nd-aktuell.de / 21.07.2022 / Kultur / Seite 1

Wenn soziale Netzwerke zur tödlichen Gefahr werden

Der Video-Trend »Blackout Challenge« soll bereits mehreren Kindern das Leben gekostet haben

Birthe Berghöfer

Ausschnitte von bekannten Filmen und Serien, Interviews mit Prominenten und Erklärvideos[1] über Bienen und die Imkerei: Auf der Videoplattform TikTok gibt es so ziemlich alles zu sehen. Lustiges, Trauriges, Informatives[2] zieht einen in den Bann und wenn nicht, dann sorgt der Algorithmus für den Suchtfaktor, der einen weiter auf der App hält. Unter all dem werden auch immer wieder Challenges zum Trend, also Nachmachvideos, die zu mehr oder weniger mutigen Aktionen aufrufen.

In den sozialen Netzwerken erreichte etwa die »Ice Bucket Challenge« große Bekanntheit, bei der man sich einen Eimer mit eiskaltem Wasser über den Kopf kippt und anschließend weitere Personen für das Nachmachen nominiert. Auch prominente Leute wie der Fußballer Manuel Neuer, Grünen-Politiker Cem Özdemir und sogar der ehemalige US-Präsident Donald Trump machten bei dem Trend mit, der 2014 zu einem guten Zweck gestartet wurde: um auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam zu machen und Spendengelder für die Erforschung und Bekämpfung zu sammeln.

Doch unter den Challenges, insbesondere auf TikTok, finden sich auch gefährliche, ja sogar tödliche Aktionen: die »Blackout Challenge« beziehungsweise »Pass out Challenge« oder auch das »Chocking Game«. Dabei geht es darum, sich bis zur Ohnmacht zu würgen oder so lange die Luft anzuhalten, bis man ohnmächtig wird. Der Trend soll bereits zahlreichen Kindern und Jugendlichen das Leben gekostet haben. Das US-amerikanische Nachrichtenmagazin »Time« etwa berichtete 2018 von sechs Jungen, die in Folge des »Würgespiels« starben. Ähnliche Berichte gibt es aus Italien und England. Im vergangenen Jahr sind ein achtjähriges Mädchen aus Texas sowie eine Neunjährige aus Wisconsin dabei ums Leben gekommen. Der Algorithmus von Tiktok soll den Mädchen die Challenge vorgeschlagen haben, woraufhin sie sich zu Tode stranguliert hätten – eine mit einem Seil, die andere mit einer Hundeleine. Anfang Juli reichten die Eltern der beiden Mädchen Klage gegen die Videoplattform ein.

»Tiktok muss für die Verbreitung tödlicher Inhalte an die beiden Mädchen zur Rechenschaft gezogen werden«, erklärte der Anwalt Matthew Bergman. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, die Blackout Challenge »absichtlich und wiederholt« verbreitet zu haben. »TikTok hat Milliarden von Dollar investiert, um absichtlich Produkte zu entwickeln, die gefährliche Inhalte verbreiten«. Das Unternehmen habe wissentlich zugelassen, dass Inhalte wie die »Blackout Challenge« auf der Plattform verbreitet wurden, weil sie das Engagement, die Benutzerzahlen und letztendlich den Gewinn erhöhten. Es priorisiere »größere Unternehmensgewinne über die Gesundheit und Sicherheit seiner Nutzer«, so der Vorwurf.

Die Videoplattform, die vom chinesischen Unternehmen ByteDance betrieben wird, steht immer wieder in der Kritik: Der Jugendschutz, aber auch der Datenschutz seien ungenügend. Es gibt Vorwürfe der Zensur etwa von politischen oder religiösen Inhalten, während zu wenig gegen Sexismus und Cyber-Mobbing getan werde. Und so ist die aktuelle Klage der Eltern auch nicht die erste gegen TikTok. 2021 verklagte die frühere englische Jugendbeauftragte Anne Longfield das Unternehmen auf eine milliardenhohe Entschädigungssumme – im Namen aller Kinder, die TikTok in Großbritannien und der EU nutzen. Es soll nämlich persönliche Daten von Kindern gesammelt haben, ohne darüber zu informieren oder die rechtlich vorgeschriebene Zustimmung der Eltern einzuholen. Zwei Jahre zuvor verhängte die US-Verbraucherschutzbehörde FTC deswegen eine Strafe von 5,7 Millionen Dollar gegen TikTok.

Das Unternehmen selbst rüstet zumindest in Sachen Jugendschutz immer wieder nach und passt etwa die Nutzungsbedingungen für Minderjährige an. Doch die Bedingung für einen erfolgreichen Jugendschutz ist, dass die Nutzer*innen bei der Anmeldung ihr echtes Alter angeben. Sonderlich streng kontrolliert wird das nicht.

Lesen Sie auch: Telegram – Eine Plattform für Antisemitismus[3]

Selbst das Löschen von Hashtags wie #blackoutchallenge und #passoutchallenge kann auf TikTok leicht umgangen werden. Schon kleine Veränderungen im Wort wie »Blakout Challange« und »Pass ou Callange« reichen, um sich die gefährlichen Aktionen weiter angucken zu können und zu verbreiten. Immerhin versuchen einige Nutzer*innen über die Gefahren solcher Challenges aufzuklären, ein Bewusstsein zu schaffen gegen den Ohnmachts-Trend.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165343.tiktok-sarkastische-aufklaererin.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162945.tiktok-krieg-live-in-den-sozialen-medien.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165308.telegram-eine-plattform-fuer-antisemitismus.html