In Antragsfluten

Der Linke-Parteitag muss Leitfäden zu Außenpolitik, sozial-ökologischem Gesellschaftsumbau, Parteiaufbau und Strukturreformen beschließen

Die Antragskommission, die in den Wochen vor dem Linke-Parteitag Hunderte Änderungsvorschläge zu den Grundsatzpapieren des Vorstands sowie zahlreiche Ersetzungsanträge dazu sortieren und zur Abstimmung vorbereiten muss, ist nicht zu beneiden. Durch Hunderte Dateien und Papiere musste sie sich Wochen wühlen, um am Ende das Abstimmungsverfahren in einem überschaubaren zeitlichen Rahmen zu halten. Denn die Genossinnen und Genossen haben nur von Freitagmittag bis Sonntagmittag Zeit, aktuelle Leitfäden zur Außen- und Friedenspolitik, zu einem Gesellschaftumbau, der Klimaschutz sozial gerecht gestaltet, und nicht zuletzt zur Strategie, mit der Die Linke aus ihrer tiefen Krise herauskommen soll.

Nach Enthüllungen über Fälle von Sexismus und sexueller Belästigung sollen zudem die vom Vorstand vorgeschlagenen »Maßnahmen zur Solidarität mit Betroffenen und konsequentes Handeln gegen Sexismus, Grenzüberschreitungen und sexualisierte Gewalt« beschlossen und vorher intensiv diskutiert werden. Ein übervolles Programm haben die Delegierten des 8. Parteitages also in dessen erster Tagung zu absolvieren, denn parallel läuft auch noch die Neuwahl der Parteispitze, die erst seit Februar 2021 im Amt ist. Insbesondere letztere ist der Krise der Linken nach zahlreichen Wahlniederlagen geschuldet.

Insbesondere in Sachen Friedenspolitik ist eine harte inhaltliche Auseinandersetzung zu erwarten. In Bezug auf den Ukraine-Krieg mehren sich die Stimmen, die für Waffenlieferungen an die ukrainischen Streitkräfte votieren, mit dem Ziel, die Eroberung von Gebieten durch die russische Armee zu verhindern oder einzudämmen und Kremlchef Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen. Bislang scheint die Mehrheit dagegen aber groß zu sein.

Auf der anderen Seite scheinen jene, die der Darstellung Moskaus folgen, man müsse die Ukraine »denazifizieren«, um eine direkte Bedrohung Russlands zu stoppen, in der Linken eine kleine Minderheit zu sein. Die übergroße Mehrheit verurteilt den russischen Angriff indes eindeutig, dies ist auch im Leitantrag des Bundesvorstands klar formuliert.

Die Geister scheiden sich aber daran, ob die Nato, insbesondere die USA, aber auch die EU und Deutschland mitverantwortlich dafür sind, dass es dazu kam. Viele in der Partei sind dafür, die Nato weiter scharf als aggressives Militärbündnis zu kritisieren und ihren Anteil an der Eskalation des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine zu thematisieren. Insbesondere aus dem Reformerlager der Partei kommt indes die Forderung, auch ihre Einschätzung zum Nordatlantikpakt zu überdenken. Die Bundesvorsitzende Janine Wissler, die in Erfurt erneut für dieses Amt kandidiert, stellte dazu am Donnerstag gegenüber »nd« klar: »Die russische Führung trägt die Verantwortung für die Eskalation.« Zwar habe der Krieg eine Vorgeschichte unter anderem mit der seit 1991 vollzogenen Nato-Osterweiterung. »Aber das ist keine Rechtfertigung für einen Angriffskrieg«, betonte Wissler und fügte hinzu: »Unser Parteitag in Erfurt sollte hier ein klares Signal geben: Wir messen nicht mit zweierlei Maß.« Die Linke sei »die einzige Stimme für Deeskalation, Frieden und gemeinsame Sicherheit. Wir müssen sie lauter und stärker machen«, so Wissler.

Ob Die Linke Sanktionen gegen Russland fordern sollte und wenn ja, welche, ist unter den Genossen höchst umstritten. Während im Leitantrag des Vorstands eine Mittelposition formuliert wird, derzufolge die Partei für gezielte Sanktionen gegen Oligarchen und den militärisch-industriellen Komplex Russlands eintreten soll, verlangen Politiker wie Wulf Gallert, der für das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden kandidiert, umfassende Energieembargos, auch wenn dies der heimischen Wirtschaft sehr wahrscheinlich mehr schadet als der russischen und damit auch dem politischen System. Parteichefin Wissler sagt demgegenüber: »Sanktionen, die die Breite der Bevölkerung treffen, sind aus linker Sicht abzulehnen.«

In einem unter anderem von der Europaparlamentarierin Özlem Alev Demirel und dem Vorsitzenden der Europäischen Linken, Heinz Bierbaum, eingereichten Ersetzungsantrag zu dem des Parteivorstands unter dem Titel »Ohne Wenn und Aber gegen Krieg und Aufrüstung!« werden Sanktionen indes generell abgelehnt. Vielmehr wird darin verlangt, Die Linke müsse sie als Teil eines »Wirtschaftskrieges« ablehnen, der nichts dazu beitragen könne, den Krieg zu beenden und stattdessen nur »harte Einschnitte für die einfache Bevölkerung in Russland« nach sich ziehe. Dies berge die Gefahr, »dass sich große Teile der russischen Bevölkerung mit der Putin-Regierung gegen ›den Westen‹ solidarisieren«, was oppositionelle Kräfte schwäche. Zudem werde dadurch die Gefahr von Hungersnöten weiter gesteigert.

Vor dem Parteitag ist unterdessen Sahra Wagenknecht auf Kritik an einem von ihr mit eingereichten Antrag eingegangen. Er beinhaltete die Streichung einer Passage im Leitantrag, in der es heißt: »Unsere Solidarität gilt den Menschen in der Ukraine, die leiden, Widerstand leisten oder flüchten müssen. Unsere Solidarität gehört ebenso den Menschen in Russland, die sich gegen den Krieg stellen, desertieren und dafür Verfolgung befürchten müssen.« Dafür war ein längerer Absatz vorgeschlagen worden, in dem unter anderem geopolitische Hintergründe des Krieges erläutert und die Rolle der Nato kritisiert wird. In Interviews betonte Wagenknecht nun, die Darstellung von Linke-Mitgliedern und Medien, wonach mit dem Antrag die Solidaritätsbekundung verschwinden sollte, sei eine »bewusste Verfälschung«. Auch bei Annahme des Antrags hätte es, so Wagenknecht, weiterhin an »vielen Stellen« des Leitantrags solche Bekundungen gegeben. Die frühere Chefin der Linksfraktion fügte hinzu, der betreffende Antrag sei nun geändert worden, die ursprüngliche Passage im Leitantrag zur Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung werde nun »übernommen«.

Kurz vor dem Parteitag war auch noch eine Debatte um das Bekenntnis der Linken zum Völkerrecht entbrannt. Im Leitantrag des Vorstands heißt es dazu unter anderem: »Wir nehmen keine Verletzung des Völkerrechts hin.« Eine Gruppe um den Berliner Kultursenator Klaus Lederer will den Satz streichen lassen. Dies wird damit begründet, dass das Völkerrecht »in bestimmten Fällen mit der Verteidigung der Menschenrechte im Konflikt« stehe. In bestimmten Situationen könne die Berufung auf »den Grundsatz der Nichteinmischung« im Völkerrecht dazu dienen, »nichts gegen die massive Verletzung der Menschenrechte zu unternehmen«.

Nachdem der Vorstand die Streichung des Satzes bereits in den Leitantrag übernommen hatte, wurde dies inzwischen wieder rückgängig gemacht, wie ein Vorstandssprecher am Donnerstag gegenüber »nd« mitteilte. Nun werde auf dem Parteitag über den Antrag abgestimmt. Der Sprecher betonte zugleich, das Bekenntnis zum Völkerrecht sei an mehreren anderen Stellen im Leitantrag enthalten.

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