Gedanken und Gebete

In Texas wurden bei einem Schulmassaker 21 Menschen getötet. An den Waffengesetzen in den USA wird trotzdem nicht gerüttelt

  • Johanna Soll
  • Lesedauer: 5 Min.
In Uvalde Texas warten Angehörige auf Nachricht von ihren Kindern.
In Uvalde Texas warten Angehörige auf Nachricht von ihren Kindern.

In der Kleinstadt Uvalde im Süden des US-Bundesstaates Texas hat sich am Dienstagmittag (Ortszeit) ein Schusswaffenmassaker an der Robb Grundschule ereignet. Der Täter, Salvador R., ein 18-jähriger Schüler der nahegelegenen High School, fuhr mit schusssicherer Weste bekleidet zu der Grundschule und schoss dort um sich – zwei Tage vor den Sommerferien. Derzeit beläuft sich die Zahl der Todesopfer auf 21 Menschen, 19 von ihnen Schulkinder und zwei Lehrerinnen. Der Täter wurde von der Polizei erschossen.

Zu den ideologischen Hintergründen des Täters ist bisher nichts bekannt. Allerdings soll er in den sozialen Medien seine Tat angedeutet haben, indem er gewarnt haben soll, »dass die Kinder aufpassen sollten«. R. habe an seinem 18. Geburtstag zwei Schusswaffen gekauft, die er bei dem Attentat bei sich hatte, eine Pistole und ein halbautomatisches Gewehr. Mit diesem posierte er zuvor auf Instagram.

Ein ehemaliger Klassenkamerad des Täters sagte, dieser habe ihm Tage vor dem Attentat per Nachricht Fotos einer Schusswaffe und einer Tasche voller Munition geschickt: »Ich sagte: ’Junge, warum hast du das?’ und er meinte: ’Mach dir keine Sorgen’«. Kurz bevor R. zu der Grundschule fuhr, habe er auf seine Großmutter geschossen, teilte der ultrarechte Gouverneur von Texas, Greg Abbott, bei einer Pressekonferenz mit. Sie befinde sich in kritischem Zustand. Weitere Opfer wurden mit Verletzungen in umliegende Krankenhäuser eingeliefert.

Anlaufstelle für betroffene Familien ist ein nahegelegenes Gemeindezentrum. Dort erfahren Eltern und Angehörige, ob ihre Kinder überlebt haben und einige gaben an, sie hätten DNA-Proben abgeben müssen, um den Behörden bei der Identifizierung der Kinder zu helfen. Eine Reporterin schreibt auf Twitter: »Wir haben gerade Schreie im Gemeindezentrum gehört. Noch eine Familie, die die schlimmstmögliche Nachricht erhält.«

Allein innerhalb einer Woche ereigneten sich in den USA mehrere Schusswaffenattentate – in einem Supermarkt in Buffalo im Bundestaat New York mit zehn Toten, in einer Kirche in Irvine, Kalifornien mit fünf Verletzen und einem Toten und nun in Uvalde, Texas.

Das Schulmassaker von Uvalde ist das tödlichste seit zehn Jahren, als 2012 ein 20-Jähriger an der Sandy Hook Grundschule im Bundestaat Connecticut zwanzig Schulkinder, sechs Lehrkräfte, seine Mutter und anschließend sich selbst erschoss. Laut CNN handelt es sich mindestens um das 30. Schulmassaker im Jahr 2022. Bisher zählt dieses Jahr in den USA insgesamt mehr Massenschießereien als Tage – laut dem US-Schusswaffengewaltarchiv sind es mindestens 213. Von einer Massenschießerei ist dann die Rede, wenn mindestens vier Menschen verletzt oder getötet werden, den Schützen nicht mitgerechnet.

Attentate mit Schusswaffen aus unterschiedlichen Motiven sind trauriger Alltag in den USA. Und auch wenn US-Präsident Joe Biden, wie es sich für den Präsidenten gehört, eine Rede hielt, in der er sagte, so etwas dürfe sich nicht wiederholen, werden solche Taten wieder und wieder stattfinden, wenn nicht endlich die laxen Schusswaffengesetze der USA verschärft werden. Der Grund, weshalb politisch nichts geschieht, liegt an der mächtigen Schusswaffenlobby NRA, der National Rifle Association (Nationaler Gewehr-Verein). Diese spendet hohe Beträge an Politiker*innen, die dann auch stets gegen jegliche Restriktionen der Schusswaffengesetze stimmen.

Überwiegend sind es Republikaner, aber es gibt auch einige wenige Demokraten, die Spendengelder von der NRA erhalten. Da zwei konservative Demokraten, Joe Manchin und Kyrsten Sinema, sich weigern, den Filibuster – eine antiquierte Senatsregel – abzuschaffen, werden für ein neues Schusswaffengesetz auch Stimmen der Republikaner benötigt, die allerdings keine angemessene Waffengesetzgebung wollen. Also wird sich am Status quo auf absehbare Zeit nichts ändern.

Der Gouverneur von Texas, Greg Abbott, hat erst 2021 ein Gesetz unterzeichnet, das für Texaner die Verpflichtung beendete, Handfeuerwaffen nur mit einer Lizenz offen zu tragen. Dadurch kann praktisch jede*r über 21-Jährige in Texas eine Pistole mit sich herumtragen. Abbott bezeichnete das Gesetz als »das stärkste Schusswaffengesetz in der Geschichte von Texas«. Im Jahr 2015 schrieb er auf Twitter: »Es ist mir peinlich: Texas ist die Nr. 2 im Land beim Neukauf von Waffen, hinter Kalifornien. Lasst uns uns ranhalten, Texaner.«

Ausgerechnet Abbott bezeichnete nun das Schulmassaker von Uvalde als »unbegreiflich«. Dabei belegen Studien, dass viele Schusswaffen im Land auch zu vielen Todesfällen durch sie führen. In den USA befinden sich mehr Schusswaffen als Menschen und, obwohl regelmäßig eine mehr oder weniger große Mehrheit strengere Gesetze befürwortet, handeln die Politiker*innen nicht entsprechend dem Wählerwillen, sondern entsprechen den Interessen der NRA, die ihre Wahlkämpfe mit großzügigen Spenden unterstützt.

Die prominente US-Journalistin Julia Ioffe twitterte zu dem Schulmassaker in Uvalde: »Das wird nichts ändern, genau wie Sandy Hook nichts geändert hat. In den USA sind Frauen weniger wichtig als Babys, Babys sind weniger wichtig als Waffen, und Geld ist wichtiger als alles zusammen.« Damit spielt sie auf das drakonische Anti-Abtreibungsgesetz an, das Schwangerschaftsabbrüche in Texas fast unmöglich macht, die Bürger*innen mit einer Belohnung von 10 000 Dollar zur gegenseitigen Bespitzelung anhält und keine Ausnahmen bei Vergewaltigung oder Inzest vorsieht. Das alles, weil ein Embryo als schützenswerter angesehen wird als eine erwachsene Frau.

Wie andere rechte Hardliner bezeichnet sich Republikaner Abbott als »pro-life«, für das Leben. Aber wenn Kinder durch Schusswaffen aus dem Leben gerissen werden, wird nichts unternommen, außer »Gedanken und Gebete« ausgesprochen. Denn eine Verschärfung der Waffengesetze kommt für Republikaner nicht in Frage.

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