nd-aktuell.de / 20.09.2022 / Kommentare / Seite 1

Gender Gap im Entlastungspaket

Beschäftigte sollen durch eine »Inflationsprämie« von Unternehmen profitieren. Damit werden jedoch Geschlechterunterschiede ignoriert, kritisiert Sonja Bastin

Sonja Bastin

Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung beinhaltet neben anderem auch eine erfrischend neue Komponente: Mit der Befreiung von Steuern und Sozialabgaben für bis zu 3000 Euro Sonderzahlung je Beschäftigte*r wird der Privatwirtschaft mit der »Inflationsprämie« ein sanfter Schubs gegeben, sich an der Bewältigung der Energiekrise zu beteiligen.

So weit, so rücksichtslos gegenüber Geschlechterungleichheiten. Denn was so freiheitlich und gleich daherkommt, birgt wie jede Entscheidung und Nicht-Entscheidung die Gefahr, Ungleichheiten zu verstärken, wenn diese nicht reflektiert werden. Laut Grundgesetz ist es jedoch die Aufgabe des Staates, die »tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern« und »auf die Beseitigung bestehender Nachteile« hinzuwirken.

Die aktuelle Energiekrise beginnt, wie schon die Pandemie 2020, im öffentlichen Diskurs und in den staatlichen Entlastungsmaßnahmen genderneutral. Soll heißen: Geschlechtsspezifische Lasten werden nicht thematisiert. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie nicht vorhanden sind. Oder dass sie nicht Gefahr laufen, durch fehlende Gendersensibilität bei Eingriffen gar vergrößert zu werden.

So darf die Inflationsprämie unabhängig von Branche und Beschäftigungsverhältnis in eigens zu bestimmender Höhe ausgezahlt werden. Auch Minijobber*innen und Teilzeitkräfte sollen profitieren können. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass diese in der gleichen Höhe durch die Inflationsprämie entlastet werden wie beispielsweise Beschäftigte in Vollzeit oder in Führungspositionen? Wie wahrscheinlich ist es, dass der weiblich dominierte Pflege-, Erziehungs- und Dienstleistungssektor in der Lage ist, Prämien in ähnlicher Höhe zu zahlen wie der männlich geprägte Industrie- oder IT-Bereich? Wie wird sichergegangen, dass Mitarbeitende, denen lediglich eine Zuverdienerrolle zugeschrieben wird, nicht geringere Zahlungen erhalten? Ganz zu schweigen davon, wie Menschen, die sich zu Hause in Vollzeit um andere kümmern, in ähnlicher Weise Entlastung und Teilhabe an Wohlstand erfahren sollen. Dass in der benachteiligten Gruppe Frauen deutlich überrepräsentiert sind, ist bis hier sicherlich deutlich geworden. Ein Gender Gap der Inflationsprämie, wie sie aktuell ausgestaltet ist, scheint damit sehr wahrscheinlich. Und damit ist noch nichts darüber gesagt, dass es vor allem Frauen sind, die als Alleinerziehende oder im Alter arm sind und besonders durch die hohen Energiepreise belastet sein werden.

Noch bevor die Corona-Pandemie bewältigt ist, schließt sich hier die nächste Krise an, die neben anderen auch die bestehenden Geschlechterungleichheiten zu vergrößern droht. Dabei sollten wir es doch nun wirklich langsam besser wissen: Kaum waren die ersten Wochen der Pandemie verstrichen, begannen die Diskussionen um die Lehren daraus. Weit vorne waren beschwichtigende Zusicherungen, dass die Lebensrealitäten von Frauen zukünftig angemessener berücksichtigt würden. Es schien einen Konsens zu geben, dass nicht hinnehmbar ist, dass Frauen durch ihre un- und unterbezahlte Arbeit das Land am Laufen halten, gleichzeitig aber mit Überlastung und ökonomischen Einbußen bezahlen.

Sehr vielen Frauen stecken die missachtenden Erfahrungen der vergangenen zweieinhalb Jahre tief in den Knochen. Jetzt wäre der Zeitpunkt, Vertrauen wiederherzustellen und das Land inklusiv und damit nachhaltig zu gestalten – und mit einer offensiven Strategie geschlechtsspezifische Lasten und Auswirkungen von Maßnahmen mitzudenken. Entsprechende Instrumente gibt es bereits. So kann etwa ein konsequent umgesetzter gendergerechter Haushaltsplan sowie ein Gender Accounting Verschlimmbesserungen durch staatliche Interventionen systematisch aufdecken oder ihnen vorbeugen. Die Gender Gaps dieser Welt fallen nicht vom Himmel. Sie basieren auf unseren Entscheidungen.