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Der Protest lebt noch

Mit Einzelaktionen zeigen Russen ihren Unmut über den Krieg und dessen Symbolik

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.
»Nein zum Krieg« steht an einem Tor in Moskau. Graffiti sind eine der wenigen verbliebenen Protestformen.
»Nein zum Krieg« steht an einem Tor in Moskau. Graffiti sind eine der wenigen verbliebenen Protestformen.

»Es geht um Abschreckung«, sagte Ludmilla Annenkowa einem wartenden Journalisten vor einem Moskauer Untersuchungsgefängnis, über das, was mit ihr und Natalja Perowa geschehen war. Die beiden Aktivistinnen kamen Anfang Juni wieder auf freien Fuß, nachdem sie für eine Anti-Kriegs-Performance eine sogenannte Administrativstrafe absitzen mussten. Ende Mai hatten die beiden Frauen in rot getränkten Kleidern vor dem Außenministerium protestiert. »Wir können das Blut nicht abwaschen«, nannten Annenkowa und Perowa ihre Aktion, für die sie sieben Tage ins Gefängnis mussten. Die Strafe sei eine Warnung an mögliche Nachahmer, doch lieber zu Hause zu bleiben, ist Annenkowa überzeugt. Es gehe darum, die Menschen zum Schweigen zu bringen.

Ende Februar und Anfang März gingen landesweit tausende Menschen gegen den Krieg in der Ukraine auf die Straße. Seitdem ist es still geworden in Russland, so scheint es. Aktuellen Umfragen zufolge stehen gut drei Viertel der Menschen in Russland hinter dem Vorgehen in der Ukraine. Das Protestpotenzial hingegen ist laut dem staatlichen Meinungsforschungsinstitut WZIOM auf 14 Prozent gesunken. Wie aussagekräftig diese Zahlen sind, ist schwer zu beurteilen. Verlässliche Umfrageergebnisse zu bekommen, ist seit Kriegsbeginn kaum machbar.

Der zunehmende staatliche Druck und die gigantische Ausreisewelle vor allem junger Menschen haben ihren Teil dazu beigetragen, den Protest zu minimieren. Erstickt ist er aber nicht. Landesweit tauchen immer wieder Aufkleber und Graffiti mit Antikriegsparolen auf. In Moskau und St. Petersburg hat sich in manchen Vierteln ein regelrechtes Katz-und-Maus-Spiel zwischen Kriegsgegnern und kommunalen Diensten entwickelt, die die Losungen entfernen oder übermalen müssen. Immer wieder machen Aktivist*innen mit Aktionen auf Verbrechen wie in Butscha aufmerksam oder solidarisieren sich mit dem »Brudervolk«. Wie Anton Gorban, der sich im April in Weliki Nowgorod in einer zugenähten ukrainischen Flagge auf den zentralen Platz der Stadt legte.

Für Aufsehen sorgt eine Serie von Brandanschlägen auf Musterungsbüros der russischen Armee. Landesweit gingen seit Kriegsbeginn 18 solcher Einrichtungen in Flammen auf. Im Netz kursieren die Videos von jungen Männern, die mit Molotowcocktails ihrem Frust freien Lauf lassen. Auch Luftpistolen kamen bereits zum Einsatz. Die »Täter« wollten damit die befürchtete Mobilisierung zumindest erschweren, spekulieren russische Medien. Regierungstreue Portale machen dafür ukrainische Geheimdienste verantwortlich, die Russ*innen angeblich bis zu 30 000 Rubel (480 Euro) zahlen, um staatliches Eigentum zu zerstören. Der Staat reagiert auf die Aktionen mit Anzeigen wegen Vandalismus oder versuchter Tötung und mobilen Rekrutierungsbüros.

Seit April wehren sich immer wieder Russ*innen gegen das »Z« als Symbol für die Unterstützung der russischen Armee, das an Häusern und Autos angebracht oder auf T-Shirts gedruckt wird. In Moskau und St. Petersburg wurden Autos mit einem »Z« wochenlang die Reifen zerstochen. In Jekaterinburg verfassten Studierende einen offenen Brief an ihren Rektor, der am Hauptgebäude ein riesiges Banner hochziehen ließ. Dies sei eine »politische Geste, die nicht der allgemeinen Position der Universität entspricht, aber in ihrem Namen veröffentlicht wird«, beschwerten sich die Studierenden. Die 600 Unterschriften gegen das Kriegssymbol wischte der Rektor im Mai als Fake weg und erklärte stattdessen, das Banner werde »auf unbestimmte Zeit« hängenbleiben. Auch in Kirow versuchen zurzeit Studierende gegen ein Kriegsbanner vorzugehen.

Die bekannte Rockband DDT hat aus Protest ihre Konzerte gleich auf »bessere Zeiten« verschoben, wie Sänger Juri Schewtschuk erklärte. Im April weigerte sich die Gruppe, in der Philharmonie von Tjumen aufzutreten, weil im dortigen Saal ein riesiges »Z« hing. »Ich kann unter einem solchen Buchstaben nicht auftreten«, so Schewtschuk damals. Im Mai legte der Sänger in Ufa nach und rief beim Konzert ins Publikum, Russland sei nicht der »Arsch des Präsidenten, den man die ganze Zeit speichellecken und küssen muss«. Die anschließende Anzeige wegen Diskreditierung der Armee wies ein Petersburger Gericht zurück.

In Nowosibirsk konnte der Zehntklässler Jewgenij Fokin durchsetzen, dass die Stadtverwaltung ein riesiges Plakat abhängen musste. Der Schüler hatte sich beschwert, weil das Banner nicht den Normen entsprach. Der Erfolg war allerdings nur von kurzer Dauer. Die Stadtverwaltung setze sich kurzerhand über die Entscheidung hinweg und bekundet seit einigen Tagen wieder über eine ganze Hausfront hinweg Unterstützung für die Truppe.

Aber manchmal wird der Staat zum unfreiwilligen Anti-Kriegs-Helfer. In Moskau monierte die städtische Inspektion zur Kontrolle der künstlerischen Gestaltung und Werbung die Verwendung des Georgsbands an der Fassade der Parteizentrale von »Gerechtes Russland« und fordert die Entfernung. Auf Telegram beschwerte sich Parteichef Sergej Mironow über die »übereifrigen Inspektoren«.

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