Am Ende brauchte es nicht viel, um das zerrüttete Verhältnis zwischen der Türkei und Saudi-Arabien wieder zu kitten. Ein Bruderkuss zwischen Recep Tayyip Erdoğan und Prinz Mohammad Bin Salman[1] langte, und schon waren alle Differenzen aus dem Weg geräumt. Wer wollte sich da noch an den regierungskritischen saudischen Journalisten Jamal Khaschoggi erinnern: ermordet im Oktober 2018 in Istanbul[2], mutmaßlich von saudischen Geheimdienstleuten auf Anweisung von ganz oben. Damals machte der türkische Präsident Erdoğan Saudi-Arabien noch direkte Vorwürfe, die Regierung in Riad habe die Ermordung bereits Tage im Voraus geplant. »Dieser Mord war nicht eine spontane, sondern eine geplante Tat[3]«, betonte Erdoğan seinerzeit, sprach sogar von einem »politischen Mord«. Türkische Gerichte ermittelten gegen die mutmaßlichen Täter[4], klagten in Abwesenheit 26 Angeklagte an, darunter einen Ex-Berater des Prinzen und den ehemaligen Vizegeheimdienstchef.
Diesem Ermittlungsschwung wurden die Flügel gestutzt. Die türkische Justiz gab die Untersuchungen Anfang April ab, ausgerechnet an ihre saudischen Kolleg*innen. Normalisierung der Beziehungen lautet jetzt die Parole, denn die beiden Länder können sich die Eiszeit nicht mehr erlauben: Saudi-Arabien will sich das Etikett eines diktatorisches Regimes abreißen[5] und die Causa Khaschoggi selbst steuern. Und die Türkei erhofft sich im Gegenzug dringend benötigte Geldspritzen aus Saudi-Arabien, um die am Boden liegende Wirtschaft wieder aufzurichten und die Inflation von über 60 Prozent einzudämmen. Erdoğan blickt dabei auf die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Juni 2023[6]: Er muss um seine Wiederwahl fürchten, sollte das tägliche Leben der Türk*innen sich nicht zum Besseren wenden. Außenpolitisch segelt die Türkei im Mittleren Osten weiter auf Hegemoniekurs[7], und da will man sich keine unnötigen Gefechte liefern mit einflussreichen arabischen Staaten[8].
Quelle: https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163391.tuerkei-und-saudi-arabien-erdoğan-denkt-an-wahlen.html