Die Ampel zerfällt beim Klimaschutz

Bundesministerien legen Sofortprogramme für Gebäude und Verkehr vor

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Verkehrssektor darf weiterhin seine Klimaziele verfehlen.
Der Verkehrssektor darf weiterhin seine Klimaziele verfehlen.

Klimapolitisch zerfällt die Ampel-Koalition vor der Sommerpause. Der Plan war eigentlich, spätestens am Mittwoch ein umfassendes Klimaschutz-Sofortprogramm 2022 vorzulegen, von dem seit Anfang April hundert Seiten starke Entwürfe in den Medien kursieren. In das ambitionierte Gesamtprogramm sollten auch die Maßnahmen einfließen, die heute laut Klimaschutzgesetz für Verkehr und Gebäude zu verkünden waren. Denn beide Bereiche hatten 2021 ihr vorgegebenes Klimabudget überzogen – die Gebäude um zwei Millionen und der Verkehr um 3,1 Millionen Tonnen CO2.

Doch der Plan der Ampel scheiterte: Der Abstimmungsprozess zum Klima-Sofortprogramm sei bis zum 13. Juli noch nicht abgeschlossen, stand am Mittwoch in einem Maßnahmenkatalog für den Gebäudesektor zu lesen. Wirtschaftsstaatssekretär Patrick Graichen bestätigte, dass die Diskussionen zwischen den betreffenden Ministerien noch andauern. Deswegen legten Wirtschafts- und Bauressort jetzt ein Sofortprogramm allein für Gebäude vor. In dem klimapolitisch besonders trägen Sektor wirken Maßnahmen oft nicht sofort. Zudem sind nicht nur die zwei Millionen Tonnen CO2-Überziehung auszugleichen, sondern das Treibhausgasbudget für Gebäude sinkt auch weiter. Deswegen rechnet Graichen damit, dass sich bis Mitte der 2020er Jahre gewissermaßen ein »Emissionsberg« aufbaut, der dann bis 2030 wieder abgetragen werden muss.
Graichen bezifferte die gesamte Überziehung des mit Blick auf die Klimaziele vorhandenen CO2-Budgets bei den Gebäuden auf rund 150 Millionen Tonnen. Mit den jetzt beschlossenen Maßnahmen könne der Bereich dann etwa 2026 oder 2027 wieder auf dem Pfad sein, um 2030 eine Punktlandung hinzubekommen. In den kommenden Jahren werde man noch überziehen und dafür später mehr einsparen, beschrieb Graichen das geplante Vorgehen.

Hauptmittel soll dabei, wie schon vorher kolportiert wurde, ein Verbot des Einbaus neuer Gasheizungen schon ab 2024 sein. Das Verbot steht allerdings nur indirekt im Sofortprogramm. So soll mit einer Novelle des Gebäudeenergiegesetzes festgeschrieben werden, dass dann möglichst jede neu eingebaute Heizung zu mindestens 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden soll – und das ginge dann nicht mehr mit Gas, klammert man Biogas einmal aus.

So ein faktisches Verbot wäre wirksam, denn gegenwärtig werden immer noch bei jedem dritten neuen Gebäude und bei drei von vier bestehenden Gebäuden fossil betriebene Heizsysteme eingebaut, vor allem Erdgas-Kessel, so steht es im Sofortprogramm zu lesen. Auch der Erneuerbaren-Anteil an der Gebäudewärme stagniere auf einem sehr niedrigen Niveau von zuletzt 15 Prozent.

Graichen wies am Mittwoch darauf hin, dass der Gebäudesektor im Zeitraum bis 2030 sein CO2-Budget nach jetzigem Stand um 150 Millionen Tonnen überziehen wird. Im Verkehrssektor seien es aber 270 Millionen Tonnen.

Die langfristige Überziehungs-Perspektive interessiert Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) offenbar wenig. Sein Ressort konzentrierte sich im Sofortprogramm für den Verkehrsbereich darauf, die letztjährige Überschreitung von 3,1 Millionen Tonnen auszugleichen – und das nicht in diesem oder im nächsten Jahr, sondern bis 2030. Als wichtigstes Mittel sieht das Verkehrsressort den Ausbau digitaler Arbeitsformen an. Der durch Corona ausgelöste Schub des Arbeitens zu Hause statt im Büro soll durch durch gesetzliche Grundlagen fürs mobile Arbeiten verstärkt werden, heißt es in Wissings Sofortprogramm.

Eine zweite Maßnahme ist, die Treibhausgas-Minderungsquote um einen Prozentpunkt bis 2030 zu erhöhen. Bei der umstrittenen Quote muss die Mineralölindustrie nachweisen, dass sie fossile durch klimaneutrale Kraftstoffe ersetzt und so CO2 spart. Die Ölbranche kann sich dabei den Einsatz von Biomethan doppelt als Einsparung anrechnen und den von grünem E-Ladestrom dreifach. Diese Wege nennen sich »Erfüllungsoptionen«. Wissing will sie nun erweitern: um strombasierte Kraftstoffe, sogenannte E-Fuels, und noch mehr »fortschrittliche Biokraftstoffe«. Letzteres ist Agrosprit, der aus Rest- und Abfallstoffen hergestellt wird.

Insgesamt soll das Maßnahmenpaket im Verkehr bis 2030 um die 13 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Damit wären zwar die Mehremissionen von 2021 rechnerisch ausgeglichen, der Sektor würde aber weiterhin seine Klimaziele bis 2030 krachend verfehlen.

Für Jürgen Resch, den Chef der Deutschen Umwelthilfe, ist der Maßnahmenplan des Verkehrsministers denn auch ein »Offenbarungseid der FDP«. Wissing wolle über nicht vorhandene »klimafreundliche Kraftstoffe« Millionen Tonnen CO2 einsparen. »Wir brauchen ein Ende der Taschenspielertricks und den Einstieg in ehrliche, kurzfristig wirksame Maßnahmen«, sagte Resch. Davon finde sich nichts im Programm.

Der DUH-Chef kritisiert indes auch SPD und Grüne. Die Ampel-Partner akzeptierten weiterhin die »faktische Richtlinienkompetenz« der FDP im Klimaschutz. Resch: »Es reicht nicht, die Menschen zum Kaltduschen aufzufordern.«

Auch Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden zeigte sich unzufrieden mit Wissings Vorlage. Seit April sei bekannt, dass die Verkehrsemissionen – trotz pandemiebedingt reduzierter Mobilität – nicht auf dem Zielpfad seien. »Ob die heute vom Verkehrsminister vorgelegten Maßnahmen diesen Sektor wieder auf Kurs mit den vereinbarten Klimaschutzzielen bringen, ist mehr als fraglich«, sagte Verlinden.

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