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»Es ist überall laut«

Münchens Europameisterschaften begeistern bislang Athleten und Fans gleichermaßen

Die Triathleten genossen am Anstieg auf den Olympiaberg die Anfeuerung von Zehntausenden Fans. In ihrem Sport eine absolute Seltenheit.
Die Triathleten genossen am Anstieg auf den Olympiaberg die Anfeuerung von Zehntausenden Fans. In ihrem Sport eine absolute Seltenheit.

Aishe springt auf und wackelt hektisch mit dem Schwanz. Die Hündin hat gerade noch mit ihrer türkischen Menschenfamilie in Ruhe auf einer grünen Wiese im Münchner Olympiapark vor sich hin gedöst. Nun plötzlich ist hier Remmidemmi. Tausende saßen bis eben noch rund um eine Bühne direkt an der Nordseite des Olympiasees und genossen an einem warmen Sonntagabend das Leben. Jetzt aber kommen die Triathleten vorbei, und da wollen die Leute endlich tun, wofür sie doch eigentlich hergekommen sind: Europas beste Sportler bei den European Championships anfeuern.

Nicht nur hier sind Massen unterwegs. Es war die große Sorge der Organisatoren dieses Multisport-Events, dass es an Fans fehlen würde. Zumindest an den ersten Tagen aber hat sich das nicht bestätigt. Die Bahnradwettbewerbe in der zwar recht kleinen, aber doch abgelegenen Messehalle sind stets ausverkauft, auch die Turnerinnen bekommen die große Olympiahalle voll. Und dort, wo man kostenlos zuschauen darf, wie beim Straßenradrennen, dem Marathon oder eben im Triathlon säumen insgesamt mehrere Hunderttausend Menschen die Strecken.

Obwohl der erste deutsche Triathlet in der Mixed-Staffel früh den Anschluss zur Spitze verliert, stehen die Leute im grünen Amphitheater für alle Athleten auf und feuern sie an: egal, ob den führenden Schweizer oder den durch einen Sturz weit zurückgefallenen Ukrainer. »Die Fans sind wirklich fair und extrem cool. Wir haben selten so viele Zuschauer«, freut sich der Österreicher Alois Knabl später, dass auch ein paar »Austria«-Rufe dabei waren. Die meisten Zuschauer können eh kaum erkennen, wer da gerade an welcher Position läuft. Nicht alle verfolgen das Rennen aufmerksam auf der Videoleinwand mit, wenn gerade niemand an ihnen vorbeiläuft. Dann wird lieber am Bierchen genippt und an Falafel oder Kebab geknabbert. Die Imbissbuden sind schließlich nur wenige Meter entfernt.

Ein erstes Raunen geht durch die Menge, als Nina Eim das deutsche Triathlonteam mit einem beherzten Lauf auf einen Medaillenrang nach vorn bringt. Auch sie wird beim Vorbeilaufen ohrenbetäubend laut angefeuert. »Ich habe komplett den Überblick verloren, wo ich lag. Ich wusste gar nicht, dass ich so weit nach vorn gekommen war. Es war einfach so laut. Das war unglaublich. Da vergisst man auch ein bisschen die Schmerzen im Wettkampf«, sagt Eim nach dem Rennen.

Nur Hündin Aishe kann den ganzen Trubel nicht verstehen. Sie trinkt kurz aus ihrer Tupperdose, bevor sie Herrchen und Frauchen deutlich zu verstehen gibt, dass sie jetzt nach Hause will. Ist doch ziemlich heiß hier im Olympiapark, und die Schattenplätze sind rar.

Dass Schlussläuferin Laura Lindemann die deutsche Mixed-Staffel noch an der Schweiz vorbei auf Rang zwei läuft, hinter den dominierenden Franzosen, bekommt die junge Familie also nicht mehr mit. Die meisten anderen aber sind geblieben und machen aus einem EM-Triathlon ein kleines Volksfest.

»Ich hab gar nicht realisiert, wie groß die Lücke zur Schweizerin hinter mir war. Normalerweise hört man das an den Zuschauern, wenn sie bei der Verfolgerin wieder jubeln. Aber hier war es einfach nur immer laut«, sagt Lindemann, die schon beim Einzel zum EM-Auftakt Silber gewonnen hatte. »Ich habe auch nicht verstanden, was unsere Trainer mir zugerufen haben. Im Ziel war ich dann total irritiert, wie groß der Abstand geworden war. So eine Stimmung habe ich noch nie erlebt.«

Damit die European Championships auch finanziell ein Erfolg werden, muss aber vor allem das Olympiastadion bei den Wettbewerben der Leichtathleten oft möglichst voll werden. Das wissen auch die Animateure beim Triathlon, den man im weitläufigen Olympiapark ja kostenlos besuchen kann. »Kommt in den nächsten Tagen wieder zur Leichtathletik! Holt euch Tickets! Macht das Stadion voll!«, rufen sie und bekommen am folgenden Montagvormittag noch ein paar Argumente mitgeliefert, als die deutschen Läuferinnen und Läufer im Marathon mit drei Medaillen in ihre EM starten und zudem auch Niklas Kaul am ersten Tag des Zehnkampfs auf Medaillenkurs sprintet.

»Es ist ja kein großes Geheimnis, dass uns das schlechte deutsche Ergebnis der Leichtathletik-WM nicht gerade geholfen hat. Man braucht halt Stars und deutsche Erfolge«, hatte Organisationschefin Marion Schöne vergangene Woche noch geunkt. Die recht volle Gegengerade schon am Vormittag der ersten Wettbewerbe im großen Stadion dürften sie nun aber etwas beruhigt haben.

Es bleibt abzuwarten, wie stark der erwartete Abfall des Zuschauerzuspruchs in den kommenden Tagen sein wird, wenn die meisten hiesigen Sportfans nach dem langen Feiertags-Wochenende in Bayern wieder arbeiten müssen und auch weniger Entscheidungen angesetzt sind. Zumindest die Medaillen in der Leichtathletik werden fast allesamt erst spätabends vergeben. Im Gegensatz zu Olympischen Spielen können sich diese European Championships nicht auf viele angereiste Fans aus dem Ausland verlassen. Die sind nur vereinzelt in München zu sehen. Da fehlt es den European Championships doch noch an Glanz.

Trotzdem ist der Olympiapark selbst noch zwei Stunden nach dem Zieleinlauf der Triathleten voll. Auch die Schlangen an den Getränkeständen werden nicht kürzer, denn nun werden keine Sportler mehr bejubelt, sondern eine Raggae-Band, die auf der anderen Seite des Olympiasees mit einem Konzert für gelöste Stimmung sorgt. Die Mischung aus Entertainment und gutem Sport passt bislang in München.

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