Lindner schreibt die Ärmsten ab

Geplante Einsparungen bei Langzeitarbeitlosen sorgen für massive Kritik, sogar bei der Union

  • Martin Höfig
  • Lesedauer: 4 Min.

»Lieber hackedicht als Unterschicht«, sagt eine junge Frau im Business-Kostüm in die Kamera und lacht schäbig. Sie tut dies in einem aktuellen Video von der Insel Sylt, irgendwo im Internet, das der medial längst ausgeschlachteten kleinen Punkerinvasion dort die Erben der reichen westdeutschen Elite gegenüberstellt. Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner, der bereits mit 14 Jahren in die Jugendorganisation der FDP eintrat, befindet sich zurzeit auf der Distinktionsinsel des westdeutschen Geldadels. Er heiratet dort dieser Tage die Journalistin Franca Lehfeldt, Hochzeitspaar und Gäste werden laut »Spiegel« im »Severin’s Resort & Spa« unterkommen. Die Hotelanlage hat unter anderem einen 2000 Quadratmeter großen Wellnessbereich, die Kosten für eine Übernachtung liegen bei 390 bis 3500 Euro pro Nacht.

Während Lindner seinem ganzen Habitus entsprechend auf Sylt den großen Zampano gibt, wurden am Donnerstag weitere Informationen aus dem Haushaltsentwurf des Kabinetts für 2023 öffentlich. Demnach will der Bundesfinanzminister in den kommenden Jahren massiv bei der Förderung von Langzeitarbeitslosen sparen. Konkret sollen für das kommende Jahr »Leistungen zur Eingliederung in Arbeit« in der Grundsicherung für Arbeitsuchende von aktuell gut 4,8 Milliarden Euro auf 4,2 Milliarden Euro gekürzt werden – das wäre ein Minus von insgesamt 609 Millionen Euro.

Selbst die CDU spielt hier Opposition und gibt sich entsetzt über die neuerliche neoliberale Offensive des FDP-Finanzministers. »Insbesondere trifft das Langzeitarbeitslose, deren Eingliederung in den Arbeitsmarkt und soziale Teilhabe nun schwieriger wird«, bringt CDU-Sozialexperte Kai Whittaker Lindners Anliegen auf den Punkt. Darüber hinaus beklagt der CDU-Mann: »Nachhaltig ist dieser Sozialkahlschlag ganz sicher nicht«, was man auch so verstehen könnte, dass er selbst nachhaltigere Sozialkahlschläge in petto hat.

Auch für die Linksfraktion wäre eine entsprechende Kostenreduktion eine »krasse Bankrotterklärung«, so deren sozialpolitische Sprecherin Jessica Tatti. »Statt zwanghaft an der Schuldenbremse festzuhalten, muss die Bundesregierung in dieser Krise endlich die massiven Übergewinne der Konzerne besteuern«, forderte sie. Dies blockiert der FDP-Mann aber schon lange und genauso vehement wie eine Vermögenssteuer. Dass Lindner lieber den Rotstift bei den Langzeitarbeitslosen ansetzt, wundert Tatti nicht. »Aber wenn Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, die SPD überhaupt und die Grünen da mitmachen, verspielen sie auch noch den letzten Rest an sozialpolitischer Glaubwürdigkeit«, warnt die Linken-Abgeordnete.

Aus dem SPD-geführten Bundesarbeitsministerium hieß es zur Berichterstattung über mögliche Kürzungen beim Sozialen Arbeitsmarkt nur allgemein, »der Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil, wird sich weiterhin für eine aktive Arbeitsmarktpolitik und für eine entsprechende dauerhafte Mittelausstattung des sozialen Arbeitsmarkts stark machen«. Dieser sei ein hocherfolgreiches Instrument, um Langzeitarbeitslose in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu bringen, so Heils Sprecherin Franziska Haas. Und: »Die für den Bundeshaushalt 2023 im vorgesehenen Mittel für Eingliederungsleistungen bewegen sich auf dem Niveau dessen, was im Jahr 2019 für Eingliederung ausgegeben worden ist. Über die endgültige Ausstattung des Eingliederungstitels entscheidet der Deutsche Bundestag.«

Auch bei den Sozialverbänden herrscht Unverständnis gegenüber Lindners Vorstoß. So erklärte Maria Loheide, Vorständin für Sozialpolitik der Diakonie Deutschland: »Den Rotstift gerade bei der Förderung von Arbeit und Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen und Geringqualifizierten anzusetzen, ist unanständig. Herr Lindner sollte sich darauf besinnen, dass er für alle in der Gesellschaft Verantwortung trägt und nicht nur für Wohlhabende und gut Qualifizierte.« Bereits in der vergangenen Woche hatte die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gesine Lötzsch, Lindner unterstellt, jene, die am meisten unter der herrschenden Inflation leiden, mit Almosen abzuspeisen, während er die Vermögenden schone wie ein gelernter Vermögensverwalter. Der heutige Bundesfinanzminister hat tatsächlich genau das von der Pike auf gelernt. Wie ein »Stern-TV«-Beitrag aus dem Jahr 1997 zeigt, war er bereits als 16-Jähriger in Anzug und Krawatte und geliehenem Angeberauto unterwegs, um Unternehmer in Neoliberalismus zu schulen.

Dass die Veröffentlichung seiner Kürzungsoffensive bei Arbeitslosen nun mit seiner eigenen pompösen Hochzeit zusammenfällt, führt in den sogenannten sozialen Medien zu einer heftigen Debatte. Unter dem Hashtag #FDPmachtkrank machen auf Twitter viele Menschen ihrem Ärger darüber Luft, dass ihnen seit Wochen gesagt wird, den Gürtel enger zu schnallen, während es einige Spitzenpolitiker offenbar weiter krachen lassen. »Ein Schlag in die Fresse all derer, die ab Mitte des Monats nicht mehr wissen, wie sie sich Essen leisten können«, heißt es dort.

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