nd-aktuell.de / 15.05.2022 / Kommentare / Seite 1

Verkehrswende abgeschrieben

Anke Herold über ausbleibende Maßnahmen zur Emissionssenkung

Anke Herold

Seit Jahren sehen wir, dass der Verkehr die Klimaziele nicht erreicht. Im Hinblick auf diese ließ bereits der Verkehrsteil des Koalitionsvertrags viele grüne Wünsche offen. Nun hat die Bundesregierung gerade ein Klimaschutzsofortprogramm vorgelegt, das zusätzliche Maßnahmen umsetzen soll, damit Deutschland bei der Treibhausgasreduktion wieder zurück auf den Zielpfad kommt.

Und mit welchen entscheidenden Maßnahmen will die Regierungskoalition das Blatt nun wenden? Ganze zwei hat das Sofortprogramm für den Straßenverkehr: Die Bundesregierung unterstützt die Vorschläge der EU-Kommission für CO2- Flottengrenzwerte. Das ist nichts Neues, sondern Status Quo. Und der Koalitionsvertrag hatte hier einige Konkretisierungen, die nun verschwunden sind, beispielsweise, dass sich die Bundesregierung auch für eine Weiterentwicklung der CO2-Flottengrenzwerte für Nutzfahrzeuge einsetzt.

Die zweite Sofortmaßnahme für den Straßenverkehr lautet: »Die Kraftfahrzeugsteuer sollte in den nächsten Jahren ebenfalls stärker am Emissionsausstoß ausgerichtet sein.« Sofort bedeutet also »in den nächsten Jahren«? Alle EU-Staaten, die eine erfolgreiche Klimapolitik im Verkehr machen, haben eine Kraftfahrzeug- oder Zulassungssteuer, die große Autos mit hohem Spritverbrauch teuer macht, kein Land in Europa hat so eine überbordende Zunahme an großen SUVs, die trotz technischer Effizienzverbesserung zu immer mehr Emissionen führen. Eine Malus-Regelung bei der Kfz-Steuer für die größten Spritfresser ist eine der wirkungsvollsten Maßnahmen. Aber ob diese kommt, steht weiter in den Sternen. Das Sofortprogramm bringt also keine zusätzliche Emissionsminderung im Straßenverkehr. Das ist ja auch nur der Bereich, der 96 Prozent der Verkehrsemissionen ausmacht.

Der zweitwichtigste Bereich ist der Ausbau von Bahn und öffentlichem Nahverkehr. Laut Koalitionsvertrag soll der Schienengüterverkehr bis 2030 auf 25 Prozent Marktanteil steigen, und die Verkehrsleistung im Personenverkehr soll verdoppelt werden. Es sollen erheblich mehr Mittel in die Schiene investiert werden, mit Priorität für das Projekt des Deutschlandtakes. Dieser bedeutet, dass die Züge auf den Hauptachsen im halbstündlichen Rhythmus fahren, alle anderen Anschlüsse daraufhin optimiert und verstärkt werden. Aber im Bundeshaushalt finden sich kaum höhere Finanzmittel für diese Vorhaben. Die Mittel für die Beseitigung von Engpässen und die Umsetzung des Deutschlandtaktes wurden gekürzt, die für die Beseitigung von Engpässen im Nahverkehr im Vergleich zu 2021 sogar um 76 Prozent. Nur noch 60 Prozent der bisherigen Mittel fließen in die Attraktivitätssteigerung und Barrierefreiheit der Bahnhöfe. Im Koalitionsvertrag steht auch, dass die Regionalisierungsmittel für den ÖPNV ab 2022 erhöht werden. Auch dies fehlt im Bundeshaushalt.

Selbst die Beamten im Verkehrsministerium warnen vor einem dramatischen Investitionsstau. Bei der derzeitigen Ausgabenplanung müssten selbst die wichtigsten Investitionen für den Deutschlandtakt sehr weit in die Zukunft verlagert werden, nämlich bis ans »Ende des Jahrhunderts«. Die Folgen für die CO2-Bilanz sind dramatisch und vor allem nicht mehr korrigierbar. Der Bau von Bahninfrastruktur dauert einfach Jahrzehnte. Diese Haushaltsplanungen bedeuten, dass der Bund die Verkehrswende und die Klimaziele im Verkehr für diese und für die künftigen Legislaturperioden aufgegeben hat. Kein Wunder, dass die FDP diese doofen Sektorziele auch endlich im Klimaschutzgesetz abschaffen möchte.

Aber halt, wir haben noch das brandneue Klimaschutzsofortprogramm – da werden doch zusätzliche Finanzmittel für die Bahn versprochen! Und wofür? Für die Erprobung digitaler Stellwerke, für die Erprobung des automatisierten Fahrens im Schienengüterverkehr, für das digitale Kapazitätsmanagement und sogar für das bestehende Modellvorhaben zum europäischen Zugkontrollsystem im Großraum Stuttgart! Natürlich nicht falsch, aber diese Maßnahmen werden unsere Verkehrsemissionen mit Sicherheit kaum verändern. Wann kommt endlich ein Klimaschutzprogramm im Verkehr, das diesen Titel zu Recht trägt? Kann gerne sofort sein.