE ZEITEN - Die Klimakolumne: Kann jede neue Generation sich neue Häuser bauen und dafür die Umwelt verscherbeln?

  • Clara S. Thompson
  • Lesedauer: 4 Min.

Als Person, die, seit sie denken kann, in Wohnungen zur Miete lebt, stelle ich mir oft die Frage, ob ich für immer so leben will. Ein großes Haus mit großem Garten weit weg von den Unruhen der Stadt - so sieht man das doch bei älteren Freunden und im Fernsehen. In meiner Familie habe ich keine Vorbilder, die mir das Lebensziel vom Einfamilienhaus nahegelegt haben - meine Eltern genießen eigener Aussage zu Folge ihre »Flexibilität«, die sie durch das Mietverhältnis im Gegensatz zum Hauskauf erhalten. Für mich ist es also ganz normal, etwas weniger Platz zu haben. Aber das scheint vielen anderen nicht so zu gehen.

Neulich besuchte ich die Eltern eines Freundes. Sie leben auf dem Dorf und haben dort vor 30 Jahren ihr Haus gebaut - sie hatten damals unter der Woche in zwei Jobs gleichzeitig gearbeitet, um an den Wochenenden das Haus bauen zu können. Dieses Haus ist sozusagen die wohlverdiente Belohnung für ihre harte Arbeit und ihren eigenen Schweiß. Damals noch von Feldern umgeben, werden heute, im Jahr 2022, in direkter Nachbarschaft auf einer kürzlich freigegeben Baufläche etwa 20 neue Häuser gebaut: alles Einfamilienhäuser mit exakt gleichem dem Aufbau. Trotz der natürlichen Schönheit und Idylle der Gegend konnte ich nicht anders, als zu denken: Diese Häuser mit jeweils zwei bis drei Bewohnenden nehmen ganz schön viel Platz weg.

Nur wenige Tage später sorgte Bundesbauministerin Geywitz (SPD) mit ihrer Aussage, dass der Neubau von Einfamilienhäusern ökologisch nicht mehr tragbar sei und überdacht werden müsse, für Furore. Twitter war kurz vorm Kollabieren. (Damals, mit Anton Hofreiters Aussagen zum Einfamilienhaus, hatten wir übrigens die gleiche Situation.) Die »Bild«-Zeitung proklamierte: »Ökologisch unnötig - Bauministerin hat etwas gegen Einfamilienhäuser.« Das war vielleicht nicht ganz der Punkt, aber okay.

Die Frage nach dem richtigen Wohnen ist sehr emotional - nicht nur wegen steigender Mieten, sondern auch wegen der nicht weniger unruhig werdenden Lage in der Welt mit Klimakrise, Kriegen und Polarisierungen innerhalb der Gesellschaft. Die Menschen sehnen sich nach einem idyllischen Rückzugsort auf dem Land, an dem sie ihre Probleme und Sorgen nach Belieben vergessen können. Und nach viel Platz im Garten für die Kinder, wo sie in Frieden spielen können, ohne dass ihre Eltern mit der Angst leben müssen, dass sie von Autos überfahren werden.

Wäre es nicht auch unfair, wenn diese »Neubau-Einschränkung« vor allem arme und mittelständische Familien treffen würde? Denn wenn Einfamilienhäuser teurer gemacht werden, können sich reiche Familien und Manager ja immer noch diesen Traum erfüllen. Das kann also nicht die Antwort sein. Aber gleichzeitig frage ich mich, ob es wirklich für immer mit dem Status quo weitergehen kann. Kann wirklich jede neue Generation sich ein neue Häuser bauen und dafür die Umwelt verscherbeln?

Erst einmal alte Häuser, die in Massen vorhanden sind, zu sanieren klingt ziemlich sinnvoll. Die Dringlichkeit, ökologischer zu bauen, ist im Angesicht der Klima- und Umweltkrisen gegeben. Flächenversiegelung, Gasheizungen, schlechte Isolierung - das alles führt zu steigenden CO2-Emissionen im Gebäudesektor, die wir uns nicht mehr leisten können. Zudem gibt es immer mehr Menschen auf der Welt; gepaart mit dem Trend, dass immer mehr Menschen auf immer mehr Platz zum Wohnen haben. Beispielsweise in Leipzig: Vor dem Zweiten Weltkrieg haben dort mehr als 700 000 Menschen gewohnt - jetzt sind es nur noch 587 000. Aber der Wohnungsleerstand liegt nur noch bei 2,7 Prozent, Tendenz sinkend. Wie kann das sein? Es liegt daran, dass 1939 einfach mehr Menschen auf kleinem Raum zusammen gelebt haben. Natürlich spart man dann Platz.

Heute geht es nicht mehr darum, jemanden etwas zu verbieten oder wegzunehmen. Es geht darum, (ökologische) Sanierungs- statt Neubauanreize zu geben und sich zuzutrauen, den Wohn- und Bausektor ökologisch und vor allem sozial gerecht zu denken. Und vielleicht geht es auch darum, um mit dem Soziologen Pierre Bourdieu zu sprechen, Menschen von dem »Zwang« des Einfamilienhauses zu lösen. Denn wer kein Haus abbezahlen muss, hat mehr Kapazitäten, um sich mit den wirklich dringenden Fragen in unserer Gesellschaft zu beschäftigen.

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