nd-aktuell.de / 23.09.2022 / Kultur / Seite 1

Winnetou im Einsatz gegen den Sozialprotest

Dass die Rechte Sozialproteste fürchten muss, zeigt das abgebrannte Diskursfeuerwerk rund um Layla und Winnetou.

Jeja Klein
Nichts fürchtet die Rechte so sehr wie die soziale Frage.
Nichts fürchtet die Rechte so sehr wie die soziale Frage.

Der heiße Herbst ist angekommen. Insbesondere in Ostdeutschland demonstrieren jede Woche Tausende. Dabei legen einige der Protestinitiativen den Focus auf die Solidarität mit allen, die unter den explodierenden Preisen leiden. Auf der anderen Seite variieren die weiterhin montags demonstrierenden Querdenken-Umzüge samt AfD-Anhang einfach ihr Thema. Wie gehabt knüpfen sie mit Verschwörungstheorien und Desinformation an aktuelle Sorgen der Menschen für ihr berauschendes Aufstandstheater an. Gemäß dem aktuellen AfD-Motto, wonach »Deutschland zuerst« kommen müsse, wird die soziale als nationale Frage erzählt.

Eine Vorschau darauf, dass es die Rechte im Angesicht von Ukraine-Krieg und einschlagenden Abschlagserhöhungen gerade nicht auf soziale Gerechtigkeit abgesehen hat, lieferten die Kulturthemen des vergangenen halben Jahres: Dreadlocks bei Weißen, geschlechtergerechte Sprache, das sogenannte »biologische Geschlecht«, Schwarze Elben und Meerjungfrauen und vor allem eingebildete Verbote der Werke eines Mallorca-Schlager-Fuzzis und Karl Mays.

Die Episode »Deutsche Öffentlichkeit« seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine könnte als schrilles Bilderbuchbeispiel für die ganze Verlogenheit des Hypes um »linke Identitätspolitik« gelesen werden. Der besagt bekanntlich, dass die Linke sich ganz und gar den Anliegen absurder und noch absurderer Minderheiten verschrieben, darüber aber die soziale Frage vergessen hätte – eine Behauptung, über die sich die gesamte Rechte mit kulturkonservativen Mitgliedern des linken Lagers einig ist. Doch während auf der linken Seite tatsächlich die auf uns zurollenden sozialen Verwerfungen diskutiert worden sind, brannte die Rechte ein dominanzgesellschaftlich-identitätspolitisches Diskursfeuerwerk nach dem nächsten ab. Das zeigen auch Zahlen, die den Erfolg rund um den von der »Bild« angezettelten Winnetou-Coup deutlich machen.

Das Meinungsforschungsinstitut Civey hat im Auftrag von Scompler, einem Unternehmen für Kommunikationsmanagement, repräsentativ die Bundesbürger*innen nach ihrer Wahrnehmung der »Debatte« um die Karl-May-Romanfigur befragt. Demnach glauben 42 Prozent der Menschen, dass erwogen worden sei, die Bücher Karl Mays zu verbieten. 51 Prozent meinen zudem, dass die ARD Winnetou-Filme aus politischen Gründen aus dem Programm genommen habe. Genau so viele Menschen denken, dass es in Deutschland eine Zensur von Liedern, Filmen und Büchern gebe, wenn diese nicht der politischen Korrektheit entsprächen. Und: Die Zahl der Menschen, die glauben, dass die Meinungsfreiheit eingeschränkt sei, ist demnach gegenüber früheren, bereits alarmierenden Werten auf 53 Prozent gestiegen. Nichts davon ist wahr.

Scompler-Daten zu im Netz diskutierten Themen deuten darauf hin, dass das Winnetou-Thema zeitweise auch quantitativ in der Lage war, den Diskurs um die Energie- und Gaskrise zu überlagern, und zwar Ende August. Statt von Verbrauchsabrechnungen und Abschlagserhöhungen beim Gas, vor denen großen Teilen der Bevölkerung zu Recht die Knie schlottern, durften sich die Menschen zwischenzeitlich also von der linken Verbotskultur bedroht fühlen. Und, mal wieder, Deutschland ideell in Gefahr wähnen. Eine eigenartige Art und Weise, im Spätsommer noch mal »Urlaub« zu machen.

Nichts fürchtet die Rechte so sehr wie die soziale Frage – die Möglichkeit, dass die Menschen ihre geteilte elende Lage, ihren Ausschluss vom angehäuften Reichtum erkennen und eine Neuverteilung einfordern. Dementsprechend geht es auf den rechten Montagsdemos auch um Preissteigerungen nur als Anlass für etwas ganz anderes – außen- und asylpolitische Fragen und solche von nationaler Souveränität und Prestige. Der Spritpreis schlägt hier die Heizkosten. Immerhin: Die gesellschaftspolitisch konservative Linke kann jetzt zeigen, dass der Vorwurf, den sie so gern der »Identitätspolitik« macht, nicht vor allem auf sie selbst zutrifft. Vorausgesetzt natürlich, dass sie von der populistischen Droge nicht schon allzu abhängig geworden ist.