Pestizide könnten Fischsterben mitverursacht haben

Bisher rund 190 Tonnen tote Tiere an den Ufern eingesammelt

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Potsdam. Anderthalb Wochen nach Bekanntwerden des Fischsterbens in der Oder wird das Ausmaß der Umweltkatastrophe immer deutlicher. Die Feuerwehr in Polen barg nach Angaben vom Samstag bislang fast 160 Tonnen toter Fische aus der Oder und einem kleineren Fluss. In Brandenburg waren es mindestens 36 Tonnen. Bei der Suche nach der Ursache wird nun auf überhöhte Pestizid-Werte hingewiesen. Weshalb die Fische verendeten, ist aber noch unklar.

Etwas Hoffnung macht der Marschall der Woiwodschaft Westpommern, Zbiegniew Bogucki. Demnach seien wieder lebende Fische zu sehen. »Dort, wo wir vor ein paar Tagen tonnenweise tote Fische geborgen haben, sind jetzt lebende Fische aufgetaucht«, schrieb Bogucki am Samstag auf Twitter. Aufgrund von Sauerstoffmangel im Wasser seien aber viele Fische kurz vor dem Ersticken und schwimmen nahe der Oberfläche. Dazu postete der Politiker ein Video, in dem dies zu sehen war. Er habe sich nun an die Feuerwehr gewandt, damit diese versuche, das Wasser mit Pumpen zu belüften, erklärte Bogucki.

Auch in Frankfurt (Oder) waren bereits Mitte vergangener Woche wieder lebende Fische in der Oder zu beobachten. Bei Proben, die an der Messstelle Frankfurt (Oder) in der Zeit vom 7. bis 9. August entnommen wurden, seien hohe Konzentrationen eines Pestizids mit dem Wirkstoff 2,4-Dichlorphenoxyessigsäure gefunden worden, teilte Brandenburgs Umweltministerium mit. Es sei aber davon auszugehen, dass die nachgewiesene Dosis nicht unmittelbar tödlich für Fische gewesen sei. Der Wirkstoff wird etwa zur Bekämpfung von Unkraut eingesetzt. Der »Tagesspiegel« berichtete zuerst darüber.

Das Ministerium geht weiter davon aus, dass die Umweltkatastrophe mehrere Ursachen hat. Die überhöhte Konzentration des Pestizids über mehrere Tage habe sicherlich Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen gehabt. Möglicherweise sei das Pestizid am Oberlauf der Oder in noch höheren Konzentrationen vorhanden und am Messpunkt Frankfurt (Oder) bereits stark verdünnt gewesen.

Das massenhafte Fischsterben in dem Fluss, der über weite Strecken die Grenze zwischen Deutschland und Polen bildet, wurde auf deutscher Seite am 9. August bekannt. Die Suche nach der Ursache gestaltet sich schwierig. Auch eine giftige Algenart und die etwaige Einleitung von Chemie-Abfällen in den Fluss wurden zur Erklärung des Geschehens schon ins Spiel gebracht.

Wie eine Sprecherin der Feuerwehr-Hauptverwaltung in Polen am Samstag sagte, sind insgesamt schon 158 Tonnen Fisch eingesammelt worden. Der Großteil entfalle auf die Oder. Bei dem kleinen Fluss, in dem ebenfalls tote Tiere entdeckt wurden, handelt es sich um den Ner, der bei Łódź entspringt und in die Warthe mündet. Er hat keine Verbindung zur Oder.

Zur Verbrennung angemeldet wurden in Brandenburg laut Umweltministerium bis zum vergangenen Donnerstag sogar 67 Tonnen Fischabfälle. Die Zahl bedeute aber nicht zwangsläufig, dass bereits so viele Fische eingesammelt wurden. Mecklenburg-Vorpommern hatte am Freitag mitgeteilt, dass bei Untersuchungen von Proben im deutschen Teil des Stettiner Haffs, in das die Oder mündet, keine Auffälligkeiten festgestellt worden seien.

Der Bundestagsabgeordnete Christian Görke (Linke) kritisierte Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (beide Grüne). Ihr Agieren und das ihrer Behörden sei »mindestens amateurhaft«, sagte Görke. »Sie widersprechen sich gegenseitig, und von unabhängiger Aufklärung ist nichts zu sehen.« Man erlebe einen Umweltminister Vogel, »der ständig neue Ursachen serviert und ein schläfriges Landesumweltamt verteidigt«. Durchsetzungsvermögen sehe anders aus. Görke sagte, man könnte ja eine internationale Untersuchungskommission nach Polen schicken. Die EU habe schließlich Hilfe angeboten. Doch die Menschen an der Oder werden alleingelassen, beklagte der Politiker. »Die Fischereibetriebe wissen weder ein noch aus. Genauso sieht es beim Tourismus aus.« Hier wäre schnelle und unbürokratische Hilfen notwendig.

Von dem Fischsterben mit betroffen ist eine Aufzuchtanlage zur Wiederansiedlung des Störs, betrieben vom Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, in der 20 000 junge Störe verendet sind. Das teilte der WWF am Sonntag mit. Am Samstagabend wurde der Fluss am Ufer des Dorfes Kienitz als Warnzeichen mit Scheinwerfern rot angestrahlt. Dahinter steht eine neu gegründete Bürgerinitiative. »Wir wollen den Menschen an der Oder damit auch ein Forum geben, ihre Ängste und Sorgen angesichts dieser Umweltkatastrophe auszusprechen«, sagte Sprecherin Steffi Bartel. Für den 4. September rief die Bürgerinitiative zu einer Menschenkette an der Oder auf. dpa/nd

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