Lifestyle Literatur

Über ideelle und materielle Wirkungen der Bücher

  • Jörg Sundermeier
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein Buch ist ein Buch ist ein Buch. Doch ganz so einfach ist es nicht. Ein Buch ist, laut Brecht, eine »heilige Ware«, ein Produkt mithin, dem immens viel Aura zugesprochen wird. Ein Buch ist daher im besten Fall eben immer auch mehr als nur ein Buch; es trägt Wissenschaft in sich oder Kunst, wichtige Gedanken, Weltformeln, Worte, die berauschende Bilder evozieren, die die Fantasie beflügeln. Es ist in hoher Auflage reproduzierbar und gilt dennoch als Original, oft sogar als Kunstwerk.

Der georgisch-deutsche Philosoph Giwi Margwelaschwili hat mit seiner »Ontotextologie«, der Lehre vom belebenden Lesen, gezeigt, wieviel Macht in Büchern verborgen sein kann. Er wusste, dass es nicht nur die Buchfiguren sind, die der Handlung eines Romans unterworfen sind, also dem Willen des buchweltlichen Schöpfers, nein, selbst die Leserinnen und Leser können unter die Bücher geraten. Margwelaschwilis Leben etwa war geprägt von der Ideologie der Nationalsozialisten und der Stalinisten, die ja ihrerseits wieder in Büchern zu finden war. Von den Auswirkungen der Schriften, die die drei sogenannten – da zeigt es sich wieder – Buchreligionen hervorbringen, ist ja nicht selten gleich die halbe Welt betroffen.

Dennoch sind Bücher eben auch Produkte, Waren, die die Verlage vermarkten wollen. Und was stellen sie nicht alles an: Sie schalten Anzeigen in Zeitungen, lassen ihre Spitzentitel an Bahnhöfen plakatieren, sie produzieren Buchständer und manchmal sogar lebensgroße Pappkameraden, die eine Buchfigur oder gar die Autorin zeigen. In der FAS war nun am letzten Sonntag zu lesen, dass »Literatur als neues Lifestyleprodukt« gelte, denn: »Hüte mit eingesticktem Romantitel, Strumpfhosen oder Hoodies – immer mehr Verlage flankieren ihre Bücher mit Fashion-Drops und Fanartikeln.« Und tatsächlich gibt es nicht nur eigens designte Stoffbeutel zu Romanen oder T-Shirts, auf denen ein Buchcover abgebildet ist, es gibt sogar »Fanboxen« zu Büchern. Die Schriftstellerin Mirna Funk etwa bietet auf ihrer Homepage eine solche an, in der sich neben ihrem neuen Buch mit dem Titel »Who Cares!« weiteres »Who Cares!«-Material befindet, in der »Männerbox« etwa eine Kette mit dem Titel als Schriftzug, ein »T-Shirt in Männergröße, das signierte Buch und die Strumpfhose fürs Girlfriend oder so.« Und ja, es gibt wirklich sowohl eine »Frauenbox« als auch eine »Männerbox«.

Nun könnte man einwenden, dass Bücher schon immer auch ein Lifestyleprodukt waren, und dass viele sich gern mit einem gut ausgestatteten und sichtbar in der Wohnung aufgestellten Bücherregal schmücken, aus dem die oben erwähnte Aura der Bücher auf die Besucherinnen und Besucher einwirken soll – und helfen sollte, das Image des Buchregalbesitzers aufzupolieren. Nun aber hat, so berichtet die FAS, der Verlag DTV »einen kompletten Merchandisestore aufgesetzt, in dem es Baseballkappen und Kapuzenpullover mit Slogans auf der Brust zu kaufen gibt« – das hat dann doch eine neue Qualität. Wird die heilige Ware also immer mehr zum reinen Produkt und entsprechend auf jede erdenkliche Weise vermarktet? Werden Buchtitel und -figuren nicht mehr über das Urheberrecht, sondern gleich via Markenrecht abgesichert? Werden wir bald in der Fußgängerzone jungen Intellektuellen begegnen, auf deren Pullover zu lesen ist: »Der Einzige und sein Eigentum«? Werden bald T-Shirts mit dem Aufdruck »Der eindimensionale Mensch« zum Fashion-Trend? Gibt es bald Schlüpfer, denen »Negative Dialetik« eingestickt ist? Es steht zu fürchten.

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