nd-aktuell.de / 17.08.2022 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 1

Abwässer aus Papierfabrik bedrohen Trinkwasser

Im Südharz wurden mehrere Gewässer mit Nährstoffen verunreinigt

Reimar Paul

Dimensionen wie das große Fischsterben an der Oder[1] hat der Fall zwar nicht, wohl aber das Zeug zu einem mittleren Öko-Skandal: In der Stadt Herzberg im Südharz sind durch Nährstoffe belastete Abwässer einer Papierfabrik größtenteils ungeklärt in das Flüsschen Sieber, in den Mühlengraben und schließlich in den als auch als Badeanstalt genutzten Juessee gelangt. Das Abwasser droht mittelfristig auch die Rhumequelle zu belasten, die als Trinkwasser-Reservoir für die Region Eichsfeld dient.

Die Herzberger Stadtverwaltung machte den Vorgang am vergangenen Freitag bekannt. Demnach hat die Papierfabrik Smurfit Kappa Solid Board »seit einiger Zeit Probleme mit der eigenen Abwasserreinigungsanlage«. Das Unternehmen, das in Herzberg unter anderem Vollpappe und Wellpappe produziert, habe über die Sieber Wasser abgeben müssen, das erhöhte Nährstoffwerte aufweise.

Über diese Ausleitungen seien dann auch vermehrt Nährstoffe in den Mühlengraben und den Juessee gelangt, die das ohnehin schon verbreitete Wachstum von Blaualgen verstärkt hätten. Die Nährstoffe sind nach Angaben der Stadt zwar weder für Menschen noch Flora und Fauna gesundheitsgefährdend. Allerdings seien sie – etwa durch Schwebstoffe, braune Farbe und Schaum – sichtbar. In den vergangenen Tagen hätten sie zudem »merklich unangenehme Gerüche« entfaltet.

Nach Angaben der Stadt sind in den vergangenen Tagen »zahlreiche Anfragen von besorgten Bürgern und Vereinen, aber auch Beschwerden von Gästen« bei den Behörden eingegangen. Auch die Polizei und die Feuerwehr seien schon von Anwohnern zu Hilfe gerufen worden. Die Behörden haben den Juessee inzwischen für Badegäste gesperrt.

Der Geologe Friedhart Knolle vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) kennt das Problem. »Kürzlich war die Lage noch schlimmer als sonst«, sagt er. »So schaumig waren das Sieberwasser und das abgeleitete Sieberwasser im Mühlengraben vorher nicht. Viele Bürger haben mir erzählt, dass sie wegen des Gestanks nachts nicht mehr schlafen können.« Die Papierfabrik habe offenbar ihre Kläranlage nicht im Griff, so Knolle weiter.

»Wir bedauern die Entwicklung, insbesondere die Eintrübung des Mühlengrabens, die Blaualgenblüte des Juessees sowie die damit verbundene Geruchsbildung«, erklärt Smurfit Kappa in einer Pressemitteilung. Auch wenn insbesondere die Blaualgen[2] nicht ursächlich auf die Einleitung der Prozesswässer zurückzuführen seien, wirkten diese »unter gewissen Umständen verstärkend«. Neben externen Faktoren komme aufgrund der aktuellen extremen klimatischen Bedingungen die technische Infrastruktur sowie die Abwasserreinigungsanlage an ihre Kapazitätsgrenzen. Als erste Gegenmaßnahme hat Smurfit Kappa nach eigenen Angaben die Produktionsmengen gedrosselt. Zusätzlich habe das Unternehmen einen Kühlturm angemietet, um die Temperatur der Sieber unter Kontrolle zu halten.

Die Sieber fließt zum Teil in die – nicht mit dem deutsch-polnischen Grenzstrom zu verwechselnde – Oder. Teils versickert das Sieberwasser auch im Karstboden und tritt an der rund 15 Kilometer von Herzberg entfernten Rhumequelle wieder an die Oberfläche.

Diese Quelle im Kreis Göttingen ist mit einem mittleren Abfluss von 2000 Litern pro Sekunde die vierstärkste Quelle Deutschlands und zugleich eine der ergiebigsten Karstquellen in Mitteleuropa. Theoretisch könnte jeder Einwohner in Deutschland täglich mehr als zwei Liter Wasser aus der Rhumequelle erhalten.

Seit 1978 dient das Quellwasser zur Trinkwasserversorgung. Die Eichsfelder Energie- und Wasserversorgungsgesellschaft (EEW) beliefert rund 15 000 Einwohner mit etwa einem Prozent des Wassers der Rhumequelle. Aufgrund der Meldungen aus Herzberg wurde die Quelle am Wochenende vorsorglich vom Netz genommen. Als Vorsichtsmaßnahme seien zugleich Wasserproben getestet worden, teilte die EEW mit. Diese seien jedoch ohne Befund geblieben.

Der Landkreis Göttingen ist unterdessen bemüht, die aufgebrachten Gemüter zu beruhigen. Eine Gefährdung der Rhumequelle könne »nach allen derzeit vorliegenden Erkenntnissen« ausgeschlossen werden, sagte Kreissprecher Ulrich Lottmann zu Beginn der Woche. Es gebe auch keine fortdauernde Belastung von Gewässern in Herzberg und keine Gefährdung von Menschen oder Umwelt durch Giftstoffe. Spekulationen über eine drohende Umweltkatastrophe, wie sie in der Lokalzeitung angestellt wurden, seien deshalb »maßlos und irreführend«.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166136.fischsterben-oder-fischsterben-in-der-oder-bleibt-ungeklaert.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165172.umwelt-stress-fuer-binnenseen.html?sstr=Blaualgen