nd-aktuell.de / 27.06.2022 / Kommentare / Seite 1

Kohlestrom mit Hundeblick

Die Liste der ökologischen Sünden der Ampel-Regierung ist lang - und dürfte mit der Gaskrise noch länger werden, meint Christoph Ruf.

Christoph Ruf
Kohlekraftwerke könnten noch lange CO2 in die Luft blasen.
Kohlekraftwerke könnten noch lange CO2 in die Luft blasen.

Kann es sein, dass wir gerade die wichtigste politische Frage überhaupt am allerwenigsten beachten?

Ich gehöre nicht zu denen, die irgendwelche Zweifel an der Schuldfrage beim russischen Angriff auf die Ukraine haben und habe Putin schon immer für einen autoritären, homophoben und skrupellosen Wicht gehalten. Aber ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen, wenn der gleiche Westen, der ein Wirtschaftsembargo gegen Russland verhängt hat, nun gar schröcklich »Erpressung« greint, weil Putin nicht das Gas liefert, das man dann doch ganz gerne hätte. Ich würde mich jedenfalls nicht wundern, wenn mir mein Bäcker keinen Kuchen mehr verkauft, nachdem ich im ganzen Stadtteil einen Boykott seiner Brote und Brötchen durchgesetzt habe.

Gas wird jetzt also knapp. Und dass es nicht ganz einfach ist, einer derart energiehungrigen Nation wie der deutschen Alternativen aus dem Hut zu zaubern, sehe ich ein. Allerdings würde ich von einem Grünen-Minister jetzt zweierlei erwarten: Zum ersten, dass er zumindest darüber nachdenkt, ob man für eine Übergangszeit die drei Atomkraftwerke am Netz lässt. Vor allem aber, dass er alles, aber auch wirklich alles tut, um Energie einzusparen. Wann denn, wenn nicht jetzt?

Zur Kernkraft: Dass die, das meine ich ganz unironisch, ein Teufelszeug ist, sollte seit Tschernobyl und Fukushima jeder wissen. Allerdings setzt sie im Gegensatz zu Kohle und Gas keine CO2-Emissionen frei, und wir leben in einer Welt, die nur noch wenige Jahre hat, um künftigen Generationen noch ein halbwegs erträgliches Leben zu ermöglichen. Da stellt sich irgendwie doch, sollte man meinen, auch die Frage, ob fossile Brennstoffe nicht noch diabolischer sind als Nuklearenergie.

Die Grünen sind schon eine merkwürdige Partei. Bis zur kompletten Selbstaufgabe bereit, alles, was noch inhaltlich in Verbindung mit ihnen gebracht wird, in Koalitionen mit wemauchimmer aufzugeben. Aber hochideologisch, wenn es ums Atom oder eine Integrationsbeauftragte geht, gegen die so viele fortschrittliche Muslime revoltieren, dass eigentlich selbst rotgrüne MdBs nachdenklich werden müssten.

Andererseits ist die Liste der ökologischen Sünden dieser Regierung schon jetzt so lang, dass einen nun auch die forcierte Kohle-Verstromung nur noch wenig wundert. Gleich zwölf neue LNG-Terminals zur Lagerung von Flüssiggas aus Amerika sollen gebaut werden – um gleich mal richtig Fakten zu schaffen. 800 neue deutsche Autobahnkilometer gibt es obendrauf, und weil das alles so schön ist, werden von Deutschland aus auch in Afrika Investitionen in fossile Energie-Anlagen geplant.

Dass das alles ein grüner Minister zu verantworten hat und nicht etwa einer von der FDP, merkt man daran, dass Robert Habeck todtraurig dreinschaut, wenn er die vermeintlich alternativlosen ökologischen Sünden verkündet, während Lindner wohl bei der öffentlichen Verkündung der nächsten Beton- und Abgasorgie eine Flasche Champagner entkorkt hätte. Und vielleicht würde man Habeck sogar glauben, dass er innerlich leidet wie ein Hund, wenn er in den Wochen seit dem Ukraine-Krieg irgendetwas getan hätte, um die Stromverschwendung zu erschweren. Ideen gäbe es da so einige. Jede Wette, dass kaum noch einer eine Bierdose statt einer Pfandflasche kaufen würde, wenn Aluminium mit einer hohen Steuer belegt würde. Wie wäre es mit Fahrverboten (gab es schon in den 70ern)? Prämien fürs Energiesparen statt Subventionen fürs Verschwenden und Fliegen? Gratis-ÖPNV? Überhaupt: Endlich eine sozial gerechte Mobilitätswende? Man hätte einiges Sinnvolles machen können mit den 100 Milliarden Euro, die die »Zeitenwende«-Regierung stattdessen in die Rüstung steckt.

Zur traurigen Wahrheit gehört allerdings aus, dass nicht nur »die Politik« permanent andere Sorgen hat als sich um die wirklich allerfundamentalste zu kümmern. Den meisten ihrer Wählerinnen und Wähler geht es offenbar genauso. Zumindest ich habe in den letzten Wochen nichts von irgendwelchen Demos oder sonstigen Protesten gegen die Klimapolitik der Ampel gehört. »How can we sleep when our beds are burning?«, hieß ein 1987 aufgenommener Song. Die Frage, die Midnight Oil damals aufgeworfen haben, wäre dann wohl auch beantwortet. Wir schlafen alle ganz prima in brennenden Betten. Ist so schön warm.