nd-aktuell.de / 16.09.2022 / Kultur / Seite 1

Primärreiz: Dampframme

Plattenbau. Die CD der Woche: »Of Kingdom and Crown« von Machine Head

Benjamin Moldenhauer

Musik aufs Maul. Machine Head hauen feste drauf, und das seit 30 Jahren so verlässlich, dass die eigentlich anvisierte Krassheit sich beim Hören auflöst in Behaglichkeit. Alles an dieser Musik will groß und massiv sein, und der Fan kennt sich nach vier Takten in diesem klar strukturierten Gebälk aus Thrash-Metal, Pathostexten und sehr viel Schlagzeugwucht sofort wieder aus. Mit der Kombination aus hervorgekehrter Brachialität und kompositorischer Finesse wirken Machine Head wie Wiedergänger von Metallica in ihrer besten Phase[1], also zu Zeiten von »Master of Puppets« (erschienen 1986). Auch hier sind die Songs archaisch gestimmt und zugleich mathematisch durchdacht und so vielgestaltig gebaut, dass einem nicht langweilig werden mag.

Als Primärreiz aber fungiert hier noch immer die Dampframme. Die Gitarren schmirgeln ordentlich was weg und Sänger und Bandzentrum Robb Flynn gröhlt und grollt mit heiligem Ernst in der Stimme irgendwelche Gagatexte ins Mikro. »Don’t believe that all is lost / Kill this mental holocaust«. Na ja. Das Konzept zum neuen Album »Of Kingdom and Crown« soll an die postapokalyptische Anime-Serie »Attack on Titan« angelehnt sein, ein Konzeptalbum also. Der Plot: Ares verliert seine große Liebe Amethyst und macht sich auf, um sich an ihren Mördern zu rächen. Aber letzten Endes vollkommen egal, das Rockopernhafte, wenn man es genau nimmt.

Denn entscheidend ist bei jedem Machine-Head-Album zuallererst die Frage, wie effektiv die Musik einen zu verdreschen vermag. Und das gelingt nach den zwei etwas entkräfteten Vorgängeralben »Blood & Diamonds« und »Catharsis« nun wieder ganz wunderbar. Die Band knüpft an Großtaten wie »The Blackening« und sogar das epochale Debüt »Burn My Eyes« an, auch in dem Sinne, dass hier Fleischhauerhammerästhetik und Komplexität eine wirklich formvollendete Verbindung eingehen. Der Opener »Slaughter the Martyr« präsentiert Mittel und Methode: zehn Minuten, in denen einmal alle Register gezogen werden, von Emo-Pathos über tief röhrendes Gitarrenunheil bis hin zur fröhlichen Eskalation. Schönstes Stück ist »Become the Firestorm««, auf dem Schlagzeuger Navene Koperweis einen bezaubernd flinken Blastbeat spielt, über den Robb Flynn haltlose Maximalforderungen brüllt (»Become the firestorm! Become the firestorm!«). Schon jetzt einer der schlüssigsten Breitwand-Metal-Exzesse des Jahres 2022[2].

»Of Kingdom and Crown« ist in seiner konsequenten Überladenheit – hier noch ein Solo hin, da noch einen weiteren Teil anbauen, hier nochmal alles extra laut zusammenbrüllen – eines der unterhaltsamsten Metal-Alben der letzten Jahre. Musik, die nur deswegen so gut funktionieren kann, weil die Band ohne jeden Humor agiert, alles todernst meint und dabei das Genre in jeder Sekunde so effektiv wie möglich bedient, zum Wohle aller, die Spaß und Lebenssinn in wohltemperierter Brachialmusik finden. Man fühlt sich in dieser Apokalypse ohne Reue sofort heimisch.

Machine Head: »Of Kingdom and Crown« (Nuclear Blast/Rough Trade)

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1110137.literatur-heavy-metal-kann-so-schoen-sein.html?sstr=metallica
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1161719.metal-beste-metal-band-der-welt.html?sstr=Trash-metal