Endlose Causa Kalbitz

Früherer AfD-Politiker strebt weiterhin sein Parteicomeback an

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

Wer sich die Profile von Andreas Kalbitz in den sozialen Netzwerken anschaut, kommt nicht zwingend zu dem Schluss, der Brandenburger Landtagsabgeordnete sei aktuell weder AfD-Mitglied, noch habe ihn die Partei mit einem Auftrittsverbot belegt. Kalbitz nahm an Informationsständen der Brandenburger Landtagsfraktion in Elsterwerda, Angermünde und Templin teil. Zudem trat er bei einem sogenannten Bürgerdialog der AfD-Stadtratsfraktion Oranienburg und auf dem Sommerfest des Kreisverbandes Havelland in Nauen in Erscheinung.

Dies sind nur fünf Termine der letzten Wochen, bei denen der völkische Nationalist nachweislich anwesend war. Als gäbe es keinen andauernden Rechtsstreit mit der Partei, informiert Kalbitz völlig ungerührt via Facebook, Instagram und auf seinem Telegram-Kanal darüber, bei welchen Veranstaltungen er nicht nur zugegen war, sondern auch das Wort ergriffen hat. Das geht, weil das vom Bundesvorstand 2021 erlassene Auftrittsverbot nur für Parteigliederungen gilt, nicht aber etwa für eine Landtags- oder Stadtratsfraktion.

Prominente Weggefährt*innen von Kalbitz, darunter die Landesvorsitzende Birgit Bessin, machen sich für seine vollständige Rehabilitierung stark. Auf dem AfD-Bundesparteitag im Juni in Riesa kam ein Antrag, das Auftrittsverbot aufzuheben, allerdings nicht zur Abstimmung. Eine knappe Mehrheit der Delegierten strich den Punkt von der Tagesordnung.

Aufgeben wollen Kalbitz und seine Getreuen trotz dieser Niederlage und vorangegangener Schlappen nicht. Ein weiterer Vorstoß kommt nun aus Sachsen. Vor einigen Tagen forderte der AfD-Landeschef Jörg Urban den Bundesvorstand in einer Mail auf, über eine Rücknahme des Auftrittsverbots abzustimmen. »Fast alle unsere Kreisverbände sind mit diesem Beschluss des Bundesvorstandes nicht einverstanden«, heißt es in dem Schreiben. Der Beschluss sei einstimmig bei nur einer Enthaltung gefallen. Urban stützt sich auf ein Votum des Landessenats, der sich aus je zwei Vertreter*innen jedes Kreisverbandes sowie drei Landesvorständen zusammensetzt. 

Der vor wenigen Wochen in Riesa neu gewählte Bundesvorstand befindet sich ohnehin in einer etwas bizarren Situation: Sowohl die Entscheidung vom Mai 2020, Kalbitz sei nie rechtmäßiges AfD-Mitglied gewesen, weil er bei Parteieintritt seine früheren Mitgliedschaften bei den Republikanern und der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend verschwiegen habe, als auch das seit vergangenem Jahr geltende Auftrittsverbot gehen noch auf den alten Bundesvorstand zurück. In diesem hatte das Lager von Ex-Parteichef Jörg Meuthen eine Mehrheit, in Riesa setzten sich bei den Wahlen jedoch weitestgehend völkische Kandidat*innen durch. Alice Weidel, inzwischen zur Co-Bundesvorsitzenden aufgestiegen, hatte 2020 gegen die Annullierung der Mitgliedschaft gestimmt.

Unklar ist aufgrund dieser Gemengelage wie es im Rechtsstreit zwischen der AfD und Kalbitz weitergeht und welchen Einfluss die geänderten Mehrheitsverhältnisse haben. Am Montag teilte das Berliner Kammergericht mit, der parteilose Abgeordnete habe Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin eingelegt. Dieses hatte im April eine Klage von Kalbitz abgewiesen.

Lautstarke Kritik an der nun schon seit zwei Jahren andauernden juristischen Auseinandersetzung gab es auch auf dem Bundesparteitag, weil sich die anfallenden Prozess- und Anwaltskosten inzwischen auf einen sechsstelligen Betrag summierten, so Vorstandsmitglied Stephan Brandner in Riesa. Für endgültiges Chaos sorgte kurz darauf Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel, der die AfD bis dahin in den Prozessen vertreten hatte. Er erklärte, er lege aufgrund der Zusammensetzung des neu gewählten Bundesvorstands sein Mandat nieder. Gegenüber nd.derTag bestätigte die AfD, dass Steinhöfel die Partei im Rechtsstreit mit Kalbitz nicht mehr vertritt. „Der Bundesvorstand wird im August 2022 über eine Neumandatierung in diesem Verfahren entscheiden», hieß es aus der Pressestelle. 

Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Beitrags ist uns ein Fehler passiert. Es wurde behauptet, die Brandenburger AfD würde „das 2021 vom Bundesvorstand erlassene Auftrittsverbot für ihren ehemaligen Landes- und Fraktionsvorsitzenden weitestgehend ignorieren». Richtig ist: Die im Beitrag benannten Beispiele für Auftritte von Kalbitz beziehen sich auf Veranstaltungen der Landtagsfraktion und der Stadtratsfraktion Oranienburg. Diese sind vom Auftrittsverbot allerdings nicht betroffen, da es sich bei ihnen um keine Parteigliederungen handelt.

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