nd-aktuell.de / 26.06.2022 / Berlin / Seite 1

Ein Kommen und Gehen bei den Linken

Zwei Neumitglieder erzählen, warum sie jetzt in die Partei eingetreten sind

Andreas Fritsche

Am 24. Februar ist Leonie Radke in die Linkspartei eingetreten. Das war der Tag, an dem russische Truppen in die Ukraine eingefallen sind. Aber damit hatte ihr Entschluss nichts zu tun. Die 17-jährige Gymnasiastin aus Jüterbog hatte sich das bereits vorher überlegt. Es begann vor der Landratswahl in Teltow-Fläming am 26. September vergangenen Jahres. Am selben Tag war auch die Bundestagswahl. Aber an der Bundestagswahl durfte sich Leonie Radke nicht beteiligen, weil sie noch nicht volljährig ist. Doch bei Landtags- und Kommunalwahl dürfen in Brandenburg auch 16- und 17-Jährige ihre Stimme abgeben – und eine Landratswahl ist eine kommunale Wahl.

Radke sah sich die einzelnen Parteien genau an, um zu entscheiden, welchen Kandidaten sie ankreuzt. Dabei hat sie herausgefunden, dass ihr Die Linke mit Abstand am meisten zusagt. Die Gymnasiastin hat dann auch am 26. September und später in der Stichwahl für Landrätin Kornelia Wehlan (Linke) gestimmt, die gegen den Trend ihrer Partei einen Sieg einfahren konnte und Landrätin geblieben ist.

Für Leonie Radke war die Angelegenheit damit aber nicht beendet. Sie hat ihrer Mutter gesagt: »Später trete ich mal in Die Linke ein.« Da hat ihre Mutter gefragt: »Warum später und nicht gleich?« Ja, warum eigentlich nicht? Die Linke nimmt junge Menschen ab 14 Jahre in ihre Reihen auf. Als Leonie Radke bei einem Gedenken an die Todesopfer der Corona-Pandemie eine ehemalige Nachbarin getroffen hat, von der sie wusste, dass diese Genossin ist, hat sie ihr gesagt: »Ich möchte auch Mitglied werden.« So war das.

Wenn es Die Linke nicht geben würde, dann stünde sie vielleicht der SPD am nächsten, meint die 17-Jährige, die nach dem Abitur Biologie studieren möchte. Aber die Schnittmengen mit der SPD sind bei ihr nicht so groß, dass sie auf die Idee gekommen wäre, bei den Sozialdemokraten Mitglied zu werden.

»Soziale Gerechtigkeit ist mir sehr wichtig und dass Die Linke gegen Rassismus ist«, begründet Radke ihren Entschluss. Auch das Stichwort »Feminismus« nennt sie. Zu den Sexismus-Vorwürfen im hessischen und in anderen Landesverbänden sagt sie: »Das fand ich ganz schrecklich. Das hat mich geschockt, dass so etwas in der Linken passiert.« Zumindest hat der Landesverband Brandenburg sehr schnell beschlossen, eine unabhängige Kommission einzusetzen und eine Befragung durchzuführen.

Die Eltern seien beide parteilos, finden es aber richtig, dass sich ihre Tochter politisch engagiert, sagt Radke. Dass die Genossen in Jüterbog fast alle älter sind als sie selbst und es nur noch ein paar andere junge Leute in den umliegenden Dörfern gibt, stört sie nicht. Sie versteht sich auch gut mit den alten Genossen, mit denen sie ein Kinderfest auf die Beine gestellt hat. »Ich finde es schade, dass Die Linke bei den Wahlergebnissen und in den Umfragen so weit unten ist[1].« Radke möchte einen Beitrag leisten, die Partei zu retten.

4978 Mitglieder zählte der Landesverband Brandenburg mit Stand 31. Dezember 2021. Das waren 251 weniger als ein Jahr zuvor. Und von Ende vergangenen Jahres bis jetzt hat die Linke unter dem Strich auch schon wieder rund 200 Mitglieder eingebüßt. Das ist kein Wunder, wenn man bedenkt, dass über 900 Genossen älter als 85 Jahre sind. Fast 3000 der insgesamt 4800 Mitglieder sind im Rentenalter. 204 sind im vergangenen Jahr verstorben. Ausgetreten sind 232 Genossen. Es sind aber auch 172 Brandenburger eingetreten.

So geht es weiter. Enttäuscht ausgetreten wegen des Umgangs seiner Partei mit dem Krieg in der Ukraine ist zuletzt etwa Brandenburgs ehemaliger Finanzminister Helmuth Markov. Er hatte einst in Kiew studiert und jetzt die nach Polen geflohene Witwe seines besten Studienfreundes samt Kindern und Enkelkindern nach Deutschland geholt, sie zunächst in seinem Haus beherbergt und ihnen dann eine Wohnung in Hennigsdorf besorgt. Markov nennt den russischen Angriff völkerrechtswidrig und hat trotzdem auch Kritik am Verhalten des Westens gegenüber Russland.

Es sind aber seit Beginn der Kämpfe in der Ukraine auch Menschen neu zur Partei gestoßen. Bis jetzt 35 Personen, darunter Lucas H.. Aber auch bei ihm hatte es wie bei Leonie Radke mit dem Krieg nichts zu tun. Auch er hatte sich diesen Schritt, den er am 19. März machte, schon länger überlegt. »Für den Frieden, gegen Aufrüstung, das kann ich grundsätzlich unterschreiben«, sagt er. »Aber bei mir war das nicht der Beweggrund. Ich habe schon lange darüber nachgedacht.« Freunde des 33-Jährigen sind bereits Mitglied und dann hat er Bücher von Sahra Wagenknecht und Katja Kipping gelesen, die ihm gut gefielen.

Dass ihn die Krise der Partei, ihr schlechtes Abschneiden bei der Bundestagswahl 2021 veranlasst hätten, nicht mehr abseits zu stehen – das war es ebenfalls nicht. Ihn stört einfach die ungleiche Reichtumsverteilung, dass es zu wenig Lohn für Erzieher und zu wenig Geld für das Bildungswesen gibt. Die Gesellschaft braucht ein linkes Korrektiv, ist Lucas H. überzeugt. Ob sich die Partei nicht trotzdem mit ihren Streitereien selbst beerdigt? Hat er da keine Angst, dass es die Partei, der er beigetreten ist, schon bald nicht mehr gibt? »Ein bisschen Sorge macht mir das schon«, gibt er zu. »Aber eigentlich habe ich auch ganz viel Hoffnung.« Geboren und aufgewachsen ist Lucas H. in Berlin. Seine Eltern stammen aus Süddeutschland. Kürzlich ist Lucas H. nach Potsdam gezogen und arbeitet als Erzieher in einem Schulhort. Vielleicht könnte er in der neuen Stadt in der Partei neue Leute kennenlernen. Das sei so ein schöner Nebeneffekt, habe er sich gedacht, sagt Lucas H.. Zunächst wird er jedoch wenig Zeit für Parteiarbeit haben. Er ist Vater geworden. Seine Tochter ist neun Monate alt. Da braucht der 33-Jährige Zeit für die Familie.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1163352.meinungsforschung-linke-in-umfrage-auf-historischem-tief.html?