nd-aktuell.de / 20.07.2022 / Politik / Seite 1

Teure Leitungswärme oder warm anziehen

Wer als Mieter an ein Fernwärmenetz angeschlossen ist, muss bald tief in die Tasche greifen

Sebastian Haak
Die Versorgung mit Fernwärme bietet einige Vorteile und galt lange als günstig. Aber mit den gestiegenen Energiepreisen ändert sich das gerade.
Die Versorgung mit Fernwärme bietet einige Vorteile und galt lange als günstig. Aber mit den gestiegenen Energiepreisen ändert sich das gerade.

Marie Poller hat vor wenigen Wochen eine Ahnung davon bekommen, wie sehr die Preise für Fernwärme steigen. Mit der jährlichen Betriebskostenabrechnung bekam sie, die in einer Plattenbauwohnung in Mittelthüringen wohnt, auch ein Schreiben der Wohnungsgesellschaft, mit dem ihr eine deutliche Steigerung der Betriebskostenvorauszahlung angekündigt wurde.

Für das Jahr 2021, erzählt Poller – die nicht wirklich so heißt, aber um Anonymität gebeten hat –, habe sie noch eine Gutschrift in Höhe von etwa 14 Euro aus ihrer Betriebskostenabrechnung erhalten. Dennoch habe das Wohnungsunternehmen die Vorauszahlungen für die Betriebskosten um etwa 70 Euro pro Monat erhöht. »Und dabei hatte ich schon eine sehr hohe Vorauszahlung, weil ich lieber etwas zurückbekommen statt nachzahlen möchte«, sagt Poller. Für die Heizkostenvorauszahlungen werde ein Aufschlag von 75 Prozent im Vergleich zum Jahr 2021 vorgenommen, schreibt das Wohnungsunternehmen. Poller wird die Summe aufbringen können. »Ich bin nicht in meiner Existenz bedroht«, sagt die 35-Jährige, die einen guten Job in der öffentlichen Verwaltung hat. Dann schiebt sie nach: »Aber trotzdem …«

Der Verband der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft (VTW) hat bereits vor einigen Wochen vorgerechnet, in welcher Höhe sich die absehbaren Kostensteigerungen für das Heizen in der nächsten Zeit bewegen könnten. Auf Zehntausende Haushalte im Freistaat kämen demnach im nächsten Jahr Kostensteigerungen für Heizung und Warmwasser in vierstelliger Höhe zu, hatte der Direktor des Verbandes, Frank Emrich, im April gesagt. Der Grund: Die Preise für Fernwärme hätten sich in den vergangenen Wochen teilweise vervierfacht. »Wir werden keinem die Wohnung kündigen wegen Betriebskostenrückständen im Sommer 2023«, kündigte er an. Bezahlt werden müssten die Ausstände aber natürlich trotzdem, bei vielen Menschen wahrscheinlich in Raten[1].

Mit Fernwärme werden alleine in Thüringen hunderttausende Wohnungen beheizt. Alleine bei den etwa 265 000 Wohnungen, die den Mitgliedsunternehmen des VTW gehören, werden rund 80 Prozent mit Fernwärme versorgt. Etwa jeder zweite Mieter in Thüringen wohnt nach Verbandsangaben bei einem dieser Mitgliedsunternehmen. Fernwärme ist also verbreiteter als Wärmepumpen, Holz- oder Gasheizungen.

Fernwärme galt in Deutschland lange Zeit als eine der kostengünstigsten, effizientesten und ressourcenschonendsten Energiequellen überhaupt. Immerhin kann eine solche Wärmeversorgung viele Menschen über relativ wenige Leitungen mit nur einem einzigen Kraftwerk versorgen. Vor allem dort, wo viele Menschen auf engem Raum leben, also in Städten oder dicht bevölkerten Stadtteilen, kann Fernwärme kostengünstig sein. Jedenfalls war das bislang so.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine und den sich daraus ergebenden dramatischen Steigerungen bei den Energiekosten[2] stehen auch die Fernwärmepreise unter massivem Druck. Sie werden also absehbar und sehr wahrscheinlich flächendeckend steigen. »Gasbasierte Fernwärme trifft es hier natürlich stärker als zum Beispiel Fernwärme aus Müllheizkraftwerken«, sagt ein Sprecher der Landesgruppe Thüringen im Verband der kommunalen Unternehmen (VKU). »Grundsätzlich muss man aber von steigenden Preisen ausgehen: für Stadtwerke, für Endkunden.« Wie hoch die Preise noch steigen werden, könne derzeit aber niemand mit Sicherheit sagen.

Diese Einschätzung des VKU weist bei aller Unsicherheit darauf hin, dass es schon heute große regionale Differenzen bei den Fernwärmepreisen gibt; in Abhängigkeit davon, was verbrannt wird, um in einem Kraftwerk Fernwärme zu erzeugen. Hausabfälle. Industrieabfälle. Holz. Gas. Kohle. Meistens ist es eine Mischung aus all dem. Nur selten wird Fernwärme in Deutschland auf regenerativem Weg erzeugt.

Nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums stammten 2020 von den erzeugten etwa 126 Milliarden Kilowattstunden Fernwärme nur etwa 18 Prozent aus erneuerbaren Energien. Der Anteil der fossilen Brennstoffe an der Erzeugung von Fernwärme lag danach in dem Jahr bundesweit noch bei mehr als 70 Prozent. Allerdings ist der Anteil der erneuerbaren Energien bei der Fernwärme seit 2010 kontinuierlich um rund zehn Prozent gestiegen.

Der VTW kann dagegen ziemlich genau beziffern, wie groß die regionale Spreizung bei den Fernwärmepreisen in Thüringen derzeit ist. Die Preisspanne, sagt Emrich, liege nach den Daten des Verbandes derzeit bei etwa 5 bis 23 Cent pro Kilowattstunde. »Die Günstigen sind dabei natürlich die von fossilen Energieträgern unabhängigen Erzeuger.« Anbieter, die massiv auf Gas angewiesen seien, befänden sich dagegen inzwischen am oberen Ende der Preisskala. Unabhängig davon, sagt Emrich, zeige sich dabei einmal mehr, dass die Fernwärmepreise in Thüringen besonders hoch seien. »Wir sind schon seit Jahren die teuersten.« Beim Durchschnittspreis hätten die Kosten pro Kilowattstunde Fernwärme im Freistaat regelmäßig 15 bis 20 Prozent über dem Bundeswert gelegen.

Für die kommende Heizsaison können nach Einschätzung von Emrich allerdings nicht mal jene Fernwärme-Haushalte mit moderaten Steigerungen davonkommen, die derzeit noch einen einstelligen Cent-Betrag pro Kilowattstunde bezahlen, etwa weil ihr Fernwärmeversorger Abfall verbrennt. Den Thüringer Wohnungsunternehmen seien für die zweite Jahreshälfte erhebliche »Anpassungen« bei der Fernwärme angekündigt worden, sagt Emrich. »Teilweise 100 Prozent und mehr.« Dass in weiten Teilen des Landes – wenn auch nicht überall – die Kilowattstunde Fernwärme zur nächsten Heizsaison etwa 30 Cent kosten könnte, hält er jedenfalls für denkbar.

Eine Alternative zur Fernwärme haben die Mieter kaum. Sie könnten sich zwar elektrisch betriebene Heizstrahler oder Flächenheizungen anschaffen, die unter verschiedensten Bezeichnungen vermarktet werden. Verbraucherschützer überall in Deutschland warnen jedoch schon seit Jahren, Elektroheizungen dieser Art seien im Vergleich zu anderen Heizungsformen ziemlich teuer. »Elektrische Direktheizungen, die auch als Infrarotheizungen oder Strahlungsheizungen bezeichnet werden, sind nicht zwingend die günstigste Lösung – wie oft in der Werbung versprochen«, erklärte der Bundesverband der Verbraucherzentralen vor einem Jahr. Nur selten ließen sich dafür vergünstigte Heizstromtarife nutzen, was an bestimmte technische Voraussetzungen gekoppelt sei. Meist ist dafür nur teurer Haushaltsstrom verfügbar, und auch dessen Preis ist in den vergangenen Monaten teilweise massiv gestiegen. Haushalte müssen inzwischen regelmäßig Kosten von etwa 35 oder 40 Cent pro Kilowattstunde Strom bezahlen.

Nur in wenigen Ausnahmefällen – etwa für das kurzzeitige Heizen von selten benutzten Räumen – eignet sich nach Einschätzung vieler Energieberater der Einsatz von elektrischen Heizungen. Auch Emrich teilt diese Ansicht. Komplette Mehrfamilienhäuser elektrisch zu beheizen, sagt er, sei in der Regel jedenfalls weder finanziell sinnvoll noch technisch überhaupt machbar. »Die Elektroanlagen und Leitungen in unseren Wohnungen sind so gemacht worden, dass man damit den Fernseher, den Geschirrspüler, die Waschmaschine und den Föhn nutzen kann«, sagt er mit Blick auf die Mehrzahl der Immobilien von kommunalen Wohnungsgesellschaften oder Genossenschaften. Sie seien nicht dafür da, zusätzlich Tausende oder Zehntausende Watt Leistung für Elektroheizungen bereitzustellen. Im besten Fall flögen die Sicherungen raus, wenn zu viele dieser Anlagen zusätzlich zu den bisherigen Elektrogeräten betrieben würden, sagt Emrich. Im schlimmsten Fall würden Leitungen schmelzen, was ebenso eine hohe Brandgefahr mit sich bringe wie die zu dichte Platzierung eines elektrisch betriebenen Heizstrahlers an einer Gardine. »Das ist echt kein Spaß.«

Tatsächlich können die Mieter durch den Einsatz von elektrischen Heizungen auch nur einen Teil der Kosten für Fernwärme reduzieren, nämlich den tatsächlichen Verbrauch, den sogenannten Arbeitspreis. Der Grundpreis, der Mietern dafür berechnet wird, dass sie am Netz angeschlossen sind und mit Fernwärme heizen könnten, bleibt fix. Ebenso wie die Grundkosten für Warmwasser.

Bei Poller summieren sich die Fernwärmekosten nunmehr. Ihre Betriebskostenvorauszahlung beträgt inzwischen genauso viel wie die Kaltmiete. Beinahe 1000 Euro überweist sie inzwischen jeden Monat an ihren Vermieter für die vier Zimmer, die sie und ihre vierköpfige Familie bewohnt. »Händewaschen«, sagt sie, »gibt es bei uns seit ein paar Wochen nur noch mit kaltem Wasser. Irgendwo muss man ja im Sommer anfangen zu sparen.«

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164270.private-schulden-schuldnerberatungsstellen-am-limit.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164398.energiepreiskrise-von-waermescheck-bis-preisdeckel.html