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Das Scheitern eines strategischen Entwurfs

Langfristige neue Gasverträge würden Klimaschutzziele erheblich ausbremsen

  • Ramon Schack
  • Lesedauer: 4 Min.

Die deutsche Erdgasversorgung wird im Rahmen des Ukraine-Krieges und der daraus resultierenden westlichen Sanktionen von spürbaren Problemen heimgesucht. Die Sperrung einiger Pipelines durch die ukrainische Regierung führte zu einer markanten Drosselung russischen Gases für die Bundesrepublik. Durch die Leitung fließen ansonsten 32,6 Millionen Kubikmeter Erdgas pro Tag, ein gutes Drittel der insgesamt 95,8 Millionen Kubikmeter, die noch am Dienstag durch das gesamte ukrainische Pipelinesystem nach Westen gesendet worden waren.

Obwohl die Bundesregierung darum bemüht ist, den Eindruck zu erwecken, energiepolitisch sei alles in bester Ordnung, wächst der Druck, neue Erdgasquellen ausfindig zu machen. Die absurde Situation, dass man sich im politischen Berlin gerne zu massiven Sanktionen gegen Moskau bekennt, aber monatlich Milliarden dorthin durch die Gaslieferungen überweist, demonstriert das Scheitern eines strategischen Entwurfs, den Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) zu Beginn des Krieges mit den Worten »Das wird Russland ruinieren« völlig fehlinterpretierte. Die Bundesregierung suchte zu beschwichtigen und behauptete, das fehlende Gas habe durch Zusatzlieferungen aus Norwegen und den Niederlanden ersetzt werden können. Einflussreiche Wirtschaftskreise hingegen äußerten sich besorgt und wiesen darauf hin, dass die Einbußen es erschweren würden, die deutschen Erdgasspeicher vor dem nächsten Winter im erforderlichen Umfang zu füllen.

Was das Füllen der Erdgasspeicher angeht, so wird dieses wichtige Unterfangen für den kommenden Winter noch durch neue Gegensanktionen Russlands belastet. Moskau hatte am Mittwoch bekanntgegeben, 31 europäische Firmen auf eine Sanktionsliste zu setzen, darunter insbesondere Gazprom Germania sowie mehrere Tochterfirmen. Zwar war das Unternehmen nach Russlands Überfall auf die Ukraine nicht unmittelbar von den Sanktionen westlicher Staaten betroffen, hatte aber aufgrund von Drohungen mit möglichen weiteren Sanktionen Schwierigkeiten, sein Geschäft fortzuführen. Gazprom Germanias russischer Mutterkonzern hatte deshalb am 1. April erklärt, sein Tochterunternehmen abstoßen zu wollen.

Hinzu kommt ein Dilemma, wofür die Grünen nichts können, welches auf den Gas-Lieferverträgen basiert, beziehungsweise den dort enthaltenen »Take-or-Pay«-Klauseln. Hierdurch könnte die fatale Lage entstehen, dass Berlin überteuertes LNG-Gas aus den USA bezieht und gleichzeitig an Russland Überweisungen für Nichts zu entrichten hat. Die vertraglichen Rahmenbedingungen zu ignorieren, käme aber auch nicht in Frage. Schließlich war es Berlin selbst, das Moskau nach dessen Forderung, dass Gas-Lieferungen nur noch in Rubel zu bezahlen seien, auf die Einhaltung bestehender Verträge hinwies. Eine Analyse der »Akademie Bergstraße für Ressourcen‑, Demokratie- und Friedensforschung« wies schon vor Wochen darauf hin, dass Deutschland auch im Falle eines Gas-Importstopps an Gazprom zahlen müsse.

In der Studie heißt es: »Es geht überwiegend um langfristige Verträge mit Laufzeiten von 10 bis 25 Jahren mit festgelegten Mengen und Preisen. Mehr noch: Es handelt sich um so genannte Take-or-Pay-Verträge, bei denen die deutschen Importeure eine unbedingte Verpflichtung zur Zahlung übernommen haben, unabhängig davon, ob man das Erdgas tatsächlich importiert oder nicht. Man muss also die für etliche Jahre vorbestellte Abnahmemenge bezahlen, ob das Gas am Ende fließt oder nicht.«

Verkompliziert wird die Ausgangslage dadurch, dass Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) außer Lippenbekenntnissen nichts wirklich zu bieten hat. Seine Reise ins reaktionäre Emirat Katar, die von vielen Medien als eine Wunderlösung bejubelt wurde, hat sich als Flop erwiesen. Sowohl Katar als auch US-Frackingkonzerne bestehen auf langfristigen Abnahmegarantien über rund zwei Jahrzehnte. Sollte Berlin sich darauf einlassen, wird die Bundesrepublik wohl nicht wie beabsichtigt bis 2045 klimaneutral. Außerdem werden ausreichende Mengen an Flüssiggas – wenn überhaupt – erst in einigen Jahren verfügbar seien. Die Grünen Habeck und Baerbock bewegen sich diesbezüglich auf dünnem Eis, denn wie wollen sie dem eigenen politischen Millieu vermitteln, dass mit der Energiewende eines ihrer großen Projekte zu scheitern droht. Um US-Frackinggas in ausreichender Menge zu erhalten, müsste die Bundesregierung empfindliche Einschnitte beim Klimaschutz vornehmen.

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