Angepasst impfen lassen

Die Ständige Impfkommission empfiehlt Auffrischung mit den neuen Corona-Vakzinen

Menschen, die eine Indikation für eine weitere Impfung gegen das Coronavirus haben, sollten dies vorzugsweise mit einem der neuen, angepassten Impfstoffe tun. Dies ist der Kern eines Beschlussentwurfs, den die Ständige Impfkommission (Stiko) am Dienstag veröffentlichte. Darin heißt es, die angepassten Vakzine »lösen eine verbesserte Antikörperantwort gegenüber verschiedenen Omikron-Varianten aus und erzielen gegenüber dem Wildtyp-Virus eine gleichbleibend gute Antikörperantwort«.

An der grundsätzlichen Stiko-Linie ändert sich dadurch nichts. Allen Bürgern ab zwölf Jahren ist nach der Grundimmunisierung eine Auffrischimpfung, also ein dritter Schuss, empfohlen. Das gilt vor allem für diejenigen, die in der Omikronwelle keine Infektion durchgemacht haben. Einen zweiten Booster empfiehlt die Expertenrunde für alle Menschen über 60, für Immunsupprimierte und für Menschen mit hohem Expositionsrisiko, also zum Beispiel medizinisches und Pflegepersonal. Natürlich können sich auch andere in Rücksprache mit ihrem Arzt ein viertes Mal impfen lassen, selbst wenn dies wenig bringen dürfte. Stiko-Mitglied Christian Bogdan erneuerte den Appell: »Alle, die noch gar nicht geimpft sind, sollten das jetzt wirklich tun.«

Die neuen mRNA-Vakzine, die in der EU eine Zulassung bekommen haben und seit einigen Tagen auch in Deutschland zum Einsatz kommen, sind bivalente Impfstoffe. Das heißt, sie sind an den Wildtyp von Sars-CoV-2 und an Omikron-Varianten (entweder BA.1 oder BA.4/BA.5) angepasst. Durch die Kombination werde »eine Verbreiterung der Immunantwort erzielt«, wie es Immunologe Bogdan, Direktor des Mikrobiologischen Instituts am Universitätsklinikum Erlangen, ausdrückt.

Zur Erläuterung: In Deutschland dürfte mittlerweile fast jeder entweder durch Impfung oder beziehungsweise und durch Infektion Antikörper gegen Sars-CoV-2 gebildet haben. Die sogenannte Seroprävalenz wird von Experten auf 95 Prozent beziffert. Mehr als drei von vier Bundesbürgern sind vollständig, also doppelt geimpft. Und allein seit dem Auftreten von Omikron zu Beginn dieses Jahres wurden 26 Millionen Infektionen in Deutschland offiziell registriert, realistischen Schätzungen zufolge dürften es eher doppelt so viele gewesen sein.

mRNA-Impfstoffe liefern bekanntlich den Bauplan zur Produktion des Spike-Proteins, mit dem das Virus an den Köperzellen andockt. Auf die Impfung reagiert der Köper mit einer Immunantwort und bildet Antikörper. Für Christine Falk, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Immunologie sowie Mitglied des Corona-Expertenrats der Bundesregierung, bringt vor allem der BA.1-Impfstoff einen »großen Sprung in der Entwicklung der Spike-Sequenz«. Er beinhalte 30 Veränderungen gegenüber dem ursprünglichen Wuhan-Typ, der BA.4/BA.5-Impfstoff noch weitere drei gegenüber dem BA-1-Impfstoff. Bei der Entscheidung, ob man zu einem angepassten Impfstoff greifen sollte, gehe es also vor allem um die Frage: »Welche Antikörper bilden wir?«

Klinische Daten legen nahe, dass durch die bivalenten BA.1-Impfstoffe von Biontech und von Moderna der Schutz vor schwerem Verlauf gesteigert wird. Hierzu liegen die Ergebnisse klinischer Studien mit allerdings nur einigen hundert Probanden vor. Bei den BA.4/BA.5-Impfstoffen liegen bisher sogar nur Ergebnisse von Mausexperimenten vor, wonach Antikörper gebildet werden, die das Virus neutralisieren. Daher gibt es vorsichtige Kritik an den Herstellern: Für Stiko-Mitglied Bogdan ist es »nicht besonders glücklich, dass noch keine Humandaten vorliegen«. Dies sei auch nur »schwer nachvollziehbar«.

Die Empfehlung zu den angepassten Impfstoffen setzt sich laut Stiko entgegen sonstiger Gepflogenheiten aus Puzzelsteinen zusammen und beruhe auf Analogieschlüssen und immunologischen Plausibilitätsannahmen. Immerhin, wie Bogdan erläutert, gibt es Erfahrungen: Noch nie wurden so viele Impfstoffe in so kurzer Zeit eingesetzt, wurden so viele Studien zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen veröffentlicht. In diesem Fall ist es vielleicht ausreichend für eine Stiko-Empfehlung. Jörg Meerpohl, Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin am Universitätsklinikum Freiburg und ebenfalls Mitglied der Stiko, warnt indes vor einem Präzedenzfall: So etwas dürfe kein Dauerzustand sein. Er sieht die Gefahr, dass »neue Impfstoffe grundsätzlich mit so einem Modell entwickelt werden«.

Darüber hinaus kann die aktuelle Stiko-Empfehlung auch den Long-Covid-Aspekt nicht berücksichtigen. Das liegt, wie aus dem Gremium verlautet, vor allem daran, dass es noch immer keine Definition und messbare Parameter dazu gibt. Erste empirische Hinweise scheint es zu geben, dass das Phänomen mit Omikron rückläufig ist.

Doch wie geht es überhaupt mit Corona weiter? »Wir brauchen einen stetig ansteigenden kollektiven Immunschutz«, sagt Immunologin Falk. Alle Experten sind sich einig, dass Impfstoffe das Risiko eines schweren Verlaufs bis hin zu Hospitalisierung und Tod deutlich reduzieren, nicht aber Infektionen begrenzen. Bogdan ärgert sich über anders lautende Aussagen aus dem politischen Raum. »Der Erreger ist nicht eliminierbar«, sagt er. Es gehe daher auch nicht darum, dass »wir das Zahlenspiel der Inzidenzen weiter betreiben und die Inzidenzen reduzieren wollen«. Auf Dauer werde man »immer wieder Infektionen durchmachen«, die aber zunehmend harmlos seien. Daher werde sich schon die Entwicklung in diesem Winter von den vergangenen Jahren unterscheiden.

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