Zum Inselfürsten mit dem Traktor

Die Kanalinsel Sark – ein »schräger« Zwergstaat zum Verlieben

  • Carsten Heinke
  • Lesedauer: 6 Min.
Der 23. Seigneur von Sark, Major Christopher Beaumont, vor seinem Herrenhaus
Der 23. Seigneur von Sark, Major Christopher Beaumont, vor seinem Herrenhaus

Wie ein weißes Schlösschen thront Point Robert Light auf einer Klippe, 65 Meter über uns, kurz vor Maseline Harbour. Das Orientierungsfeuer des kompakten Leuchtturms reicht weit hinaus aufs Meer, den Abschnitt zwischen Nordsee und Atlantik. Channel (Kanal) nennen ihn die Briten, die Franzosen wegen seiner Form La Manche (»Der Ärmel«).

Reiseinfos
  • Anreise/Flug: Mehrere Airlines fliegen von Deutschland nach Birmingham, Bristol, Dublin, East Midlands, Edinburgh, Exeter, Grenoble, Leeds-Bradford, London-Gatwick, Manchester oder Southampton. Von dort geht es mit der inseleigenen Fluggesellschaft Aurigny weiter nach Guernsey, www.aurigny.com.
  • Fähre: erste Fahrt von Guernsey 8.30 Uhr, letzte Fahrt von Sark 17.45 (freitags 18.15) Uhr, Tagesticket hin und zurück £ 29,50/ca. € 34,75, www.sarkshipping.gg
  • Öffentlicher Traktor: startet hinter dem Tunnel am Fährhafen Maseline Harbour, wenn alle Schiffspassagiere sitzen. Rückfahrt jeweils 30 min vorm Ablegen, einfache Fahrt £ 1,50/ ca. € 1,80.
  • Übernachten: Das Dreisternehotel
    »La Moinerie Village« entstand auf dem Gelände eines mittelterlichen Klosters.
    Von allen Zimmern schaut man in den hübschen Garten (DZ € 176 ÜF, Sark,
    GY9 0SD, Tel. +44 14 81 83 20 89,
    www.thesarkestate.com/la-moinerie.
    Gemütliche Zimmer mit tollem Frühstück bietet das Pourquoi Pas B & B
    (DZ € 112 ÜF, Sark, GY10 1SD, Tel. +44 77 81 13 22 60, www.booking.com.
  • Auskünfte: www.visitguernsey.com, www.sark.co.uk, www.simplysark.co.uk

    Nach knapp einer Stunde Fahrt von St. Peter Port legt die Fähre an auf Sark, der viertgrößten aller Inseln im Kanal. Deren Zahl wird mal mit 14, mal mit über 20 angegeben – »je nachdem, ab welcher Größe man einen Felsen schon als Insel zählt«, sagt Gaby Betley.

    Seit Langem lebt die Norddeutsche in Guernsey und zeigt Gästen »ihre Inseln«. Die sind zwar sehr britisch und französisch, aber weder Teil von Großbritannien noch von Frankreich. Sark ist die in vieler Hinsicht sonderbarste unter ihnen – ein winziger Feudalstaat auf dem Weg zu demokratischen Verhältnissen. »Seine Gesetze stammen teils noch aus dem Mittelalter, als die Herzöge der Normandie zugleich die Könige von England waren«, klärt uns Gaby auf.

    Nachdem fast das komplette Herzogtum an Frankreich gefallen war, bestand der Rest davon nur aus den Inseln im Kanal. Und diese blieben, selbstverwaltet, Eigentum der englischen Monarchen. Dort befinden sich die Überbleibsel immer noch – aufgeteilt in die zwei Kronbesitzungen Vogtei (Baliwick) Jersey und Vogtei Guernsey. Zu letzterer zählt Sark, und zwar als königliches Lehen. Regiert wird es von einem Inselherrscher – dem Seigneur – beziehungsweise einer -herrscherin – der Dame (sprich: »deeim«) – kontrolliert von einem Parlament.

    Seit dem Tod des Vaters 2017 bekleidet Major Christopher Beaumont das Amt. Seinen Sitz erreicht man nur per Landmaschine oder Muskelkraft. Denn neben Fahrrädern und Pferden mit und ohne Kutsche sind auf der autofreien Insel nur Traktoren zugelassen. Selbst der Krankenwagen und die Feuerwehr werden damit fortbewegt. Im öffentlichen Nahverkehr sind sie ausschließlich auf dem Harbour Hill im Einsatz. Der steile Hügelweg verbindet Inselmittelpunkt und Hafen.

    Nur ein Felsentunnel trennt den Schiffskay von der Traktorhaltestelle, wo der rustikale Busersatz schon auf uns wartet. Sein Fahrgastkasten, welcher ringsum offen ist, gleicht einem Kremserwagen. »Die Einheimischen meinen, dass er einem Toasterständer (toast rack) ähnelt. Und so nennen sie ihn auch«, vertraut uns Gaby an. Wir tuckern los. Erstaunlich sportlich geht es aufwärts.

    Offiziell ist Sark ein Land, besteht jedoch aus einer einzigen Gemeinde mit rund 600 Bewohnern. Jährliche Höhepunkte sind – abgesehen von gelegentlichen Stippvisiten der Royal Family – das Schaferennen und der Vogelscheuchenwettbewerb. Die allesamt nicht großen Häuser – darunter Kirche, Parlament, Gefängnis – verteilen sich entlang der asphaltlosen Straßen.

    Die wichtigste: The Avenue. Hier befinden sich Geschäfte, Restaurants und das berühmte Postamt, das eigentlich viel mehr ein Tante-Emma-Laden ist. Der Briefkasten davor ist zu Ehren von Carl Hester goldfarbig angemalt. 2012 hatte der Dressurreiter den olympischen Sieg für das Vereinigte Königreich errungen. Aufgewachsen war er bei seiner Großmutter Pam Cocksedge auf Sark, wo er als Kind das Reiten lernte – auf einem Esel.

    Die zwei bekanntesten Grautiere, die heute auf der Insel leben, werden nicht beritten. Sie heißen Ruby und Florence und können für Spaziergänge gemietet werden. Die meistgeschätzten tierischen Bewohner Sarks sind eine Herde Guernsey-Rinder – rostbraun oder weizengelb mit weißen Flecken. Ihre Milch schmeckt köstlich und ist reich an Karotin.

    Ein bekennender Verehrer des gefeierten Produkts ist auch Major Christopher Beaumont. Doch heute stehen bei ihm Tee und Wasser auf dem Serviertisch im Salon. Sein Herrensitz, La Seigneurie – außen streng und grau mit rauen Mauern, Giebeln, Türmen aus dem 17. Jahrhundert – zeigt sich im Inneren gemütlich.

    »Wer möchte noch etwas?«, fragt der Mann im Ringelpulli freundlich und schenkt das Gewünschte ein. So normal die Szene scheint, so ungewöhnlich ist sie. Bedient uns doch ein leibhaftiger Inselfürst, Kronvasall und Oberhaupt eines feudalen Staates. Denn auch wenn der seit 14 Jahren demokratisch umgestaltet wird, basiert er immer noch auf mittelalterlichen Regeln.

    Zwischen Sesseln und Chaiselongue jongliert der 65-Jährige volle Wassergläser zu den Gästen. »Die Zeiten ändern sich«, sagt er, der 23. Seigneur von Sark. Als er das Amt 2016 antrat, hatten die ersten Wahlen bereits stattgefunden und das Ende der Feudalzeit eingeläutet. Lehns- und Steuerrechte wurden seither reformiert. Doch Eigentümerin des kleinen Landes ist immer noch die Krone Englands.

    »Als Verwalter ihres Lehens zahle ich dafür wie alle Amtsinhaber vor mir einen Jahreszins (umgerechnet heute ein Pfund Sterling 79)«, erklärt der Offizier im Ruhestand. Auch sorge er dafür, dass stets 40 Männer unter Waffen stehen, um den Inselstaat zu schützen. »Käme König Charles III. auf die Idee, uns zu besuchen, müsste ich laut Protokoll ihm kniend meine Treue zeigen«, sagt der höchste Inseladlige.

    Privilegien seiner Vorgänger wie Mühlenrecht und Anspruch auf das Strandgut sind schon seit Längerem Geschichte. Seit Kurzem erst ist nicht nur dem Seigneur gestattet, eine nichtsterilisierte Hündin zu besitzen. Nach wie vor nur ihm ist allerdings die Taubenzucht erlaubt. Bis heute zählt der alte Taubenturm am Herrenhaus zu den repräsentativsten Inselbauten. Das größte Schmuckstück von »La Seigneurie« ist deren wunderschöner Mauergarten.

    Nach einem Rundgang inklusive Blick in den Geräteschuppen (in einem Ritterturm mit Zinnen) und in die Privatkapelle des Seigneurs geht es weiter mit dem Fahrrad. Ziel der abendlichen Tour ist »La Coupée«, der landschaftliche Höhepunkt von Sark. Etwa 100 Meter lang und 80 Meter hoch ist dieser steile, schmale Isthmus, der den großen Inselteil mit seinem Anhang Little Sark verbindet.

    Erst seit 1945 gibt es eine Straße auf dem nur drei Meter breiten Kamm, gebaut von deutschen Kriegsgefangenen. Das Meer ringsum sowie fast senkrecht unter uns die grünen Felsenwände, das private Nachbarinselchen Brecqhou mit seinem albernen Schloss und nicht zuletzt der weite Himmel bieten ein grandioses Panorama – ganz besonders jetzt bei Sonnenuntergang.

    Auf dem Rückweg leisten uns die Fahrradlampen gute Dienste. Denn Straßen oder Wege hier sind wie eh und je zu keiner Zeit beleuchtet. Dieser Umstand und die Abgeschiedenheit vom Licht der großen Städte machen Sark des Nachts zu einem echten Finsterort. 2011 ernannte es die International Dark-Sky Association zur ersten »Dunkel-Insel«.

    Der Himmel funkelt voller Sterne. Das müssen wir genießen – steigen von den Rädern und tapern ohne Fahrradlicht zu unserer Pension. Drüben in der Farm muhen die verwöhnten Guernsey-Rinder. Ob ihnen klar ist, dass man die Milchstraße nicht aus jedem Kuhstall sehen kann?

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