nd-aktuell.de / 10.08.2022 / Politik / Seite 1

»Die Preise erhöhen sich teils fünffach«

Der Deutsche Mieterbund fordert die Einführung von Moratorien für Strom- und Heizsperren

Martin Höfig
Banger Blick angesichts steigender Wohnkosten: Bewohner in Hamburg Eidelstedt
Banger Blick angesichts steigender Wohnkosten: Bewohner in Hamburg Eidelstedt

Die SPD-Fraktion hat kürzlich ein Eckpunktepapier veröffentlicht, in dem sie unter anderem fordert, eine Kündigung des Mietvertrages solle vorerst nicht mehr zulässig sein, wenn ein Mieter seine Vorauszahlungen für die Betriebskosten nicht leisten kann. Wie zuversichtlich sind Sie, dass solche Maßnahmen von der Ampel-Koalition tatsächlich umgesetzt werden?

Der Mieterbund fordert ein solches Kündigungsmoratorium schon seit Monaten. Und wir brauchen es jetzt und nicht erst irgendwann später. Doch es ist ja eine rechtliche Frage, daher ist das Bundesjustizministerium zuständig. Justizminister Marco Buschmann von der FDP hat sich aber bisher noch überhaupt nicht zu dem Thema geäußert und nach unseren Informationen plant er auch nichts dazu. Was muss eigentlich noch passieren, damit er tätig wird? Sein Schweigen dazu ist schon sehr verwunderlich.

Dennoch glaube ich, dass das Moratorium kommt. Es wollen ja auch alle – sowohl die Mietervertretungen als auch die Vermieter. Es gibt also überhaupt keine gesellschaftlichen Widerstände dagegen, was es umso erstaunlicher macht, dass Buschmann nichts tut.

Wie viele Haushalte in Deutschland sind so prekär, dass sie auf einen solchen Kündigungsschutz und auf ein Moratorium zu Strom- und Heizsperren angewiesen sind?

Schon vor der Energiekrise war etwa die Hälfte der Mieterhaushalte in den Großstädten überlastet. Das heißt, circa 4,1 Millionen Haushalte zahlten mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete. Etwa 2,1 Millionen davon sogar mehr als 40 Prozent und etwa eine Million gar mehr als 50 Prozent. Diese Zahlen dürften mittlerweile noch um einiges höher sein.

Schutz vor Kündigung ist das eine. Aber was ist mit den befürchteten immensen Kosten, die jene privaten Haushalte früher oder später ja dennoch abzahlen müssen. Was, wenn dies nicht möglich ist – bei zu geringen Einkommen oder Renten und nicht vorhandenen Rücklagen?

Jeder zweite Mieterhaushalt in Deutschland bekommt Gas und die Preise erhöhen sich teils fünffach. Da steigen die Kosten bei manchen von 1000 auf 5000 Euro im Jahr. Und die Nebenkostenabrechnungen kommen jetzt. Da helfen nur schnelle weitere Entlastungspakete, kombiniert mit dauerhaften Zuschüssen. Wir fordern auch, dass der CO2-Preis ausgesetzt wird.

Wie bewerten Sie die im Koalitionsvertrag bereits angekündigte Wohngeldreform, die Bundeskanzler Scholz nun vorziehen will?

Das Wohngeld ist eine Quersubventionierung, bei der die jeweiligen Mieten nicht real, sondern nur der Durchschnitt der Wohngeldempfänger abgebildet wird. Es handelt sich daher um einen Zuschuss, der die wirkliche Wohnkostenbelastung nur verzerrt wiedergibt und daher nicht ausreicht. Daher brauchen wir jetzt konkrete Maßnahmen wie einen bundesweiten Mietenstopp. Außerdem muss es neben dem Wohngeld einen Zuschuss über die Einkommenssteuer geben. Mittelfristig ist eine Ausweitung des Sozialwohnungsbaus notwendig, der sich auch an den Bedürfnissen älterer Menschen orientiert.

Kann denn das Wohngeld Mieter und Mieterinnen überhaupt wirklich entlasten? Und wie viele Menschen nehmen es zurzeit in Anspruch?

Allgemein ist das Wohngeld nicht das Instrument, um Mieter und Mieterinnen nachhaltig zu entlasten. Mal davon abgesehen, dass ein Hartz-IV-Antrag gegenüber den bürokratischen Hürden beim Beantragen des Wohngelds ein Spaziergang ist. Und es gibt momentan auch nur etwa 640 000 Mieterhaushalte, die mit Wohngeld unterstützt werden. Bei wie gesagt mindestens 4,1 Millionen Haushalten, die allein in den großen Städten von den Mieten überlastet sind.

Wie stark sind nach Ihrer Einschätzung Rentnerinnen und Rentner von der aktuellen Krise betroffen?

Vor den aktuellen Preissteigerungen mussten bereits zwei Drittel der Rentnerinnen und Rentner mehr als 30 Prozent ihrer Bezüge für die Mietkosten verwenden. Auch hier dürften das mittlerweile noch viel mehr Menschen sein, ich schätze etwa drei Viertel von ihnen. Dabei ist es nicht nachzuvollziehen, dass sie bei der Energiekostenpauschale außen vor gelassen wurden. Der Deutsche Mieterbund schließt die Rentnerinnen und Rentner ausdrücklich in seine Forderungen ein.