Liebigs Fleischextrakt

Eine Phosphorverbindung liefert unseren Körperzellen den nötigen »Kraftstoff«: ATP. Und die muss aus der Nahrung ständig neu produziert werden

  • Iris Rapoport
  • Lesedauer: 3 Min.
Biolumne: Liebigs Fleischextrakt

Es ist ein Vergnügen, die Arbeiten des genialen Chemikers Justus von Liebig zu lesen. Sie sind in den »Annalen für Chemie und Pharmazie« für jedermann im Internet zugänglich. Von ihm 1832 gegründet, war diese Zeitschrift über 170 Jahre eine der bedeutendsten der organischen Chemie. Liebigs breitgefächerte Neugier galt auch den chemischen Bestandteilen der Nahrung. Seine Analyse, was sich mit Wasser aus Fleisch alles herauslösen lässt, war bereits erstaunlich profund. Doch um das empfindliche ATP (Adenosintriphosphat), unseren allgegenwärtigen Energiespender, zu isolieren, waren die damaligen Methoden zu harsch. Nur dessen Abbauprodukt, die Inosinsäure, gelang es zu entdecken.

Dass Muskeln – ob von Tier oder Mensch – viel ATP enthalten, ist verständlich. Schließlich verbrauchen die Muskeln etwa ein Drittel all unserer Energie. Auch die vielen »Pumpen« in allen Zellen, die lebenswichtige Konzentrationsunterschiede aufrechterhalten, haben einen enormen Energiebedarf. Schließlich verschlingen die Synthesen der körpereigenen Stoffe auch viel Energie.

Um für all diese Prozesse die nötige Energie bereitzustellen, wird der gesamte ATP-Vorrat des Körpers unglaublich schnell umgesetzt – ATP wird ständig produziert und sofort wieder verbraucht. Die Menge dabei entspricht täglich etwa unserer halben Körpermasse! 40 Kilogramm im Schnitt! Kein Wunder, dass die Evolution viele energieaufwendige Synthesen bei den Pflanzen beließ. So wurden die Vitamine und einige Amino- und Fettsäuren für uns zu unverzichtbaren Nahrungsbestandteilen.

Doch was ist das Geheimnis des ATP? Warum kann es so universell als Energiespender dienen? Das Zentrum des ATP-Moleküls ist ein Zuckerring, die Ribose. An diesen Ring sind eine organische Base, das Adenin, und drei linear miteinander verknüpfte Phosphatreste gebunden. In deren Bindungen steckt die für uns nutzbare Energie! Schon ein Blick auf die Formel macht das verständlich. Die vielen eng aneinandergedrängten negativen Ladungen der drei Phosphatreste stoßen einander ab! Wenn auch nur einer davon in eine andere Bindung ausweichen kann, tut er das gern.

ATP hat damit durchaus kein »Alleinstellungsmerkmal«. Verbindungen mit solchen »energiereichen Bindungen« gibt es noch einige mehr. Entscheidend ist, dass in der Evolution nur für das ATP mit unzähligen Enzymen, Motoren und Pumpen so viele Möglichkeiten entstanden, um diese Energie zu nutzen. Ein kleiner Teil davon wird stets als Wärme frei. Das sichert (kontrolliert natürlich!) unsere Körpertemperatur – und wenn es zu viel wird, geraten wir ins Schwitzen …

ATP wird uns nicht mit der Nahrung geliefert. Wir müssen es selbst bilden. Doch Liebig war überzeugt, dass in seinen Extrakten viele lebensnotwendige Stoffe leichtverdaulich enthalten sein müssen.

Denn der an Typhus erkrankten Tochter seines Freundes rettete sein Fleischextrakt das Leben. Schon bald war in seinen »Annalen« zu lesen: »Eine neue Fleischbrühe für Kranke«. Und auch heute enthält so manches als Kraftbrühe Etikettiertes im Grunde nichts anderes als Liebigs Fleischextrakt.

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