Lernort Rotes Kreuz im Weltkrieg

Engagierte setzen sich für die Erinnerung an Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge in Griebnitzsee ein

Markus Wicke, Vorsitzender des Fördervereins des Potsdam-Museums
Markus Wicke, Vorsitzender des Fördervereins des Potsdam-Museums

Nur ein paar Schritte vom Potsdamer Bahnhof Griebnitzsee entfernt erhebt sich ein langgestrecktes Gebäude mit einem bombastischen Eingangsbereich. Heute sind hier die juristische sowie die wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität Potsdam untergebracht. Aber einst residierte hinter einem großzügigen Balkon der SS-Reichsarzt, SS-Obergruppenführer und General der Waffen-SS Ernst Robert Grawitz in seiner 1937 erlangten Funktion als Geschäftsführender Präsident des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Seine Untergebenen halfen, bei Inspektionen des Internationalen Roten Kreuzes in Konzentrationslagern wie Dachau die dort verübten Verbrechen zu vertuschen und die wahren Verhältnisse zu verschleiern, unter denen die Häftlinge litten. Insbesondere im Zweiten Weltkrieg stellte Grawitz das DRK voll in den Dienst faschistischer Eroberungsgelüste und Weltherrschaftsfantasien. An einen Sieg aber glaubte er spätestens im Frühjahr, als sowjetische Streitkräfte so gut wie vor der Tür standen, nicht mehr. Trotzdem gab er im DRK-Präsidium in Potsdam noch Durchhalteparolen aus, bevor er am 24. April sich selbst und seine Familie zuhause mit einer Handgranate unter dem Tisch tötete.

Von Sanitätsdepot zum Hochschulcampus
  • Der Preußische Landverein vom Roten Kreuz entschied 1896, an der Bahnstrecke nach Berlin sein Zentraldepot Ne몾lsberg einzurichten. Zwei Jahre später wurde es in Betrieb genommen. Zwei Villen, heute Haus 2 und 3 auf dem Campus, nahmen damals Wohnräume und Büros auf.
  • Haus 1 auf dem Campus Griebnitzsee ist das alte DRK-Präsidium, entworfen von Norbert Lemmel und Emil Fahrenkamp.
  • Nach dem Krieg saß hier bis 1952 das Oberkommando der sowjetischen Truppen in Deutschland, bevor es nach Wünsdorf umzog.
  • Es folgte eine Verwaltungsakademie die 1953 mit einer Hochschule für Justiz zur Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft zusammengelegt wurde. Mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 wurde das an der Grenze zu Westberlin gelegene Terrain abgeriegelt. Teile der Akademie kamen 1991 zur Universität Potsdam. af

    Markus Wicke, Vorsitzender des Fördervereins des Potsdam-Museums, weiß über diese Dinge ausgezeichnet Bescheid. Er hat in den 1990er Jahren in Griebnitzsee Politikwissenschaften und Soziologie studiert und im historischen Haus 2 am Campus, nur ein kleines Stück vom alten DRK-Präsidium entfernt, als Mitarbeiter einer Professorin gesessen. Seine Magisterarbeit zu »NS und DRK« wäre eigentlich eine Aufgabe für einen Geschichtsstudenten gewesen und sei »gerade so« als Abschlussarbeit eines Politikwissenschaftlers durchgegangen, wie Wicke sagt. »Ich hätte besser Geschichte studiert.« In den 90er Jahren habe ihm niemand sagen können, was vor 1945 auf dem Gelände war. »Weil ich ein neugieriger Mensch bin, ging ich in die Archive.«

    Sein damals erworbenes Wissen gibt er inzwischen gern bei Führungen weiter, für die sich immer wieder interessierte Menschen melden. 29 Männer und Frauen laufen am Freitagabend mit Wilke über den Campus und stehen zum Abschluss vor dem ehemaligen DRK-Präsidium, gehen auch noch hinein. 1939 startete der Bau des protzigen Hauses, 1943 wurde es trotz der kriegsbedingten Einschränkungen fertig, berichtet Wilke. Die Bauarbeiter, das waren vornehmlich französische Kriegsgefangene, für die es vor Ort ein Lager gab. Dieses Lager ist heute zum Teil von einem Parkplatz bedeckt. Damit sind die Spuren verwischt, wenn nicht gänzlich getilgt. Das Barackenlager reichte aber hinüber auf ein Grundstück, das heute als kleines Wäldchen daliegt. Zwischen den Bäumen könnten Arbeiter beim Ausheben von Baugruben möglicherweise noch auf Überreste von Fundamenten stoßen, wenn der Campus Griebnitzsee wie geplant erweitert wird. Das Hasso-Plattner-Institut, benannt nach dem bekannten Softwaremilliardär, möchte sich dorthin ausbreiten. Dafür sollen der Flächennutzungsplan geändert und ein Bebauungsplan aufgestellt werden.

    Die Frist zur Abgabe von Stellungnahmen während der Phase der vorgeschriebenen Öffentlichkeitsbeteiligung verstreicht just am Freitag. Markus Wicke hat sich noch rechtzeitig zu Wort gemeldet und auf die belastete Geschichte des Areals hingewiesen. Er regt an, einen zentralen Informations- und Erinnerungsort zu schaffen, von dem aus Besucher zu den noch vorhandenen historischen Stätten auf dem Campus ausschwärmen könnten. Viel wurde schon abgerissen von den Baracken und Häusern, die einst als DRK-Zentraldepot dienten und in denen bereits im Ersten Weltkrieg Sanitäter eingekleidet und an die Front geschickt worden sind. Die Hilfsorganisation war damals eine Hilfstruppe für das kaiserliche Heer.

    Das Vorhaben, den Campus zu erweitern, und die Gefahr, letzte Spuren unwiderbringlich zu beseitigen, sind der Anlass für die jüngste Führung durch Markus Wicke. Dazu eingeladen hat der Verein Inwole und ebenso zu einem anschließenden Gespräch mit Wicke und der Historikerin Almuth Püschel im Garten des nahegelegenen Projekthauses Babelsberg. Die 21 Teilnehmer stimmen überein, dass an das Kriegsgefangenenlager erinnert werden sollte und auch an das Außenkommando von Häftlingen des KZ Sachsenhausen, die auf dem heutigen Campus einen Luftschutzbunker bauen mussten. An der besagten Stelle ist inzwischen nichts mehr zu sehen als ein kleiner Erdhügel. Lediglich eine Informationstafel an der Universitätsbibliothek und eine weitere vor Haus 2 weisen im Moment auf diese Vergangenheit des Areals hin. Das ist ein bisschen dürftig. Auch darüber sind sich beim Gespräch im Garten des Projekthauses alle einig. Aber was zusätzlich unternommen werden sollte und wer das bezahlt, das überlegen sie gemeinsam. Wie man ihn kennt, hätte Milliardär Hasso Plattner sicher nichts dagegen, einen Erinnerungsort in sein Institut zu integrieren, heißt es.

    »Ich finde, das DRK sollte – sage ich mal salopp – zur Kasse gebeten werden und sich seiner historischen Verantwortung stellen«, wirft Historikerin Püschel ein. Sie hat noch plastisch in Erinnerung, wie das DRK-Präsidium ihr 1992 beschieden habe, mit seiner Nazivergangenheit wolle die Organisation nicht in Verbindung gebracht werden. Doch seitdem habe sich im Bewusstsein der DRK-Spitze einiges verändert, bescheinigt Markus Wicke aus neueren Erfahrungen heraus. Das DRK arbeite mittlerweile auch kritisch seine eigene Geschichte auf. Gerade darum sollte es in die Gestaltung eines Erinnerungsorts einbezogen werden, meint Wicke. Konkrete gute Ideen sollten nun entwickelt werden. Lutz Boede von der linksalternativen Wählergruppe »Die Andere« schlägt vor, darum könnte sich doch eine Arbeitsgruppe des Potsdamer Kulturausschusses kümmern.

    Die Stadtverwaltung teilte schon mit, dass »Wirkung und Substanz« der Denkmale auf dem Campus durch die Bauarbeiten nicht beeinträchtigt werden sollen. Lediglich die Zufahrt zum ehemaligen DRK-Präsidium solle verändert werden. Das würde die Monströstität des Klotzes städtebaulich abmildern – ein durchaus wünschenswerter Effekt.

    Holger Raschke vom Verein Inwole fragte sich und frage die Stadt, ob die Politik den geschichtlichen Aspekt der Campuserweiterung auf dem Schirm hat und wie sie damit umzugehen gedenkt. Ja, die Politik hat das im Blick. Der Stadtverordnete Sascha Krämer (Linke) will die damit verbundenen Fragen im Kulturausschuss auf die Tagesordnung setzen. Krämer begrüßt das bürgerschaftliche Engagement. »Das gehört zu einer vielfältigen Erinnerungskultur«, sagt er.

    Indessen nimmt an der Führung und am Gespräch Studentin Vivien Pejic teil. Sie gehört dem Senat der Universität Potsdam an und dem sozialistischen Studierendenbund SDS und hat von Markus Wicke und Almuth Püschel viel Neues erfahren. »Ich denke, ich bin nicht die einzige Studentin, die noch nicht so viel darüber wusste«, vermutet sie. Genau darum unterstützt sie den Ansatz, den gewünschten Erinnerungsort auch für die politische Bildung zu nutzen.

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