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Falsche Versprechungen

Fast jeder dritte Studierende in Deutschland ist von Armut betroffen

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist eigentlich erstaunlich, dass es an den deutschen Universitäten noch so ruhig ist. Sind doch laut einer aktuellen Untersuchung des Paritätischen Wohlfahrtsverbands 30 Prozent aller Studierenden in Deutschland von Armut betroffen. Student*innen seien im Vergleich zur Gesamtbevölkerung nicht nur besonders häufig, sondern auch besonders schwer von Armut betroffen. So liegt das mittlere Einkommen armer Studierender bei 802 Euro, womit sie 463 Euro unterhalb der Armutsschwelle liegen.

Überproportional von Armut betroffen sind dabei nicht nur 80 Prozent der Einpersonenhaushalte, sondern auch zu 45 Prozent Studierende mit Bafög-Bezug. »Das Versprechen von Fortschritt, Chancengleichheit und gleichen Möglichkeiten für alle jungen Menschen ist nicht viel wert, wenn es nicht gelingt, Studierende wirksam vor Armut zu schützen und ihnen den Rücken für eine Ausbildung, frei von existenzieller Not, zu stärken«, kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, die Situation.

Die Autor*innen der Studie empfehlen auf Basis der Befunde weitreichende Bafög-Reformen, um den Berechtigtenkreis zu erweitern und Studierende wirksam vor Armut zu schützen. »Die bisher vorliegenden Vorschläge der Bundesregierung zu einer Reform, die an diesem Mittwoch im Bundestagsausschuss für Bildung beraten werden, sind nicht ausreichend«, warnt der Paritätische Wohlfahrtsverband. Gerade angesichts der aktuellen Preissteigerungen drohten weitere harte Belastungen, Verschuldung und Studienabbrüche für viele arme Studierende. »Die altbackenen Klischees des fröhlichen Studentenlebens bei wenig Geld, aber viel Freizeit, sind absolut überholt und haben mit der Lebenswirklichkeit und dem Studiendruck heutzutage nichts mehr zu tun«, so Schneider.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband unterstützt zwar die von der Bundesregierung geplante Ausweitung der Reichweite des Bafög und Flexibilisierung der Altersgrenzen. Gleichzeitig fordert er aber auch deutliche Nachbesserungen: »Nötig ist unter anderem eine bedarfsgerechte Anhebung der Leistungshöhe sowie eine automatische und regelmäßige Fortschreibung der Bedarfssätze im Bafög.« Die bisher geplante Anhebung um lediglich fünf Prozent auf künftig 449 Euro gleiche nicht einmal die realen Kaufkraftverluste durch die aktuelle Inflation aus, kritisiert der Verband.

Klar ist: Die Chancengleichheit als grundlegendes Ziel der Ausbildungsförderung wird seit Jahrzehnten immer deutlicher verfehlt. Dass der individuelle Bildungserfolg nicht von der sozialen Herkunft und den finanziellen Möglichkeiten der Eltern abhängen darf, wird angesichts der verbreiteten Armut unter den Studierenden immer mehr zur Phrase. Zudem zeigt sich laut der Studie ein kontinuierlicher Rückgang bei Bafög-geförderten Studierenden seit 2012. Während die Anzahl der Studierenden allgemein deutlich zulegte, hat die Zahl der mit Bafög geförderten Studierenden um 65 000 abgenommen. »Nach mehreren Nullrunden beziehungsweise unzureichenden Anpassungen haben die Leistungen des Bafög an Wert verloren. Trotz jüngerer politischer Initiativen, die Bedarfssätze zu erhöhen, zeigt sich im Ergebnis eine deutliche Bedarfsunterdeckung«, so die Autor*innen. Diese komme in der hohen Armutsquote von Studierenden zum Ausdruck, die nicht anders als dramatisch zu bezeichnen sei: Mit den rund 30 Prozent von Armut betroffenenen Studierenden gehören sie zu einer besonders von Armut betroffenen Gruppe, schließlich liegt ihre Armutsquote deutlich über der der Gesamtbevölkerung in Deutschland von 16,8 Prozent.

Darüberhinaus hat die Corona-Pandemie das Studierendenleben vom Ort der Hochschule entfernt und in den digitalen Raum verlagert. Ein Teil dieser Entwicklung wird auch in Zukunft die Lebensrealität von Studierenden prägen. Dies habe zur Folge, dass sie deutlich weniger vom Subsystem am Ort der Hochschule mit geringen Preisen, wie beispielsweise für das Essen in der Mensa, profitieren, warnen die Studien-Autor*innen. Zum anderen seien die Studierenden dadurch in erhöhtem Maße von einer funktionierenden digitalen Hardware abhängig und müssten Kosten für Reparaturen und Neuanschaffungen jederzeit tragen können, um nicht von grundlegenden Voraussetzungen zur Bildungsteilhabe abgekoppelt zu werden.

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