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Unaufgeräumte Himmelskörper

Erste direkte Beobachtung eines jungen jupiterähnlichen Protoplaneten

  • Ilka Petermann
  • Lesedauer: 4 Min.
Die spiralenförmige Spur eines entstehenden Riesenplaneten – 530 Lichtjahre von uns entfernt
Die spiralenförmige Spur eines entstehenden Riesenplaneten – 530 Lichtjahre von uns entfernt

Was beim Frühjahrsputz eher zu Augenverdrehen führen würde, sorgt bei Astronomen für leuchtende Augen: Das Sternensystem AB Aurigae b hat noch nicht aufgeräumt! AB Aurigae, 530 Lichtjahre von der Erde entfernt und vermutlich weniger als fünf Millionen Jahre alt, ist von einer dichten Scheibe aus Gas und Staub umgeben, die spiralförmige Strukturen mit auffälligen Lücken zeigt. Bereits in früheren Arbeiten wurde angenommen, dass die Ursache ein den Stern umkreisendes planetarisches Objekt sein könnte.
In einer neuen Studie haben Astronomen das Sternsystem nun gleich mit zwei Teleskopen unter die Lupe genommen: dem erdgebundenen, mit adaptiver Optik ausgestatteten Subaru-Teleskop auf dem Mauna Kea (Hawaii) und dem Hubble-Weltraumteleskop. Zusätzlich nutzen die Astronomen Hubble-Archivdaten, um die Bewegung des vermuteten Himmelskörpers über längere Zeiträume hinweg nachzuverfolgen.

Die neuen Datensätze lieferten Hinweise, dass es sich bei dem beobachteten Objekt tatsächlich um einen jupiterähnlichen Gasriesenplaneten handeln könnte. Solche Zuordnungen sind nicht einfach, ähneln sich doch die Eigenschaften sehr junger Planeten und anderer, nicht-planetarer Objekte einer protoplanetaren Scheibe sehr stark. Durch präzise Polarisationsmessungen und Beobachtungen im sichtbaren Licht konnten die Astronomen jedoch nachweisen, dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen jungen, mit neun Jupitermassen ziemlich schweren Exoplaneten handelt – der sogar noch weiterhin Material an sich zieht. Der Planet befindet sich in den äußeren, materiereichen Bereichen der Scheibe, in knapp dem dreifachen Abstand Sonne–Neptun.

AB Aurigae b reiht sich in die noch sehr kurze Liste der direkt beobachteten Exoplaneten ein. Von den mittlerweile rund 5000 entdeckten und verifizierten Exoplaneten wurde der weitaus größte Teil mithilfe der »Transitmethode« entdeckt, bei der ein vorbeiziehender Planet das Licht seines Sterns für den irdischen Beobachter regelmäßig abschwächt. Eine andere Methode, die »Radialgeschwindigkeitsmethode«, nutzt aus, dass in einem Stern-Planeten-System die Komponenten um ihren gemeinsamen Massenmittelpunkt kreisen und der Stern somit eine Bewegung ausführt, die in seinem Spektrum beobachtet werden kann. Gemeinsam ist beiden Techniken, dass sie den Planeten nur indirekt über die Veränderungen des Sternenlichts nachweisen.

Knapp zehn Jahre nach der ersten Beobachtung eines Exoplaneten um einen sonnenähnlichen Stern wurde im Jahr 2014 erstmalig das reflektierte Licht eines extrasolaren Planeten direkt aufgenommen. Erst für rund zwei Dutzend Exoplaneten ist solch ein »Passfoto« bisher gelungen, dass der jeweilige Zentralstern in den meisten Fällen die Planeten überstrahlt.

Mit den direkten Aufnahmen von AB Aurigae b wird es nun möglich, in eine sehr frühe Phase der Planetenentstehung zu blicken, über die bisher nur wenig bekannt ist und die ein entscheidendes Stadium in den gängigen Theorien darstellt. »Wie genau Planeten entstehen, ist weiterhin unbekannt, daher ist jeder entdeckte Planet, der sich noch in der Entstehung befindet, besonders spannend«, sagt der Astrophysiker Til Birnstiel, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München die Planetenentstehung erforscht und an der Studie selbst nicht beteiligt war.

Die Entstehung jupiterähnlicher Gasplaneten wird zumeist mit dem sogenannten Kernakkretionsmodell erklärt. Danach bildet sich zuerst ein mehrere Erdmassen schwerer Gesteinskern, der anschließend bei seinem fortwährenden Sternumlauf große Mengen an Gas aufsammelt. Dieses Stadium hält solange an, bis der Ausgangskörper innerhalb der protoplanetaren Scheibe seine Umlaufbahn praktisch leergesammelt hat – und somit aus der protoplanetaren »Fusselrolle« ein fertiger Gasriese geworden ist. Einen Exoplaneten mit aufgeräumter Umlaufbahn haben Astronomen mit »PDS 70 bc« bereits vor einigen Jahren nachweisen können – doch konnten die besonders interessierenden Anfangsphasen der Planetenentstehung hier nicht mehr beobachtet werden.

Für schwere Gasriesen in großer Entfernung zum Zentralgestirn stößt das beschriebene Modell jedoch an Grenzen: Die Bildung von Gesteinskernen gilt darin als weitgehend unmöglich. Alternativ greifen Astronomen hier auf das »Gravitations-Instabilitätsmodell« zurück. Danach bilden sich in einer sehr massereichen Scheibe durch Eigengravitation nicht nur Spiralarme, sondern auch Materieklumpen – die im Extremfall zu einem Gasplaneten kollabieren können. »AB Aurigae b wirft ein neues Licht auf unser Verständnis der verschiedenen Arten der Planetenbildung«, resümiert Thayne Currie. Der Hauptautor der im Fachblatt »Nature Astronomy« publizierten Studie forscht am Nasa Ames Research Center und dem Subaru-Teleskop.

Der Fund eines Planeten in diesem Stadium, wo die protoplanetare Scheibe noch nicht freigeräumt ist, könnte demnach erste Hinweise darauf liefern, dass das Instabilitätsmodell die Entstehung von jupiterähnlichen Planeten in weiten Umlaufbahnen korrekt vorhersagt.

»Diese Beobachtungen können zwar leider noch nicht die große Frage ›Wie entstehen Planeten?‹ beantworten, aber sie zeigen. dass die Natur vielleicht tatsächlich beide Theorien in die Wirklichkeit umgesetzt hat. Oder aber, dass beide Theorien noch nicht richtig funktionieren«, so Birnstiel.

Auf jeden Fall scheint nun mit AB Aurigae b ein erster direkter, sehr fotogener Nachweis gelungen zu sein.

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