nd-aktuell.de / 03.08.2022 / Ratgeber / Seite 1

Wenn man in der Schuldenfalle sitzt

Millionen können ihre Schulden nicht tilgen

Hermannus Pfeiffer
Schuldnerkarrieren starten oft bereits in jungen Jahren. Bundesweit stecken nach einer Analyse rund 6,6 Millionen Menschen im Schuldensumpf. Foto:dpa/Angelika Warmuth
Schuldnerkarrieren starten oft bereits in jungen Jahren. Bundesweit stecken nach einer Analyse rund 6,6 Millionen Menschen im Schuldensumpf. Foto:dpa/Angelika Warmuth

Fachleute schauen überrascht auf ein »Überschuldungs-Paradoxon«: Trotz Corona und den vielfältigen Belastungen aus der Pandemie ist die Zahl der überschuldeten Bürger auf einem Tiefstand. Die wenngleich nur moderat positive Überschuldungsentwicklung zeigt sich für 2021 sowohl in Ost wie West. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Zahl überschuldeter Privatpersonen um rund 700 000 auf 6,16 Millionen Fälle verringert. In Deutschland gelten damit aber immerhin noch 3,08 Millionen Haushalte als überschuldet und nachhaltig »zahlungsgestört«.

Die Überschuldungsquote, also der Anteil überschuldeter Personen im Verhältnis zu allen Erwachsenen, sank um mehr als einen Prozentpunkt auf 8,9 Prozent und ist damit erstmals seit Beginn der Auswertungen im Jahr 2004 unter die Neun-Prozent Marke gefallen. »Die positiven Zahlen sind in Anbetracht der lang anhaltenden Corona-Lage ein Überschuldungs-Paradoxon«, sagt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Bereits im ersten Corona-Jahr hatte sich die Lage erstaunlich günstig entwickelt.

Dahinter verbirgt sich ein Trend verhärteter Armut. Denn es ist etwas anderes, ob ich einen Konsumkredit nicht pünktlich zurückzahlen kann, oder ob es ans Eingemachte geht. Ein düsteres Bild malt daher die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände. Es kommen immer mehr Menschen, die ihre Miete und Stromkosten nicht mehr zahlen können, heißt es dort. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes nahmen 2021 rund 575 000 Personen die Hilfe einer Schuldner-Beratungsstelle in Anspruch. In diesem Frühjahr verzeichneten die Beratungsstellen einen weiteren deutlichen Anstieg.

Das Thema Altersarmut bleibt mit weiter ansteigendem Trend relevant. Die 60- bis 69-Jährigen zeigen als einzige Altersgruppe einen Anstieg der Überschuldungsfälle und Überschuldungsquote. Zuletzt wurden 769 000 Fälle in diesem Alterssegment[1] verzeichnet. Das ist ein Zuwachs von sechs Prozent. Bedenklich dabei ist allerdings: Die Zahl »harter« Überschuldungsfälle mit juristisch relevanten Sachverhalten steigt deutlich, während die Zahl »weicher Fälle« mit geringer Intensität zurückgeht. »Bei den Privatinsolvenzen können wir einen Sondereffekt beobachten«, erläutert die Wirtschaftsauskunftei Creditreform. »Der deutlichste Anstieg seit über zehn Jahren liegt vor allem an der verkürzten Restschuldbefreiung von drei Jahren« (bisher: sechs Jahre). Die rund 100 000 Verbraucherinsolvenzverfahren jährlich sind aber nur die Spitze des Eisberges.

Inzwischen wird das Problem selbst von Banken ernst genommen. Auch dort sieht man einen Trend zur »strukturellen Überschuldung«. Soll heißen, Verbraucher überziehen nicht aus Leichtsinn oder Unkenntnis ihr Konto, sondern aufgrund knapper Ressourcen. Es fehlt also an Geld, um einen bescheidenen Lebensstandard zu finanzieren. Einige Geldinstitute versuchen, mit einfachen Maßnahmen der Überschuldung entgegenzuwirken. Sie reichen von modernen »Nudges«, also Denkanstöße und Erinnerungshilfen, bis hin zum »Finanzcoaching« als Hilfe zur Selbsthilfe.

Gleichzeitig wurden in den letzten Jahren einige Möglichkeiten für Verbraucher geschaffen, um der Schuldenfalle zu entkommen. So hat jeder Bürger seit 2016 Anspruch auf ein Girokonto mit grundlegenden Funktionen (»Basiskonto«) – auch für Obdachlose[2], Asylsuchende und Geduldete. Das begründet das Zahlungskontengesetz (ZKG), mit dem der Bundestag eine Richtlinie der Europäischen Union umsetzte. Überschuldete können ein vorhandenes Girokonto in ein Pfändungsschutzkonto umwandeln. Das sogenannte »P-Konto« schützt vor willkürlichen Zugriffen von Gläubigern. Durch ein Verbraucherinsolvenzverfahren sollten sich die Betroffenen mittelfristig sogar von ihren Schulden befreien können.

Die Adresse der nächsten anerkannten Schuldnerberatungsstelle erfahren Sie bei ihrer Stadt- oder Kreisverwaltung, dem zuständigen Insolvenzgericht oder im Internet unter www.forum-schuldnerberatung.de. Doch hier ist Vorsicht vor privaten kommerziellen Vermittlern geboten. Auch die bundesweiten Verbraucherzentralen führen kostenlose Infoveranstaltungen durch, wie Sie ihre Schulden in den Griff bekommen. Allerdings sollten Sie dabei Geduld mitbringen. Viele Beratungsinstitutionen arbeiten heute an der Kapazitätsgrenze. Daher kann es sich durchaus lohnen, zunächst die Infos auf der Internetseite der Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung der Verbände unter www.agsbv.de zu studieren.

Mehr über Verschuldung erfahren Sie im »Schuldner-Atlas Deutschland«. Der 72-seitige Atlas kann kostenlos auf der Internetseite www.boniversum.de[3], einem »Tochter«-Unternehmen von Creditreform, heruntergeladen werden.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1162226.rentenplus-nur-prozent-steuerfreie-rente-fuer-neue.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165453.obdachlosigkeit-kein-dach-unterm-regenbogen.html
  3. http://www.boniversum.de