nd-aktuell.de / 06.07.2022 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Zuhause im Arbeitsstress

Rund 4,5 Millionen Beschäftigte leisteten im Jahr 2021 Überstunden

Simon Poelchau

Überstunden und unbezahlte Mehrarbeit sind für viele Beschäftigte an der Tagesordnung. Insgesamt arbeiteten 4,5 Millionen Arbeitnehmer*innen im Jahr 2021 länger als vertraglich mit den Chefs vereinbart. Dies geht aus Zahlen hervor, die das Statistische Bundesamt am Mittwoch veröffentlichte. Damit leisteten rund zwölf Prozent der Beschäftigten Überstunden. Männer leisteten sie mit einem Anteil von 14 Prozent etwas häufiger als Frauen. Bei diesen lag der Anteil bei zehn Prozent.

Die Ergebnisse erhielten die amtlichen Statistiker*innen über den Mikrozensus 2021. Mit rund 810 000 Interviewten ist dies die größte Haushaltsbefragung in Deutschland. Dabei kam auch heraus, dass mit 29 Prozent mehr als ein Viertel der Beschäftigten, die Mehrarbeit leisten, mit über 15 Stunden pro Woche besonders viele Überstunden machen. Und häufig ist diese Zusatzarbeit unbezahlt. Zwar können 72 Prozent der Beschäftigten ihre Überstunden über Arbeitszeitkonten ausgleichen. Doch bei 22 Prozent und damit mehr als jedem Fünften bleibt die Mehrarbeit unbezahlt.

Für Bettina Kohlrausch sind diese Zahlen »beunruhigend«. Vor diesem Hintergrund werde noch einmal deutlich, »wie unnötig und kontraproduktiv Diskussionen über eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit sind«, sagte die wissenschaftliche Direktorin des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung laut Nachrichtenagentur AFP. Wer Fachkräfte halten wolle, müsse sich um attraktive Arbeitsbedingungen kümmern, »dazu um Arbeitszeitarrangements, die zum Beispiel Spielräume für eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Leben lassen«.

Dabei ist der vermehrte Einsatz von Homeoffice und mobiler Arbeit im Zuge der Pandemie[1] offenbar eine zweispältige Angelegenheit. »Einerseits schätzen viele Beschäftigte, die digitalisiert und mobil arbeiten, die Flexibilität dieser Arbeitsform«, schreibt die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Yasmin Fahimi, im Vorwort zu einer jüngst veröffentlichten DGB-Studie. »Andererseits arbeiten sie deutlich häufiger zu atypischen Zeiten, leisten mehr unbezahlte Arbeit und müssen für den Betrieb auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit häufiger erreichbar sein.«Für die Studie im Rahmen des DGB-Index »Gute Arbeit« interviewte der Gewerkschaftsbund in einer repräsentativen Studie Beschäftigte im Frühjahr 2021 zu Homeoffice und mobiler Arbeit.

Demnach gaben 41 Prozent der Befragten an, zumindest gelegentlich von zu Hause aus zu arbeiten, fast jede*r Dritte (31 Prozent) tat dies sehr häufig oder oft. Besonders häufig kam es zum Beispiel bei IT-Berufen, in Forschung und Entwicklung, der Versicherungs- und Finanzbranche und der öffentlichen Verwaltung zu Homeoffice.

Vieles deutet darauf hin, dass die Arbeit im Homeoffice nach dem Auslaufen der Pandemie verbreiteter bleiben wird als zuvor. »Manche Beobachter sprechen von einem ›Neuen Normal‹ der Arbeitswelt, in dem die Beschäftigten ihre Arbeit ›hybrid‹, das heißt sowohl inner- als auch außerhalb des Unternehmens, erledigen können«, heißt es dazu in der Studie. Dafür sprächen zum einen die Wünsche vieler Angestellten nach einer größeren Selbstbestimmung über Arbeitszeit und -ort, und zum anderen Unternehmenskonzepte, die auf eine höhere Produktivität, eine gesteigerte Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt, aber auch auf Einsparungen bei den Büroflächen abzielten.

Dabei geht der Trend zum Homeoffice häufig auch zu Lasten der Beschäftigen. Laut der DGB-Studie machen 28 Prozent der überwiegend mobil oder zu Hause Arbeitenden häufig Überstunden, fast 50 Prozent verkürzen zu Hause die Mittagspause. Zudem verschwimmt beim Arbeiten daheim die Grenze zwischen Job und Freizeit. 32 Prozent gaben an, dass von ihnen sehr häufig oder oft erwartet werde, auch außerhalb der Arbeitszeit erreichbar zu sein. Ebenfalls 32 Prozent gaben an, sehr häufig oder oft abends zwischen 18 und 23 Uhr zu arbeiten.

Besonders Zeitdruck treibt die Entgrenzung voran. Die Folge des ganzen Stresses[2]: Es fällt schwerer, nach der Arbeit den Kopf frei zu bekommen. Fast die Hälfte aller Beschäftigten, die hauptsächlich mobil oder im Homeoffice arbeiten, klagen darüber, dass sie in ihrer Freizeit sehr häufig oder oft nicht abschalten können.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1158700.g-am-arbeitsplatz-g-und-homeoffice-pflicht-kommen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164406.arbeit-burn-out-statt-barrikade.html