Nicht auf blauen Socken in die Cottbuser Zukunft

Humorvolle Kampagne startet im Oberbürgermeisterwahlkampf gegen AfD-Kandidat Lars Schieske

Klarer Auftrag an die Wähler am Ortseingang
Klarer Auftrag an die Wähler am Ortseingang

Am 11. September wird in Cottbus über den neuen Oberbürgermeister der zweitgrößten Stadt Brandenburgs abgestimmt. Amtsinhaber Holger Kelch (CDU) tritt aus gesundheitlichen Gründen nicht wieder an. Es wird erwartet, dass der Landtagsabgeordnete Lars Schieske (AfD) in die Stichwahl der beiden bestplatzierten Kandidaten gelangen und dabei am 9. Oktober seinem Konkurrenten ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern wird – wer auch immer dieser Konkurrent an diesem Tag sein wird, vermutlich Ordnungsdezernent Thomas Bergner (CDU).

Zwar erzielte die AfD bei der Bundestagswahl 2021 in Cottbus dann doch nur 20,3 Prozent der Stimmen und lag damit glatte zehn Prozentpunkte hinter der SPD zurück. Die AfD war damit von einer Mehrheit für sich in der Stadt weit entfernt. Jetzt, wo angesichts einer drohenden Energiekrise ein vorzeitiger Abschied von der Lausitzer Braunkohle 2030 statt 2038 praktisch vom Tisch ist, dürfte dieses Lieblingsthema der AfD bei den Wählern eigentlich weniger verfangen als früher. Aber Angst gehorcht nicht der Vernunft, und die Furcht vor explodierenden Energiepreisen ist ja keineswegs unbegründet.

»Vielleicht müssen die Cottbuser wirklich mal einen AfD-Oberbürgermeister bekommen. Wer nicht hören will, muss fühlen«, sagt eine Einwohnerin entnervt und enttäuscht. Als Antifaschistin wünscht sie sich das natürlich nicht, ganz im Gegenteil. Aber besser lässt sich die Stimmung in der Stadt kaum beschreiben.

Die Linke nominierte niemanden

Die Linke schickt selbst niemanden ins Rennen. Die Idee, mit SPD und Grünen einen gemeinsamen Kandidaten aufzustellen, zerschlug sich, weil die SPD allein mit einem möglichen Bewerber aus ihren Reihen vorpreschte, der sich in der parteiinternen Nominierung nicht einmal durchsetzen konnte. Stattdessen tritt Tobias Schick vom Kreissportbund für die SPD an. Dazu gibt es unter den sieben Namen auf den Wahlzetteln noch den eines ehemaligen Sozialdemokraten. Johann Staudinger ist im Frühjahr aus der SPD ausgetreten, um sein Glück als unabhängiger Bewerber zu versuchen. Und es gibt neben Schick auch noch einen weiteren Mann des Sports. Ex-Fußballprofi Sven Benken, der für den FC Energie Cottbus in der zweiten Bundesliga spielte sowie für Werder Bremen und Hansa Rostock in der ersten Liga, tritt für die Wählergruppe »Unser Cottbus« an. Die startete einmal als eine Art Abspaltung von den Sozialisten mit dem ehemaligen Parteichef Jürgen Siewert und dem ehemaligen Landtagsabgeordneten Jürgen Maresch, ist aber politisch schwer einzusortieren und im Stadtparlament mit der FDP verbandelt. Die FDP wiederum hat mit dem bekennenden Bergmann Felix Sicker einen eigenen Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl aufgestellt. Sicker lernte Industriemechaniker beim Energiekonzern Vattenfall, dem die Braunkohlekraftwerke und Tagebaue in der Lausitz früher gehörten, studierte Maschinenbau und ist jetzt beim Nachfolger von Vattenfall, Lausitzer Energie AG, tätig. Der Vollständigkeit halber erwähnt sei Lysann Kobbe. Die 42-Jährige arbeitet bei einem Pflegedienst und kandidiert für die Querdenker-Partei »Die Basis«, die sich gegen die Corona-Maßnahmen und gegen einen Impfzwang stemmte. Sie kandidierte vergangenes Jahr schon für den Bundestag und erzielte in Cottbus 2,5 Prozent der Stimmen.

Die Sozialisten haben in Cottbus das letzte Mal vor 20 Jahren eine der ihren für die Oberbürgermeisterwahl aufgestellt, die damals knapp 13 Prozent für die PDS holte. Heute wäre die Cottbuser Linke weniger denn je in der Lage, im Alleingang ein überzeugendes Ergebnis einzufahren. Darum verzichtete die Partei erneut darauf und rät auf Nachfrage den Wählern, das Kreuz bei einem demokratischen Kandidaten zu machen. Bei einer Stichwahl gegen AfD-Mann Schieske könnte die Partei dann auch den Namen nennen – und sei es der des CDU-Politikers Bergner, mit dem man gar nicht so schlecht auskommt.

Bunte Strümpfe für eine weltoffene Stadt

Mit einem in der Sache ähnlichen Aufruf (»Wählt Demokrat:innen!«) meldet sich jetzt die Jugend des Vereins Pro Lausitzer Braunkohle zu Wort. Sie fährt eine Blaue-Socken-Kampagne gegen die AfD, mit Augenzwinkern angelehnt an die berüchtigte Rote-Socken-Kampagne der CDU im Bundestagswahlkampf 1994. CDU-Generalsekretär Peter Hintze ließ damals massenhaft das Bildmotiv einer roten Socke auf einer Wäscheleine plakatieren, dazu den Spruch »Auf in die Zukunft, aber nicht auf roten Socken!«. Damit wurde den Wählern eingeredet, die SPD würde sich von der verhassten PDS als Mehrheitsbeschafferin an die Macht bringen lassen, was damals auf Bundesebene noch völlig undenkbar war. Hintze erreichte sein Ziel, Kanzler Helmut Kohl (CDU) noch einmal den Wahlsieg zu sichern. Die PDS konnte er damit nicht kleinhalten. Sie profitierte sogar von der platten Propaganda des politischen Gegners. »Nun erst recht«, sagten sich die Protestwähler.

Dessen eingedenk wäre es dumm, die Rote-Socken-Kampagne als Blaue-Socken-Kampagne nachzuahmen. Das könnte der AfD helfen. Doch wofür vier junge Cottbuser jetzt ihre Gesichter und Füße hergeben, ist ganz anders aufgemacht: Sie tragen rote, grüne, schwarze, gelbe, lila und weiße Strümpfe sowie solche in den Farben des Regenbogens. Die blauen Socken liegen im Mülleimer. »Mein Cottbus ist eine weltoffene Stadt für alle Menschen, die ich gern mit Sportsgeist und bunten Socken gegen Populismus verteidige«, begründet Frances Herrmann ihre Beteiligung an der Aktion. Die gehbehinderte Athletin gewann bei den Paralympics 2008 Silber im Diskuswerfen. Auch Laura Staudacher macht mit und suchte sich für ihren linken Fuß eine gelbe Socke aus. Das passt, trat Staudacher doch bei der Bundestagswahl 2021 für die FDP an und verpasste knapp den Einzug ins Parlament. Die Sockenkampagne unterstütze sie jedoch nicht als Parteipolitikerin, betont sie.

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