nd-aktuell.de / 27.07.2022 / Kommentare / Seite 1

Schlafen, kündigen, abtreten, wiederkommen

Nadia Shehadeh findet: Auch Prominente sollten den Job hinschmeißen dürfen, wenn sie die Nase voll davon haben, ständig »liefern« zu müssen

Nadia Shehadeh

Es ist Sommerloch, es sind schreckliche Zeiten, und nach Monaten, in denen der Klimawandel mal wieder seine beunruhigende Fratze gezeigt hat, steht uns wahrscheinlich ein übler und kalter Winter ins Haus. Wie soll man sich da von Popkultur-Phänomenen unterhalten, gar inspirieren lassen? Ganz einfach: Indem man sich auf Personen des Zeitgeschehens konzentriert, die entweder selbst keinen Bock mehr haben oder unfassbar müde sind. Da finde ich zumindest mich persönlich wieder. Keine Ambitionen, keine Motivation: Wer ohne Scham ausspricht, dass das sein innerer Grundzustand ist, verdient meiner Meinung nach den höchsten Respekt. Und so war meine vergangene Pop-Woche vor allem davon geprägt, dass mir Prominente aufgefallen sind, die einfach mal zeigten oder aussprachen, dass sie keine Lust mehr auf Hustle haben – und ihre Berufung (zumindest vorerst) an den Nagel hängen.

Der Erste, der sich meine Gunst verdiente, obwohl ich ihn vorher nicht wirklich auf dem Schirm hatte, war der norwegische Schachweltmeister Magnus Carlsen. »Schachweltmeister wird seinen Titel nicht verteidigen, weil er nicht motiviert ist.« So ungefähr lautete die englische Schlagzeile, die mich auf meinem Handy-Display ansprang, und die mir sofort ein inneres High-Five wert war. Der 31-Jährige hatte schon im Dezember 2021 durchblicken lassen, dass er eigentlich keine Lust habe, nochmal bei der WM anzutreten. Und nun, im Juli 2022, bekräftigte er seinen Entschluss nochmal – ganz nonchalant und ohne viel Tamtam. Und vor allem: Ohne peinlich berührtes Beschämtsein. Einfach keine Motivation mehr – einer der besten Gründe überhaupt, um bestimmten Dingen im Leben nicht mehr nachzugehen. Es kann so einfach sein!

Und so verhielt es sich ungefähr auch beim zweiten Prominenten, der in diesen Tagen bei mir mit seinen Abdankungsplänen punktete (obwohl ich ihn ebenfalls nicht auf der Liste meiner Leib-und Magenprominenten führe): Schlagersänger Nino de Angelo. Er verkündete mit 58 Jahren ohne Not und Heulerei sein Karriereende, und ich dachte: »Gut gemacht!« Klar, das mag auch damit zusammenhängen, dass ich seine Musik nicht sonderlich vermissen werde. Aber dennoch gefiel mir die resolute Ansage de Angelos, keinen Bock mehr auf Stress im Leben zu haben. »Ich habe vor, einfach nur zu leben«, verkündete er und bedankte sich artig bei seinen Fans. Subtext: Auch ein berühmter Sänger zu sein, ist am Ende des Tages ein Job wie jeder andere, der irgendwann hochgradig nerven kann – vor allem, wenn einem der chronische Druck im Nacken sitzt, praktisch immer demnächst irgendwo einen Auftritt absolvieren zu müssen. Ergo: Arbeit ist scheiße, auch wenn sie Unterhaltungs- oder Glamour-Arbeit ist. Endlich sagt`s mal eine*r!

Dass auch Stars und Sternchen nämlich irgendwann in die Situation kommen, in der sie einfach keine Lust mehr haben, ständig zu liefern und das auch zu kommunizieren, ist vor allem auch deswegen sympathisch, weil in ihrer Welt das »Never give up«-Mantra vorherrscht. Talent oder zumindest Bühnentauglichkeit werden oft als Verpflichtung dafür gesehen werden, die eigene Berufung im wörtlichen Sinne lebenslang zu melken – bis man sprichwörtlich ins Grab fällt (siehe die Rolling Stones). Das ist ultra-nervig – vor allem, wenn dazwischen immer wieder gepredigt wird, man solle sich fit halten.

Umso netter ist es also, wenn sich Berühmtheiten als Otto-Normal-Manfreds outen, die am Ende des Tages auch nur auf dem Sofa sitzen und Chips essen wollen. Oder in der Öffentlichkeit mit offenem Mund einschlafen, weil das Leben so anstrengend ist – so wie US-Schauspieler Ben Affleck kürzlich, der sich während einer Bootstour mit Jennifer Lopez und Familienanhang ein paar Schlummerminuten gönnte. Einfach mal abschnarchen, obwohl sowieso schon Urlaub ist: Ehrlich gesagt eins der besten Lebensziele, das man haben kann.

Dass man trotzdem nochmal wieder kommen kann, wenn einem danach ist (und nicht, weil man muss), hat in diesen Tagen die US-Singer-Songwriter-Legende Joni Mitchell bewiesen: Nach einer krankheitsbedingten Auftrittspause von mehreren Jahren spielte sie diese Woche in einem historischen Comeback auf dem traditionellen Newport Folk Festival – und legte ein ergreifendes Bühnencomeback hin. Das war wahrscheinlich hundertmal ergreifender als der im Vorbeigehen eingeheimste drölfzigtausendste Weltmeister-Titel von Schachprofi Carlsen.

Und so endet das Pop-Richtfest von heute: mit der Feststellung, dass man es einfach mal lassen kann, wenn man keinen Bock mehr hat (und die Umstände es erlauben). Und falls das nicht geht: Ein Nickerchen mit offenem Mund tut es auch.