Kindeswohl ist entscheidend für Verbleib oder Rückkehr

RECHTSFÄLLE ZU PFLEGEELTERN

  • Frank Leth
  • Lesedauer: 4 Min.

Mit einem solchen Fall musste sich das Oberlandesgericht Frankfurt am Main befassen. Das OLG stellte mit dem am 3. Mai 2022 veröffentlichten Urteil klar, dass insbesondere das Wohl der Kinder mit der Rückkehr zu den leiblichen Eltern nicht gefährdet werden dürfe. Komme ein Kind wegen einer Kindeswohlgefährdung direkt nach der Geburt zu Pflegeeltern, muss für eine vom Jugendamt befürwortete Rückkehr zu den leiblichen Eltern in der Regel ein psychologisches Gutachten eingeholt werden.

Überforderte leibliche Eltern

Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Kinder in Pflegefamilien nach Möglichkeit wieder zu ihren Herkunftseltern zurückkehren können. Voraussetzung hierfür ist, dass die Gründe für die Herausnahme aus dem ursprünglichen Haushalt, etwa die Überforderung der leiblichen Eltern, Verwahrlosung oder auch Gewaltrisiken nicht mehr bestehen.

Wird die Hilfe von Pflegeeltern vorübergehend oder dauerhaft in Anspruch genommen, sind sie für die Angelegenheiten des alltäglichen Lebens der Kinder verantwortlich. Die leiblichen Eltern behalten regelmäßig aber das Sorge- und Umgangsrecht. Wollen die leiblichen Eltern ihre Kinder wieder zurück oder zumindest Einfluss auf die Erziehung nehmen, kommt es immer wieder zum Streit. So auch im vom Oberlandesgericht entschiedenen Fall eines 2020 geborenen Mädchens, das wenige Tage nach seiner Geburt wegen einer Kindeswohlgefährdung zu Pflegeeltern kam. Gleiches geschah zuvor schon mit ihrer älteren Schwester.

Als die Pflegeeltern der jüngsten Tochter den dauerhaften Verbleib des Kindes in ihrem Haushalt beantragten, wurde das vom Amtsgericht abgelehnt. Das für den Aufenthaltsort der Eltern zuständige Jugendamt hatte sich für die Rückführung des Kindes zu den Herkunftseltern eingesetzt. Dies solle vorbereitend mit »intensivierten Umgängen«› ermöglicht werden.

Bindung zu Pflegepesonen

Das Jugendamt am Aufenthaltsort des Kindes sprach sich ebenso wie der Verfahrensbeistand des Kindes gegen eine Rückführung aus. Das Amtsgericht konnte hingegen keine Anhaltspunkte mehr für eine Kindeswohlgefährdung bei den Herkunftseltern erkennen. Der Antrag der Pflegeeltern wurde daher abgelehnt. Doch das OLG kippte diese Entscheidung. Sei ein Kind kurz nach der Geburt zu den Pflegeeltern gekommen, müsse für die Rückkehr zu den Herkunftseltern regelmäßig ein psychologisches Gutachten zur Kindeswohlgefährdung eingeholt werden. Dabei müsse insbesondere in den Blick genommen werden, ob und wenn ja, in welchem Umfang das Kind Bindungen zu seinen Pflegepersonen und deren Umfeld aufgebaut habe und durch einen Abbruch der Bindung in seinem Wohl gefährdet würde, wie in diesem Falle.

Das Bundesverfassungsgericht machte in einem anderen Fall den Verbleib des Kindes ebenfalls vom Kindeswohl abhängig. In einem 2021 entschiedenen Rechtsstreit wurde ein Pflegekind wieder aus der Pflegefamilie herausgenommen, da der Pflegevater eine siebenmonatige Bewährungsstrafe wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material verschwiegen hatte. Wollen die Pflegeeltern das Kind trotz bestehender Warnungen des Jugendamtes wieder zurück, dürfe ein Gericht die Bedenken der Behörde nicht beiseite wischen und müsse vielmehr eine Gefahrenprognose durchführen, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit Beschluss vom 12. Februar 2021. Dies sei hier aber unterblieben un muss nachgeholt werden.

Ansprüche des geschiedenen Vaters

Findet ein Kind bei Pflegeeltern ein neues Zuhause, kann nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs von 2016 der geschiedene leibliche Elternteil vom Jugendamt Anspruch auf Auskunft über das Kind verlangen. Im Streitfall ging es um ein zehnjähriges Kind, das in einer Pflegefamilie lebt. Die leiblichen Eltern sind getrennt. Die Mutter steht unter Betreuung, so dass das Jugendamt die Fürsorge für das Kind übernahm.

Als der Vater wissen wollte, wie es seinem Kind geht, wie die schulischen Leistungen sind und ob er ein aktuelles Foto erhalten kann, lehnte das Jugendamt ab. Grundsätzlich ist, so der BGH, zunächst der andere Elternteil, hier die Mutter, die ebenfalls Umgang mit dem Kind pflegt, zur Auskunft verpflichtet. Scheide dies aus, könne auch das Jugendamt, es können nicht aber die Pflegeeltern Auskunft geben. Ein Auskunftsanspruch bestehe zur schulischen Entwicklung, außerschulischen Betätigungen sowie zur gesundheitlichen und sozialen Entwicklung des Kindes. Detaillierte Informationen wie Erziehungsberichte, ärztliche Unterlagen oder zu den Vermögensverhältnissen des Kindes gehörten aber nicht dazu, so der BGH.

Das Jugendamt kann nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 29. März 2016 als Vormund eines Pflegekindes nicht die von den leiblichen Eltern bestimmte Religionszugehörigkeit des Kindes wieder ändern. Sei diese einmal festgelegt, bleibe diese gültig, auch wenn das Kind in einer Pflegefamilie aufwächst. Damit blieb es den Pflegeeltern verwehrt, ein aufgenommenes muslimisches Kind taufen zu lassen, damit es am katholischen Schulunterricht teilnehmen und zum katholischen Glauben erzogen werden kann.

Urteile im Überblick: Az. 6 UF 225/21 (Oberlandesgericht Frankfurt am Main), Az. 1 BvR 1780/20 (Bundesverfassungsgericht), Az. XII ZB 345/16 (Bundesgerichtshof), Az. 2 UF 223/15 (Oberlandesgericht Hamm).

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