Querdenken schützt vor Strafe nicht

Deutsche Behörden ermitteln gegen bekannte Verschwörungsideologen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.

Es ist noch überhaupt nicht klar, was mit dem Verschwörungsideologen Oliver Janich am Mittwoch wirklich passiert ist. Dennoch hatte das rechte Medienportal AUF1 für seine Zielgruppe längst eine Erklärung oder vielmehr szenetypisch chiffrierte Deutung parat: »Das System schlägt zu: Kritischer Journalist und Autor Oliver Janich verhaftet«, bewirbt das aus Österreich stammende Medienprojekt ein Video über die mutmaßlichen Hintergründe der Festnahme. Zufällig bekam AUF1-Chef Stefan Magnet von Österreich aus den Vorfall auf den Philippinen mit, wohin Janich 2016 auswanderte. Beide waren nach Aussage Magnets am Mittwochmorgen für ein Interview über angebliche Verstrickungen der deutschen Politik mit dem Geheimbund der Freimaurer verabredet.

In diesem Zusammenhang kann sich der AUF1-Chef eine in der Verschwörungsszene typische Anspielung nicht verkneifen. Er und Janich hätten vor dem geplanten Gespräch Scherze darüber gemacht, der Inhalt könnte so brisant sein, dass es Ärger geben könnte. Dann habe Magnet über Telegram von der Verhaftung erfahren. AUF1-Moderatorin Nora Hesse vergisst in ihrer Anmoderation nicht zu erwähnen, dass Janich mehrfach betont habe, er sei froh, auf die Philippinen ausgewandert zu sein, weil er dort noch frei seine Meinung äußern könne. Ein typischer AUF1-Beitrag, der schon in den ersten Minuten die für die Verschwörungsbewegung wichtigen Themen Meinungsfreiheit, Geheimlogen und politische Verfolgung unterbringt.

Warum die philippinischen Behörden einen der führenden Köpfe der deutschen Verschwörungsszene festnahmen, wissen zu diesem Zeitpunkt aber weder AUF1 noch jemand aus Janichs weitläufigen Netzwerk. Nicht nur sein Telegramkanal mit rund 150 000 Abonnent*innen streut die wildesten Spekulationen, die Szene ist nach der Verhaftung in heller Aufregung. Als mutmaßliche Gründe werden die Involvierung in ein Gewaltverbrechen genauso genannt wie die Verbreitung von Hassbotschaften, aber auch Ärger mit einem angeblichen Ex-Freund seiner Lebensgefährtin.

Was stimmt: In Deutschland läuft gegen Janich ein Strafverfahren. Laut der Staatsanwaltschaft München I geht es dabei um den Vorwurf der Beleidigung und der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, konkret soll der 53-Jährige unter anderem zur Tötung deutscher Regierungspolitiker*innen und von US-Präsident Joe Biden aufgerufen haben. Die Mordaufrufe tun Janichs Unterstützer*innen als Satire ab. Überhaupt wird der frühere Finanzjournalist zu einem politischen Opfer stilisiert und beispielsweise zum »deutschen Julian Assange« erklärt.

Ein schiefer Vergleich mit dem Gründer der Enthüllungsplattform Wikileaks, wie ein Blick auf Janichs bisheriges Wirken zeigt. Im deutschsprachigen Raum ist er einer der bekanntesten Anhänger der aus den USA stammenden QAnon-Verschwörung, wonach in den Vereinigten Staaten eine dem Teufel huldigende Elite aus Politik, Wissenschaft und Kultur massenhaft Kinder missbrauche. Über die möglichen »wahren Täter« der Terroranschläge am 11. September 2001 in New York hat Janich ein Buch verfasst, andere seiner Werke tragen Titel wie »Die geheimen Zirkel der Macht und ihre Methoden« und »Wie Angela Merkel Deutschland zerstört«.

Wer Janichs Telegramkanal folgt, bekommt es innerhalb kurzer Zeit mit vielen bekannten Namen der deutschen Verschwörungsszene zu tun, die sich gegenseitig in der Verbreitung und ebenso Kommerzialisierung ihres Schaffens unterstützen. Nahrungsergänzungsmittel aus dem Shop des rechtsesoterischen Kopp-Verlags werden ebenso angepriesen wie vermeintliche Enthüllungen des ebenfalls ins Verschwörungsideologische abgegelittenen früheren »Focus«-Journalisten Boris Reitschuster.

In der deutschen Verschwörungsszene macht sich zunehmend Nervosität breit, ist Janich doch innerhalb kurzer Zeit der zweite Fall, bei dem ein führender Kopf Ärger mit der Justiz bekommt. Bereits seit Ende Juni sitzt Querdenken-Mitbegründer Michael Ballweg aufgrund einer möglichen Fluchtgefahr im Gefängnis Stuttgart-Stammheim in Untersuchungshaft. In den nächsten Tagen soll über eine mögliche Freilassung entschieden werden. Anders als im Fall von Janich gibt es über Ballwegs Ärger mit den Behörden keine Spekulationen, die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt gegen ihn wegen Betrugs und Geldwäsche. Allein bei letzteren Vorwurf geht es um rund 430 000 Euro. Die Staatsanwaltschaft wirft Ballweg vor, einen »höheren sechsstelligen Betrag« an Zuwendungen zweckentfremdet und über die Nutzung gezielt getäuscht zu haben. In Livestreams, sozialen Netzwerken und bei Querdenken-Protesten hatte der Unternehmer wiederholt zu Schenkungen aufgerufen und ausdrücklich nicht um Spenden gebeten. Letztere sind nur an Institutionen wie Vereine und Stiftungen möglich, nicht aber an Privatpersonen. Auch auf der Website von Querdenken-Stuttgart wird bis heute ausdrücklich zu Schenkungen aufgerufen.

Ballweg sitzt seit dem 29. Juni in Untersuchungshaft, weil die Behörden von einer Fluchtgefahr ausgehen. Jenseits der konkreten Umstände in diesem Fall haben sich bereits zahlreiche führende Vertreter*innen aus Deutschland mehr oder weniger dauerhaft verabschiedet. Einer von ihnen: Bodo Schiffmann, ebenfalls ein populäres Gesicht der Querdenken-Bewegung, lebt seit vergangenen Jahr in Tansania. Bei Telegram ist vom »HNO im Exil« die Rede, was eine Anspielung auf seine Facharztausbildung ist. Auch Schiffmann ist QAnon-Anhänger, relativierte mehrfach den Holocaust und leugnet den menschengemachten Klimawandel. Gegenüber der »Rhein-Neckar-Zeitung«, zu deren Verbreitungsgebiet Schiffmanns früherer Wohnort Sinsheim gehört, erklärte er im März 2021, er käme gerne zurück, »sobald Deutschland wieder ein Rechtsstaat« sei. Wieder ein Schlagwort, das in der Verschwörungsszene äußerst populär ist.

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