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Springende Steine

Plattenbau. Die CD der Woche: »Können Lieder Freunde sein« von Jetzt!

  • Benjamin Moldenhauer
  • Lesedauer: 3 Min.
Michael Girke hat eine Sprache entwickelt, die etwas Weises hat.
Michael Girke hat eine Sprache entwickelt, die etwas Weises hat.

In Bad Salzuflen spielte die Band Jetzt! in den Achtzigern Pop, der von The Jam und Felt inspiriert war. Das Frühwerk, damals veröffentlicht auf einer Kassette und einer Single, wurde erst 2017 auf Vinyl wiederveröffentlicht. Sie klang nach Provinz, einerseits, und andererseits so, als wollten hier junge Menschen die ganze Welt umarmen, vom »Dorf am Ende der Welt« aus. Im Wissen, dass sie im Großen und Ganzen leider nicht sonderlich liebenswert ist, die Welt, und dass man das ändern müsste. Die Schönheit fanden Jetzt! im Kleinen, zusammengefasst in dem wundervollen Lied »Kommst du mit in den Alltag« (das dann wiederum Blumfeld auf ihrem Album »Old Nobody« coverten): »Nieder mit den Umständen / Es lebe die Zärtlichkeit«.

Jetzt!-Sänger und -Gitarrist Michael Girke hat den Faden völlig unverhofft vor drei Jahren wieder aufgenommen und unter dem Bandnamen von damals die Platte »Wie es war« aufgenommen. Was dem Bandnamen ja schon einmal in interessanter Weise widerspricht. Auch das zweite reguläre Jetzt!-Album »Können Lieder Freunde sein?« ist kontemplativ und rückschauend ausgerichtet. Ein Lied über das alte Berlin, eins über die Verbindung mit den Toten, mit denen man spricht, »um ihnen nah zu sein«, schön zweifelnde Liebeslieder, die dann am Ende doch wieder ganz einfach sind (»Es fällt schwer, dich nicht zu mögen«).

Michael Girke hat im Abseits des Popgeschehens eine Sprache zur Beschreibung von Beziehungen, Freundschaften, Liebesbeziehungen und Orten entwickelt, die etwas Weises hat. Oder auch altersweises. Texte, die von jemanden geschrieben wurden, der viel und gerne liest und auf das Gelesene anspielt, als würde er Steine in den Fluss werfen, um zu schauen, wie weit sie springen. Dass man in Beziehungen aller Art miteinander sprechen, also wirklich sprechen muss, um in Verbindung zu bleiben, ist zum Beispiel erst mal banal – das Einfache, das schwer zu machen ist. Bei Girke bildet diese simple Wahrheit den Ausgangspunkt für einen schönen Text über zwei Menschen und wie sie einander nahekommen können, ohne sich dabei gegenseitig auszuzehren: »Wie man Liebe und Freiheit vereint / Vielleicht stimmt, was Hannah Arendt schreibt / Immer Unrecht hat einer allein / Die Wahrheit gibt es nur zu zweien«. Und zu Soul-Bläsern singt Girke, recht beschwingt, im Refrain: »Ich will nicht nur in meinem Kopf sein«.

Musikalisch verbinden sich hier Singer-Songwriter-Tum und englische Soulpoptradition. Nur eben nicht mehr im Sturm-und-Drang-Modus, sondern in sich ruhend und mit großer Liebe zu Details. Schöne Streicher, dezente Sound-Spielereien und mal ein klobiges Klavier, aber alles, ohne die Transparenz zu verkleistern. Also inzwischen mehr Style Council als The Jam. Die Referenzen deuten es schon an: Die Songs auf »Können Lieder Freunde sein?« wirken wie aus der Zeit gefallen und hätten im Prinzip so auch vor zehn und vielleicht auch vor zwanzig Jahren erscheinen können.

Vom Rand aus sieht man anderes und vielleicht auch mehr als im Zentrum des Betriebes. Und kann eine eigene Sprache zur Beschreibung des Wahrgenommenen entwickeln. Wenn Michael Girke singt, wird nichts banalisiert, und wenn es um Komplexes geht, wird nichts verkompliziert. Es stellt sich eine Klarheit ein, die alles Kitschpotenzial überstrahlt. Das ist selten genug im deutschsprachigen Pop.

Jetzt!: »Können Lieder Freunde sein« (Tapete Records)

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