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Das Recht auf Selbstbestimmung

Gesine Agena, Patricia Hecht und Dinah Riese über die Ausbeutung von Frauen

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 6 Min.

Es war ein harter Schlag für die feministische Bewegung und einer der größten Erfolge von Ex-Präsident Donald Trump und seiner republikanischen Partei: Ende Juni hat das Verfassungsgericht der USA das Recht auf Abtreibung gekippt. Für ungewollt Schwangere ist das eine Katastrophe. Dass es den reaktionären Kräften der sogenannten »pro life«-Bewegung dabei nicht wirklich um Menschenleben geht, haben die letzten Schulmassaker in den USA zur Genüge entlarvt. So war die Ermordung von 19 Schulkindern und zwei Lehrerinnen in Texas für die angeblichen Lebensschützer*innen kein Grund, die Waffengesetze zu verschärfen. Das Thema Selbstbestimmung treibt Gesine Agena, Patricia Hecht und Dinah Riese schon seit Jahren um. Bevor Agena zur Amadeu-Antonio-Stiftung wechselte, war sie im Bundesvorstand der Grünen und frauenpolitische Sprecherin der Partei. Hecht und Riese sind Redakteur*innen der »Taz«, Riese erhielt 2019 den Journalistenpreis »Der lange Atem« für ihre Recherchen zum Paragrafen 219a.

In fünf Kapiteln – Bevölkerungspolitik, Verhütung, Schwangerschaftsabbruch, Reproduktionstechnologien und Geburt – arbeiten die Autor*innen heraus, auf welche Weise Menschen, die gebären können, von Staat, Kirchen und Patriarchat kontrolliert werden. Nie geht es dabei um den Schutz von Kindern, wie Abtreibungsgegner*innen immer wieder behaupten: »Die Ursprünge des Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen im europäischen Raum haben nichts mit der Annahme zu tun, bereits ein Embryo habe das Recht auf Leben. Stattdessen geht es um etwas ganz anderes: um die Macht von Männern, über weibliche Körper zu verfügen.« So ging es schon im Römischen Reich und im frühen Christentum bei einer Abtreibung nicht um den Fötus, sondern um den Besitzanspruch des Patriarchen (wahlweise Gott oder das irdische Familienoberhaupt).

Es ist daher nur konsequent, dass Schwangerschaftsabbrüche im Buch nur ein Kapitel unter mehreren sind. Die Autor*innen wenden sich entschieden ab von einem eher liberalen »Pro Choice«-Feminismus, wie ihn auch die FDP keine Schwierigkeiten hat zu vertreten. Stattdessen machen sie einen politisch hochaktuellen und zugleich historisch fundierten Rundumschlag zum Thema reproduktive Rechte, der den Leser*innen Seite für Seite vor Augen führt, dass eine Frau nicht gleich eine Frau ist, ganz zu schweigen davon, dass von reproduktiven Rechten nicht nur Frauen betroffen sind, sondern auch trans Männer, inter Personen und queere Menschen: Auf welche Weise eine Person von reproduktiven Rechten beziehungsweise ihrer Einschränkung betroffen ist, hängt immer von ihrer gesellschaftlichen Position ab: Rassistische Diskriminierung, Behinderung, Armut – all das spielt eine entscheidende Rolle.

»Während weiße Frauen seit den 1970er Jahren um ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung kämpfen – und damit vor allem auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch fokussieren –, kämpfen Schwarze Frauen und queere Menschen oft um ihr Recht, überhaupt schwanger werden zu dürfen«, schreiben sie und berufen sich in ihrer intersektionalen Analyse auf Schwarze Feminist*innen wie Angela Davis, Kimberley Crenshaw und Loretta Ross. Wer jetzt denkt, dies sei eine Debatte aus den USA und in Deutschland fehl am Platz, täuscht sich. Die deutsche Geschichte ist durchzogen von einer explizit rassistisch und genozidal angelegten Bevölkerungspolitik: Während in Nazi-Deutschland weiße Frauen zu Gebärmaschinen gemacht wurden, wurden behinderte Frauen zwangssterilisiert und Jüdinnen und Sintizze und Roma wurden zu »experimentellen Zwecken« in Konzentrationslagern unfruchtbar gemacht. Auch Zwangsabtreibungen wurden bei den verfolgten Gruppen im NS-Reich durchgeführt. Die Autor*innen machen deutlich, dass das nicht nur eine Geschichte der »bösen Nazis« ist. Auch die Geschichte feministischer Organisationen ist darin verwickelt. So gehörte etwa Hans Harmsen, Begründer und späterer Ehrenpräsident der Beratungsstelle für Familienplanung Pro Familia im Nationalsozialismus zu den führenden Eugeniker*innen. Auch er – und mit ihm seine Organisation – trugen dazu bei, Geburtenkontrolle in Deutschland »rassistisch und behindertenfeindlich aufzuladen«. Auch das wohl ein Grund, warum viele Schwarze und PoC Aktivist*innen manchmal misstrauisch gegenüber weißen Feminist*innen sind. Und heutzutage wird Geburtenkontrolle immer wieder als Bekämpfung von Armut ins Feld gebracht, obwohl es darum wohl nur vorgeblich geht.

Die Autor*innen scheuen sich nicht, auch Themen aufzugreifen, bei denen sie selbst noch keine völlig abgeschlossene Position haben. Reproduktionstechnologien und Leihmutterschaft etwa sind auch unter Feminist*innen hoch umstritten. Der Krieg in der Ukraine hat dieses Thema ganz plastisch ins Bewusstsein westlicher Gesellschaften gespült. Plötzlich lagen Dutzende Babys in Schutzbunkern, die von Leihmüttern geboren und von ihren Wunscheltern nicht abgeholt worden waren. In der Ukraine ist die Praxis legal, während Wunscheltern in Deutschland zwar Babys von Leihmüttern aus anderen Ländern zu ihnen holen können, es aber im Land selbst verboten ist. »Kommerzielle Leihmutterschaft birgt die Gefahr der Ausbeutung von Frauen«, heißt es im Buch. Insbesondere, wo Wunscheltern aus reicheren Ländern auf Leihmütter aus ärmeren Ländern treffen. Das Selbstbestimmungsrecht der einen auf ein Leben mit Kind steht hier dem der anderen auf ihren Körper gegenüber. »Leihmütter allerdings nur als Opfer der Umstände zu sehen, versperrt den Blick darauf, dass sie sich in den Grenzen des Kapitalismus für die beste der ihnen offenstehenden Variante von Arbeit entscheiden können«, heißt es im Buch. Es ist ein Feld voller Widersprüche. In Deutschland setzt sich die FDP für eine Legalisierung der nicht-kommerziellen Leihmutterschaft ein.

Alles an Reproduktion ist zutiefst politisch. Auch die Geburt selbst ist oft nicht selbstbestimmt, die Versorgung lückenhaft und teilweise diskriminierend, wie die Autor*innen detailreich sezieren. Und für Fehlgeburt und die Trauer von Sternenkindern ist nur selten Platz in der Erzählung von Schwangerschaft und Geburt. Dabei ist sie alles andere als selten: Schätzungen gehen davon aus, dass jede fünfte oder sogar jede dritte Schwangere eine Fehlgeburt erlebt.

Im Großen und Ganzen ist es oft so: Frauen, trans, inter und queere Personen übernehmen den größten Teil der Verantwortung für ein Kind – aber die Entscheidungen übernehmen andere. Und, so zitieren die Autor*innen die französische Philosophin Simone de Beauvoir: »Es bedarf nur einer politischen, ökonomischen oder religiösen Krise, um die Rechte der Frauen wieder infrage zu stellen.« Das sehen wir jetzt gerade in den USA – und zwar nicht nur in Bezug auf Frauen-, sondern auch auf LGBTIQ-Rechte. Doch das heißt nicht, dass Feminist*innen in Deutschland sich ausruhen könnten. Denn Krise ist auch hier und Armut verschlechtert auch den Zugang zu guter Gesundheitsversorgung und die Wahrnehmung reproduktiver Rechte. Denn Verhütungsmittel sind teuer. Und haben Sie schon mal Männer massenweise auf der Straße gesehen, um für geeignete hormonelle Verhütungsmittel für den Mann zu demonstrieren? Also.

Gesine Agena/Patricia Hecht/Dinah Riese: Selbstbestimmt. Für reproduktive Rechte. Verlag Klaus Wagenbach, 208 S., br., 22 €.

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