nd-aktuell.de / 18.09.2022 / Politik / Seite 1

»Afrika kann sich im Prinzip selbst ernähren«

Charles Katere vom Ghana Permakultur Institut über nachhaltige Ansätze in der Landwirtschaft

Martin Ling

Seit dem Angriffskrieg von Russland in der Ukraine ist viel von Nahrungsmittelengpässen auf dem Weltmarkt zu lesen, von hohen Preisen und von einer dadurch bewirkten Verschärfung der Hungerkrise in vielen Regionen der Welt. Ist auch Ghana betroffen?

Ja, in unterschiedlichem Ausmaß. Wir nutzen viel Mehl aus importiertem Getreide zum Beispiel für Brot. Das ist extrem teuer geworden. Aber ich sehe dieses Problem auch als Chance, als Gelegenheit für Ghana, als Gelegenheit für Afrika, den Agrarsektor auf Vordermann zu bringen. Es gibt in Afrika viel für Landwirtschaft sehr geeigneten, fruchtbaren Boden, auch in Ghana. Wir müssen ihn nur bebauen. Manche Agrarimporte, von denen wir sehr abhängig sind und die auch unter anderem aus der Ukraine kamen, sind nun knapp und viel teurer geworden. Aber insgesamt ist die Ernährungslage noch halbwegs stabil, da die ghanaischen Farmer ja weiter produzieren.

Eher ohne synthetischen Dünger, der jetzt sehr teuer geworden ist, oder? Das Ghana Permakultur Institut (GPI) geht ohnehin andere Wege.

Ja. Ich habe ein interessantes Beispiel aus einem Dorf, mit dem wir vom GPI inzwischen zusammenarbeiten. Dort wurde viele Jahre exzessiv mit synthetischem Dünger gearbeitet, über zehn Jahre. Das hat uns vor eine Herausforderung gestellt. Die Farmer haben nach rund zehn Jahren festgestellt, dass es nicht funktioniert, dass die erwarteten Ernteerträge bei Weitem nicht erreicht wurden. Der Boden war unfruchtbar geworden. Unser Ratschlag war, überlasst ihn erstmal sich selbst, lasst die Natur ran. Der Boden hat sich in der Tat von selbst regeneriert nach fünf Jahren. Jetzt kann wieder etwas angebaut werden. Afrika kann im Prinzip genügend Lebensmittel zur Selbstversorgung produzieren. Das Problem ist der bisherige Ansatz, dass die Politik auf die agrochemische intensive Landwirtschaft setzt. Es fehlt auch an der Verarbeitung von Nahrungsmitteln. Vieles verrottet, weil es nicht ausreichende Verarbeitungskapazitäten gibt. Das ist eine Entmutigung für viele Farmer. Es geht darum, den Farmern Marktzugang für ihre Überschüsse zu verschaffen, um ihnen Produktionsanreize zu geben.

An diesem Punkt setzt das Projekt des GPI an, das gemeinsam mit der kleinen entwicklungspolitischen Organisation Soned aus Berlin-Friedrichshain in die Wege geleitet wurde. Wie ist der Stand?

Wir haben Anfang September die Förderzusage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erhalten und inzwischen das gemeinsame Projekt mit Soned gestartet. Mit diesem Projekt wollen wir 2000 Kleinbauern, Frauen und junge Erwachsene aus 300 Dörfern darin schulen, qualitativ hochwertige Agrarprodukte zu erzeugen. Zum Beispiel das sogenannte Superfood Moringa, das auch in Deutschland seinen Markt schon gefunden hat. Dann geht es auch darum, wie diese Rohstoffe im GPI zu hochwertigen Produkten weiterverarbeitet werden können. Mit hochwertigen Produkten können wir den Farmern sowohl lokalen als auch internationalen Marktzugang verschaffen. So können wir auch verhindern, dass ein Teil der Ernte verrottet. Wir nehmen den Bauern die Ernte ab, bewahren sie auf, verarbeiten sie und vermarkten sie genossenschaftlich. So soll die Lebensqualität im ländlichen Raum nachhaltig verbessert werden. Wir wollen demonstrieren, dass sich Landwirtschaft lohnen kann, dass sie sehr attraktiv sein kann, um den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten. Und wir wollen mehr Jobs in der Landwirtschaft schaffen. Damit würden wir auch die Regierung unterstützen. Schon jetzt ist Landwirtschaft eine Säule der Wirtschaft.

Welche Rolle spielen Frauen bei den Projekten?

Frauen sind im großen Maß in die Projekte einbezogen. Frauen spielen in Ghana ohnehin eine herausragende Rolle in der Gesellschaft, gerade in der Erzeugung von Nahrungsmitteln und in der Ernährung insgesamt. Und klar, sie sind hauptverantwortlich für das Zubereiten von Essen in den Familien. Umso besser, wenn sie das mit selbst angebautem Gemüse aus dem Vorgarten machen und sich die Ausgaben für den Markt sparen können. Wir führen viele Workshops auch für Frauen durch, die auf große Resonanz stoßen. Geschlechtergerechtigkeit ist für uns sehr wichtig. Wir lassen niemanden zurück. Wir lehren die Prinzipien der Permakultur von den Kindern bis zu den Erwachsenen über alle Geschlechter hinweg. Wir wollen eine Gesellschaft aus verantwortungsvollen Menschen entwickeln, die für eine nachhaltige Zukunft steht.

Das hört sich nach einem sinnvollen Ansatz an. Gibt es dafür Unterstützung von der Regierung in Ghana?

Wir arbeiten mit der Regierung partiell zusammen, direkte Unterstützung bekommen wir nicht. Unsere Hauptkooperationspartner sind andere Nichtregierungsorganisationen, die sich auch dem Ziel der nachhaltigen Entwicklung verschrieben haben. Andererseits legt uns die Regierung keine Steine in den Weg. Wir können die Anbauflächen ausdehnen, die von der Regierung geschaffene Umgebung ist also entwicklungsförderlich, aber es könnte noch weiter gehen.

Hat die Regierung in Ghana wie die Regierung in Senegal die Förderung von Ökodörfern im eigenen Programm?

Nein, soweit geht die Regierung hier nicht. Wir bringen viele Projekte auf den Weg. Die Regierung steht dem offen gegenüber. Wir arbeiten eher auf lokaler und regionaler Ebene mit staatlichen Akteuren zusammen. Je nach Person sind sie offener oder weniger offen, aber meist durchaus offen. Wir selbst wollen auch nicht zu eng mit der einen oder anderen politischen Partei zusammenarbeiten, um nach einem Regierungswechsel nicht plötzlich im Regen zu stehen. Deswegen wollen wir auch gar nicht unbedingt direkte Unterstützung. Hauptsache, sie lassen uns machen, erlauben den Bauern, brachliegende Flächen zu bewirtschaften und uns, die Permakultur in Ghana voranzubringen.

Seit wann läuft die Zusammenarbeit mit Soned?

Seit 2012 arbeitet Soned mit dem GPI zusammen. Von 2014 bis 2018 wurde das Projekt »Armutsbekämpfung durch nachhaltige Entwicklung in Ghana« umgesetzt. Mit den Trainings wurden damals junge Erwachsene, Frauen und Kleinbauern erreicht, über 5000 Menschen insgesamt. Dazu wurde der Aufbau einer entwicklungspolitischen Schulpartnerschaft des GPI mit der Kreuzberger Schule für Erwachsenenbildung (SfE) unterstützt, wo Schüler aus Ghana nach Deutschland kommen und Schüler aus Deutschland nach Ghana, um wechselseitig voneinander zu lernen und die Schulsysteme kennen zu lernen.

Im neuen Projekt soll von 2022 bis 2025 der nachhaltige Entwicklungsansatz verstetigt und weiterentwickelt werden. Wie soll das geschehen?

Wir unterstützen die Landwirte in unserem Institut mit der Lieferung von geeignetem Saatgut, Bäumen und Getreidesorten. Wir vermitteln praktisches Wissen über die Entwicklung ihrer Betriebe, damit sie ihre Erträge mit lokalen, einfachen und reproduzierbaren Techniken steigern können. Wir helfen den Landwirten auch bei der Suche nach Käufern, die faire und bessere Preise zahlen, sodass sie nicht auf Zwischenhändler angewiesen sind. All diese Maßnahmen tragen dazu bei, die Eigenständigkeit und die Selbständigkeit zu fördern und damit das Einkommen und den Lebensstandard der Menschen vor Ort zu verbessern.

Wie viele Dörfer hat das GPI bisher seit seiner Gründung 2003 erreicht und wie viele Menschen?

Wir arbeiten mit rund 500 bis 600 Dörfern zusammen, rund 8000 Farmer sind derzeit in Kooperation mit uns in Ghana und auch in anderen afrikanischen Ländern. Wir haben ein großes Netzwerk. Das GPI wurde 2004 ursprünglich als ein Netzwerk gegründet. Die Vision war, die Permakultur-Idee zu verbreiten, Strategien für die Wiederherstellung der Erde, für Systeme der Ernährungssicherheit, für wirtschaftliche Stabilität unter Anwendung der Prinzipien des Permakultur-Designs. Als das Netzwerk wuchs, gab es die Notwendigkeit für einen Modellstandort, an dem die Praxis gezeigt werden konnte. So entstand das GPI auf dem Gelände in Techiman im Norden Ghanas. Dort wird Anschauungsunterricht erteilt. Es wird gezeigt, wie die Permakultur-Prinzipen in Praxis umgesetzt werden können, es wird den Menschen demonstriert, dass Abfall eine Ressource sein und wie man sie nützen kann. Es geht darum, die Leute zu lehren, dass das, was sie als Problem sehen, eine Lösung in sich birgt, eine Chance. Wir haben hier 24,5 Acres Land (10,2 Hektar, d. Red.) zur Verfügung. Es handelt sich um aufgegebenes Land, von dem es hieß, hier wächst nichts, das ist nicht zu gebrauchen. Im GPI wurde mit der Anwendung der Permakultur-Prinzipien gezeigt, dass das Land kein Müll ist. Wenn ich erzähle, was wir hier alles produzieren, was wir hier alles für Prozesse durchführen, wird es Sie im positiven Sinne schockieren. Die Dinge nehmen weiter ihren Lauf. Wir haben in ganz Afrika Netzwerk-Mitglieder und vor allem in Ghana.

Zu welchem Ausmaß sind das GPI und seine Projekte den nachhaltigen Entwicklungszielen (SDGs) der UN verpflichtet, die bis 2030 erreicht werden sollen?

Die Antwort darauf liegt in den Ethiken der Permakultur, die wir hier pflegen. Das Erste, was jedes menschliche Wesen beherzigen sollte, ist, auf Nachhaltigkeit zu achten. Wenn wir Landwirtschaft betreiben, sollten wir sie nachhaltig betreiben. Praktiken, die nicht nachhaltig sind, sollten unterlassen werden. Das heißt, wir sollten natürliche Ressourcen, erneuerbare Ressourcen und wiederverwendbare Ressourcen verwenden. Deswegen sehen wir Müll nicht als Problem, sondern als Material zur Kompostierung, um Dünger zu gewinnen. Boden zu renaturieren, Bäume zu pflanzen, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, gehört zum Selbstverständnis in unseren Dörfern. Wir vermitteln, dass es wichtig ist, gesunde Nahrungsmittel zu essen und deswegen Food Crops, also Nahrungsmittel zur Selbstversorgung, anzubauen. Die Überschüsse können an Dorfbewohner verkauft oder verschenkt werden, die selber wenig Land haben. Aber selbst im Hinterhof lassen sich ein paar Nahrungsmittel anpflanzen. Man kann Hochbeete mit Plastikcontainern anlegen und sie so nachhaltig nutzen. Dabei geht es um den Ausbau der Ernährungssouveränität und um den pfleglichen Umgang mit der Erde.

Mit der Zielsetzung eines besseren Lebens für die Menschen...

Ja. Das zweite Prinzip ist, sich um die Menschen zu kümmern. Wie schaffen wir für alle Menschen eine förderliche Atmosphäre? Es gilt das Prinzip: Alles, was wir haben, ist ein Element und jedes Element hat eine Funktion. Menschen vorzuwerfen, dass sie nicht funktionieren, ist diskriminierend. Es übersieht ihre Funktion im System. Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, dass jeder seiner Funktion im System gerecht werden kann. Es geht darum, die Kooperation unter Menschen so zu stärken, dass jeder tun kann, was er tun will. Wenn wir das schaffen, schaffen wir eine würdige Umgebung für Menschen, eine, in denen ihnen ihre Arbeit Zufriedenheit verschafft.

Welche Rolle spielt das Bildungssystem dabei?

Wir arbeiten auch an einem Erziehungs- und Bildungssystem, das die Menschen fördert und sie nicht durch Bürokratie hemmt. Die Menschen müssen von der Natur lernen, sie müssen voneinander lernen, von der Umwelt. Unterricht muss auch außerhalb des Klassenzimmers stattfinden. Da können die Kinder praktische Dinge lernen, die ihnen helfen, in Schulgärten zum Beispiel über Nachhaltigkeit. Daneben geht es auch darum, wie mit den Überschüssen aus der Produktion verfahren wird. Wie können wir sie fair verteilen, sodass sie einen Beitrag zum Erreichen der nachhaltigen UN-Entwicklungsziele leisten? Insofern zielen die Prinzipien der Permakultur quasi automatisch auf das Erreichen dieser Ziele. Wir haben schon Nachhaltigkeit gepredigt und gefördert, bevor es die UN-Entwicklungsziele gab. Was der eine nicht braucht, kann der andere gebrauchen. Zusammenarbeit wird bei uns großgeschrieben. Unsere Überschüsse gehen an die Bedürftigen, für die sie kostbar sind. Wir bauen eine Brücke. Wenn wir weltweit das fair verteilen, was produziert wird, wäre das erste nachhaltige Entwicklungsziel schon erreicht: keine Armut. Und das Zweite: kein Hunger.

Wie geht es dem GPI nach dem Tod seines Gründers Paul Yeboah Ende 2021? Yeboah war ja erst 51 Jahre und stand bis kurz vor seinem Tod als Direktor an der Spitze des Instituts.

Sein Tod ist fraglos ein großer Verlust für uns. Paul Yeboah war die Speerspitze in der Permakultur-Bewegung in Ghana, in Afrika. Er hat Intelligenz verkörpert, Weisheit und eine Vision. Wir sind sehr dankbar, dass wir ihn hatten, dass wir mit ihm zusammenarbeiten durften. Wir vermissen ihn. Wir sehen ihn aber täglich in unseren Träumen, wir haben ihn präsent. Er stand für einen offenen Umgangsstil, hat mit allen seine Vision geteilt. Wir versuchen sie weiterzutragen. Wir stellen uns vor, dass Paul wieder auf einer Auslandsreise ist. Dass wir in seiner Abwesenheit wie früher die Projekte in seinem Sinn fortführen. Danach kam er immer zurück und hat geschaut, wie wir es gemacht haben. Auch wenn wir wissen, dass er dieses Mal nicht zurückkommt.

Das heißt, alle Projekte laufen weiter?

Ja. Wir haben alle 8000 Farmer, mit denen wir zusammenarbeiten, über den Tod von Yeboah informiert und darüber, dass es in seinem Sinne weitergeht. Bis jetzt läuft alles glatt, auch wenn wir unseren Übervater vermissen. Wir haben seit Januar die Permakultur-Design-Zertifikatskurse (PDCs) wieder aufgenommen, wo wir Menschen grundlegende Fähigkeiten und Wissen über die Gestaltung von Permakulturen vermitteln, ein Konzept, das auf nachhaltige und naturnahe Kreisläufe in der Landwirtschaft setzt. Wir haben die ersten sechs Monate 2021 mit den ersten sechs Monaten 2022 verglichen. Und es läuft gut, wir haben sogar mehr PDCs durchgeführt und Zertifikate ausstellen können als im Vorjahr.

Das Fundament des GPI ist stark genug, um den Verlust von Paul Yeboah zu tragen?

Genau. So sehen wir das. Wir setzen in Verbundenheit mit ihm fort, was er begonnen hat.