Der Fücksilier im Hauptquartier

Anmerkungen zur deutschen Kriegszieldiskussion – am Beispiel eines Grünen-Politikers

  • Detlef Kannapin
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Spätimerpialismus schlampt nicht, und Ralf Fücks ruft mal wieder zu den Waffen.
Der Spätimerpialismus schlampt nicht, und Ralf Fücks ruft mal wieder zu den Waffen.

Es ist keineswegs überraschend, dass sich »Der Spiegel« und »Spiegel online« mittlerweile zu den militärpolitischen Mitteilungen der Nato-Ostflanke entwickelt haben. Jüngstes Beispiel: Generalfeldmarschall Ralf Fücks, seines Zeichens Politiker der Grünen (in jungen Jahren Wehrdienstverweigerer), hat aus vermeintlich sicherer Schreibtischentfernung die deutschen Kriegsziele definiert – und zwar am 13. Juli 2022, online um 15 Null Null 54. Die Kernaussage seiner Fücksilierstrategie lautet demnach, dass (Kriegsszenario 3) Europa und die USA die Ukraine »befähigen«, die russische Offensive abzuwehren und selbst zum Gegenangriff überzugehen, »um die Angreifer zumindest (!) bis zu den Grenzen des 24. Februar zurückzudrängen, im Donbass vielleicht (!) auch darüber hinaus (!!)«. Dafür »reicht es nicht«, meint unser Fahnenjunker, der Ukraine »hier und da (!)« mit Artilleriesystemen »auszuhelfen«. Denn: »Wenn wir (?) wollen, dass sie diesen Krieg gewinnt (!!), braucht es massive, rasche und kontinuierliche Waffenlieferungen.« Nach einem Zwischengeplänkel über sowjetische Waffensysteme und Ausbildung lautet seine Quintessenz: »Kurzfristig muss aus vorhandenen Beständen geliefert, parallel die Rüstungsproduktion in Europa hochgefahren werden.« Es ist, nicht mehr und nicht weniger, die Aufgabe der Bundesregierung, »einen Vernichtungskrieg zu stoppen«.

Voilà, der Spätimperialismus schlampt nicht! Es ist zwar keineswegs neu, dass, wie weiland schon Friedrich Engels wusste, die Pressreptilien des Deutschen Reiches immer mal wieder Befehl erhalten, in die Kriegstrompete zu tuten. Aber hier hat der gesellschaftliche Verfall seine systemerhaltende Komponente in einer Weise offenbart, die klarer nicht sein kann, schön martialisch formuliert und ohne Bedenken aller möglichen Folgen dieser Eskalation. Es geht heute nicht mehr ohne die Losung vom »Vernichtungskrieg« – der bekanntlich zwischen 1941 und 1945 auf dem Territorium der UdSSR stattgefunden hat, verantwortet durch eben dieses Deutsche Reich mit einigen osteuropäischen Hilfstruppen. Die Maßstäbe unserer apostolischen Generäle verrutschen vollends, wenn es nur darum geht, den eigenen Untergang auf Kosten anderer Mächte hinauszuschieben.

Man fragt sich allerdings leise zweifelnd, ob die Intervention des Fücksiliers aus dem Hauptquartier mit den anderen Quartieren im Haus der Deutschen Wirtschaft wirklich abgesprochen ist, vor allem mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft. Man fragt sich außerdem schon lauter zweifelnd, wo sich das Fückslein befinden wird, wenn die Russische Föderation ihren von ihm erwähnten »Neoimperialismus« ernstnimmt und die Ukraine tatsächlich zum Brückenkopf des westlichen »Paläoimperialismus« befähigt worden ist. Und drittens sei gefragt: Wie ist das eigentlich mit denen, die da auf den Schlachtfeldern in Osteuropa (für welche Sache eigentlich?) tagtäglich verheizt werden?

Selbsternannte Generäle müssen darüber offenbar kein Wort verlieren – logischerweise auch nicht über die beiden eigentlich angezeigten politischen Lösungen der ganzen Tragik: Lenin hat gelehrt, dass der imperialistische Krieg sofort in einen Bürgerkrieg gegen die Imperialisten zu überführen ist, um sie wegzujagen und den Sozialismus aufzubauen. Das scheitert heute an der fehlenden politischen Organisation dafür. Die andere Variante besteht darin, unter den jetzt obwaltenden Umständen sofort einen Waffenstillstand herbeizuführen, das Blutvergießen zu beenden und politische Verhandlungen über die staatliche Sicherheit in Europa unter Einschluss aller Signatarstaaten der KSZE/OSZE aufzunehmen. Der Konflikt kann nur politisch gelöst werden, alles andere ist Einheizdenken am Auslöser – und je länger der Krieg dauert, umso wahrscheinlicher wird der gegenseitige Hyperschalltraum.

Bekanntlich ist da aber Gott vor. Nehmen wir einmal das, was der Fücksilier im Hauptquartier aus sicherer Quelle noch geschrieben hat, was aber in der 15-00-54-Ausgabe aus unerfindlichen Gründen nicht abgedruckt wurde: »Wir müssen uns hineindenken in die Spannungen lange vor dem Maidan, an die beständige Sorge wegen der Pläne in Moskau und wegen der Feindseligkeiten des Aeroflot-Kommandos. Wir haben alle miterlebt die Morgen, die vergällt waren durch Berichte über russische Absichten und Gehässigkeiten, durch Kummer über Umtriebe der Geheimagenten in London und Streitigkeiten in Moldawien und Georgien. Unbedeutende Vorfälle wurden beängstigend im fahlen Lichte zuckender Blitze in der Weltpolitik. Das Gewaltige dieser Veränderung wird anschaulicher in einem kleinen Ausschnitt aus der bürgerlichen Lebensweise. Der Friede sichert ein Frühstück ohne Russland. Nicht mehr in der äußeren und vor allem auch nicht in der inneren Politik beständig an russische Herrscher, Parteien, Verschwörungen und Rüstungen denken müssen, wird erlösend sein, Befreiung der Kräfte, ein Gefühl nie vorher gekannter Ruhe. In Milliarden ausrechnen können wir das nicht. Es gibt jedoch Milliarden, die sich nicht zählen lassen.« Weder die vom Sondervermögen, noch die vom Gasimport.

Der Friede sichert ein Frühstück ohne Russland, aber nicht ohne die militärpolitischen Mitteilungen. Das ist dann doch ein etwas vermaledeiter Siegfrieden. Aber wie immer die Welt nun laufen mag, das Vorher und das Nachher bleiben in unvergesslichen Tonfällen festgehalten. Was überstanden werden kann: Wir müssen uns hineindenken in die Spannungen, und wir haben alle miterlebt die Morgen, die vergällt waren durch Berichte … Wobei der kleine Ausschnitt aus der bürgerlichen Lebensweise bloß in der Kontrastierung besteht, dass da gefrühstückt wird. Beiläufig hören wir aber am 14. Juli 2022 um 12 Null Null 34 von einer neuen »Volkssturm«-Metapher, wonach Militärseelsorger Gauck im Lebensalter von 82 Jahren für die Freiheit unserer westlichen Lebensart zur Waffe greifen würde. Wen will er eigentlich treffen, und wie? Eine Panzerfaust ist relativ schwer und muss richtig geführt werden. Robustes Verteidigungshandeln ist nachgefragt und fragt nach ihm. Da kommt sogleich die Frage auf, ob sich nicht auch in der »Deutschen Wochenschau«, Jahrgänge 1944/45, ähnliche Töne vernehmen ließen.

Nun aber der Jauchzer, der Ausdruck für die höchste Entzückung, wenn der Dulder aus Kerkernacht in den Tag der Freiheit tritt oder dem Liebenden die Stunde erfüllter Sehnsucht schlägt: In Milliarden ausrechnen können wir das nicht. Es gibt jedoch Milliarden, die sich nicht zählen lassen. Das wird man bedenken müssen, wenn es darum geht, einst vor den Schöpfer zu treten und sich belehren zu lassen, dass der höchste Wert der Menschheit, die Erreichung der menschlichen Gesellschaft, aus Profitgründen, Verachtung und Herrschaftsdünkel im Orkus gelandet ist. Vergleiche mit Seite 141 der »Ausgewählten Werke« von Karl Kraus, Band 5.2: »Die letzten Tage der Menschheit« von Karl Kraus (Verlag Volk und Welt, Berlin 1978) sind rein zufällig.

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