Verschwörung der Frauen

Dem MeToo-Skandal an der Berliner Volksbühne folgt nun eine unsägliche Rehabilitierungskampagne

  • Sarah Waterfeld
  • Lesedauer: 5 Min.
Fatal ist, dass die (Theater-)Revolutionslokomotive, nicht mit Volldampf den Berg hinaufgekachelt ist.
Fatal ist, dass die (Theater-)Revolutionslokomotive, nicht mit Volldampf den Berg hinaufgekachelt ist.

Der Ex-Interimsintendant der Berliner Volksbühne, Klaus Dörr, der infolge eines MeToo-Skandals im vergangenen Jahr von seinem Posten zurückgetreten war, hat einen Zivilprozess gegen die »Taz« gewonnen. Gegenstand des Verfahrens war ein Zitat aus dem Beschwerdebrief der »Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung – Themis«, in dem dem Theatermann Übergriffe verschiedener Art zur Last gelegt wurden. In ihrem Artikel »Eine Bühne für Sexisten«, der die Vorwürfe gegen Dörr einer breiten Öffentlichkeit bekannt machte, zitierte die Autorin Viktoria Morasch 2021 neben zahlreichen anderen Vorwürfen auch das »Upskirting«. Die „Taz» legte Berufung ein.

Beim »Upskirting«, dem heimlichen Fotografieren unter den Rock, ist es in der Regel so, dass Betroffene von dem Übergriff nichts mitbekommen und sich die Bilddatei zunächst im Besitz des meist cis-männlichen Täters befindet. Nicht selten taucht solches Bildmaterial in Onlineforen auf, in denen sich Täter vernetzen oder auch persönliche Daten ihrer Opfer veröffentlichen und zu Gewalttaten aufrufen.

Ob wir also schon einmal Betroffene dieser Form des sexuellen Übergriffs geworden sind, finden wir nur heraus, wenn wir von Zeug*innen darauf hingewiesen werden, wir uns proaktiv durch die Datenmassen jener Portale arbeiten oder bei Verdacht die Dienste versierter Hacker*innen in Anspruch nehmen. Auch die Razzia eines Sondereinsatzkommandos wäre eine Option, um alle Datenträger eines Verdächtigen offiziell zur Auswertung zu beschlagnahmen. Doch ist mir leider kein einziger Fall bekannt, in dem sich der Staat wegen Upskirtings und anderer übergriffiger Aufnahmen in rabiater Pimmelgate-Manier für die Unversehrtheit von FLINTA* eingesetzt hätte.

Nichtsdestotrotz entblödet sich die Frack- und Faltenrockfraktion der Kulturberichterstattung aktuell nicht, sich an einer Rehabilitierungskampagne des geschassten Intendanten zu versuchen. Ungereimtheiten im Upskirting-Case nehmen sie zum Anlass, jegliches sexistisches Verhalten des Beschuldigten nicht etwa abzustreiten, sondern zu verteidigen. Dass Frauen sich in einem emanzipatorischen Akt gegen ihre Peiniger verschwören, ist für sie bereits ein Skandal und nicht etwa bittere Notwendigkeit. Ihr Eifer gilt dabei, ihrem Antifeminismus gemäß, nicht der Rehabilitierung der ehemaligen Volksbühnen-Geschäftsführerin Nicole Lohrisch, der in besagtem Beschwerdebrief ebenfalls Machtmissbrauch und Mobbing vorgeworfen wurden.

Lohrisch hat mittlerweile aber auch wieder eine rentable Position inne und ist kaufmännische Direktorin der Zentral- und Landesbibliothek Berlin. Bleibt zu hoffen, dass sie wenigstens ein gewaltpräventives Coaching absolvieren musste, bevor sie ihre Karriere im Staatsdienst fortsetzen durfte.

Beinahe Mitleid könnten wir entwickeln mit Journalistinnen, die sich seit über 30 Jahren mit den von Machtmissbrauch geprägten Strukturen der Medienwelt herumschlagen müssen und denen es noch immer nicht gelungen ist, sich aus ihrer internalisierten Misogynie herauszureflektieren. We feel you. Absolut unverzeihlich aber ist, wenn sich diese Journalistinnen die vertraulichen Schilderungen der Betroffenen zuspielen lassen und nach der Lektüre dann auch noch andeuten, dass ihnen Schilderungen von Vergewaltigungen lieber gewesen wären. Pfui, also bitte, das ist nun wirklich geschmacklos.

Frauen, Feministinnen vermutlich, linksradikale hoffentlich, haben sich verschworen. Sie haben getuschelt und gelästert, sich abgesprochen, heimlich verabredet, subversive Pläne geschmiedet, um sich gemeinsam über Themis an den Kultursenat zu wenden. Lediglich zehn waren es nur deshalb, weil die Beschwerdestelle ausschließlich für aktuelle Arbeitsverhältnisse zuständig ist. Betroffene aus vorherigen Anstellungen der beiden Führungspersonen finden bei Themis zwar grundsätzlich Gesprächspartner*innen, aber leider keine Hilfe im Sinne eines offiziellen Verfahrens. 

Überhaupt ist es so, dass sich nur ein Bruchteil der Betroffenen in der Lage sieht, in einen langatmigen, retraumatisierenden Beschwerdeprozess zu gehen. Laut Barbara Rohm vom Themis-Vorstand sind es nur drei Prozent derjenigen, die sich bei der Vertrauensstelle melden. Auch im Fall der ehemaligen Volksbühnenführung sollte davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der Betroffenen deutlich höher ist. Das bestätigen auch die „Taz»-Recherchen von Morasch, die in ihrem Artikel Frauen mehrerer Theater aus unterschiedlichen Bundesländern zitiert, die mit dem Beschuldigten arbeiteten. 

Kein Mensch muss sich von Vorgesetzten als Maus, Dummbatz oder Fickschlitten bezeichnen lassen. Sexistisches und diskriminierendes Verhalten ist keine Bagatelle, sondern zermürbt, beschämt, lässt verzweifeln und kann zu Burnout und Arbeitsunfähigkeit führen. Herabwürdigungen und jegliche Diskriminierung von Menschen am Arbeitsplatz sind deshalb verboten. Klaus Dörr, der seine Amtszeit mit der Verlautbarung eröffnete, er würde sich dem Feminismus widmen, hatte wohl nicht damit gerechnet, dass dies tatsächlich der Fall sein würde. Dass seine Mitarbeiter*innen ihn an seinen eigenen Maßstäben messen würden, kam ihm nicht in den Sinn, sonst hätte er sich vielleicht zusammengerissen. Sein Rücktritt war die einzig richtige Konsequenz.

Denn er hat sich wohl nicht zusammengerissen, das kann er gar nicht. Weil er es nicht versteht. Weil dieser ehemalige Interimsintendant dieses legendären Arbeiter*innentheaters, einen Arbeitskampf offenbar nicht mal erkennt, wenn er ihm ins Gesicht springt. Sein zivilrechtlicher Feldzug gegen die Berichterstattung, also gegen das Beschwerderecht seiner Mitarbeiter*innen, ist der Beweis für seinen anhaltenden Chauvinismus.

Der eigentliche Skandal aber ist, dass sich die neue Leitung der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz zu diesem wichtigen Arbeitskampf ausschweigt. Dass innerhalb eines ganzen Jahres kein Format entwickelt wurde, das einer Aufarbeitung dieses historischen Ereignisses auch nur annähernd gerecht würde. Schon wieder wird an diesem Haus von Sozialismus und Feminismus palavert, ohne an den Strukturen, die so anfällig sind für Machtmissbrauch, formell zu rütteln. Offenbar wird noch immer gemobbt, werden Supergehälter für cis-Männer und somit eine Gender-Pay-Gap als gerechtfertigt angesehen, werden emanzipatorische Gruppen ohne hauseigene finanzielle Ausstattung als Token vorgeführt, wird Sexismus in Inszenierungen reproduziert und die Krankenhausbewegung zum internationalen Frauenkampftag aus dem Haus komplimentiert und auf den Platz verwiesen. Dass es so weiter geht, ist die Katastrophe. 

Oder mit Bini Adamczak frei nach Rosa Luxemburg gesprochen: Fatal ist, dass die (Theater-)Revolutionslokomotive, mit René Pollesch im Führerhaus, eben nicht mit Volldampf den Berg hinaufgekachelt ist. Sie droht vielmehr, von den reaktionären Kräften herabgezogen zu werden und dabei »nicht nur die Revolutionär*innen, sondern auch all jene, die versucht haben, die Revolution zu entschleunigen oder in einen Kompromiss umzuleiten, mit in den Abgrund zu reißen«. Betroffene, die ihr da draußen seid, lasst euch sagen: Ihr habt eine Lobby, einen wilden feministischen Mob, der sich schützend vor euch wirft, sich hinter euch und an eure Seite stellt – und wir sind viele.

Sarah Waterfeld hat das Beschwerdeverfahren gegen Klaus Dörr und Nicole Lohrisch beratend begleitet.

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