nd-aktuell.de / 11.07.2022 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

In direkter Klimaaktion

Politische Überlegungen zu Organisierung und direkten Aktionsformen in der Klimabewegung

Haidy Damm

Die Fotografien der Klimabewegung zeigen oft Menschen in weißen Maleranzügen, die – wenn’s gut läuft – auf riesigen Kohlebaggern sitzen. Das ist eindrucksvoll und Teil erfolgreicher Massenaktionen. Die Ergebnisse direkter Aktionen dagegen sind selten Teil der Medienberichterstattung – auch weil sie selbst die Augen der Öffentlichkeit meiden. Dennoch gibt es direkte Aktionen in der Klimabewegung, und das gar nicht so wenige. Das zeigt das im Juni veröffentliche Buch »Glitzer im Kohlestaub. Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Autonomie«, herausgegeben von »Zucker im Tank«, einer aktivistischen Gruppe, deren Hauptziel es ist, »Menschen zu direkten Aktionen gegen den fossilen Kapitalismus zu ermutigen und zu befähigen«.

Aus der Arbeiter*innenbewegung kommend, beinhalten direkte Aktionen ein relativ breites Spektrum an Möglichkeiten. Oft werden militante Aktivist*innen jedoch mit der Gewaltfrage konfrontiert, was aber nicht zwangsläufig zutrifft, wie Schienenblockaden etwa mit Betonklötzen seit den Castor-Tagen der Anti-AKW-Bewegung zeigen. Doch es geht im Buch neben klassischer Bildungsarbeit und Organisierung auch um Sabotageaktionen, die ebenfalls bereits einen Platz im Repertoire der Aktionsformen der Klimabewegung haben. So wurde aus »Salz in der Suppe«, wie militante Aktivist*innen ihre Aktionsformen in früheren Bewegungen gerne betitelt haben, in der Klimabewegung »Glitzer im Kohlestaub«. »Aktuell wird heiß diskutiert, ob da noch mehr gehen könnte. Da die bisherigen Maßnahmen der Bewegung der kapitalistischen Zerstörungswut recht wenig Einhalt gebieten konnten, ist diese Debatte zu begrüßen«, heißt es im Buch.

Gesammelt haben die Herausgeber*innen mehr als 60 Texte zu den Wurzeln der Klimabewegung, ihrer Entwicklung und zum aktuellem Stand. Hinzu kommen spannende Aktionsberichte und vielfältige Einblicke in Waldbesetzungen in Deutschland, die im Buch generell einen großen Raum einnehmen. Gleiches gilt für die von Tagebauen bedrohten Dörfer und deren Widerstand, auch hier mit Rückblicken wie etwa die Besetzungen im brandenburgischen Lacoma.

Ergänzt werden die Texte mit Interviews, etwa mit dem Netzwerk Ende Gelände oder einer Anarchistin bei Fridays for Future. Berichte von Aktivist*innen im Rollstuhl ebenso wie die Klassenfrage bei der Waldbesetzung oder Rassismus in der Klimabewegung bieten eher seltene Einblicke für die Leser*innen. Dabei sind vor allem die Texte zur Auseinandersetzung um Aktionsformen erfrischend wohlwollend, um »kritisch nach innen und solidarisch nach außen als geeinte Bewegung verschiedenster Akteur*innen aufzutreten«. Schon die Anti-AKW-Bewegung hat gezeigt, dass gerade ihre Vielfältigkeit ihre Stärke ausgemacht hat.

Auch wenn die Erfahrungsberichte überwiegend aus Deutschland stammen, wird bereits in der Einleitung darauf verwiesen, dass die Klimagerechtigkeitsbewegung mitnichten eine neue oder gar europäische ist. »Dieses Bild ist so fatal wie falsch«, schreiben die Herausgeber*innen. »Unzählige Menschen der MAPA (Most affected People and Areas, dt.: am stärksten betroffene Menschen und Regionen) protestieren seit vielen Jahrzehnten in teilweise riesigen Bewegungen gegen Umweltzerstörung, Verdrängung und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen.« Um dieser weltweiten Bewegung gerecht zu werden, gibt es im Buch eine Übersicht über Aktionen und Bewegungen in anderen Teilen der Erde.

Menschengemacht sei die Klimakrise zwar, aber eben nicht von allen zu gleichen Teilen. So ignoriere der Begriff Anthropzän, »die in diesen Prozessen eingeschriebenen Ungleichheiten und Gewaltverhältnisse, die den Klimawandel überhaupt erst hervorgebracht haben«. Nicht die Industrialisierung stelle dessen Ausgangspunkt dar, sondern der Kolonialismus des 16. Jahrhunderts. Folglich seien vor allem jene Länder, Menschen und Gemeinschaften am stärksten von der Klimakrise betroffen, die in der Vergangenheit kolonialisiert wurden und weiterhin strukturellen Rassismus erfahren.

Bisher, könnte hinzugefügt werden, denn die Folgen des Klimawandels sind zunehmend auch in Europa und Nordamerika zu spüren, auch deshalb steigt die mediale Aufmerksamkeit für die seit 2008 hier aktive Klimabewegung. Und auch deshalb entstand in diesen Teilen der Welt überhaupt eine Klimabewegung – diese kritische Reflexion vollziehen die Herausgeber*innen zwar nicht, betonen aber immerhin die internationalen Wurzeln der Klimagerechtigkeitsbewegung.

Und so kommen die Herausgeber*innen zu dem Schluss: »Was nützt es uns, wenn wir es zwar schaffen würden, den Klimawandel zu begrenzen, aber der ganze restliche kapitalistische, ausbeuterische und rassistische Mist einfach weitergeht? Dann würde die Menschheit nur von der einen Krise in die nächste schlittern.« Deswegen ist das Buch nicht nur reich an Erfahrungsschätzen und spannend zu lesen, sondern auch ein Plädoyer, Aktionen nicht nur auf die Klimapolitik zu beschränken, sondern mit anderen Themen zusammenzudenken. »Unsere Solidarität gilt allen, die emanzipatorische Kämpfe führen – weltweit, ganz egal, innerhalb welcher staatlich konstruierten Grenzen ihr Kampf stattfindet.«

Zucker im Tank (Hg.): Glitzer im Kohlestaub. Verlag Assoziation A, 416 S., 19,80 Euro.