nd-aktuell.de / 07.10.2022 / Politik / Seite 1

Rassismus, das Problem der anderen

Mit Angela Davis kehrt eine strenge Beobachterin der deutschen Gesellschaft zurück nach Berlin

Alexander Brentler

Eine »koloniale Amnesie« attestierte Angela Davis Deutschland auf dem Oranienplatz in Kreuzberg am Donnerstag vor begeistertem Publikum. Die US-amerikanische Kommunistin[1] und prominente Vertreterin der Bürger*innenrechtsbewegung ist zurück in Berlin, wo sie 1969 an der Humboldt-Universität in Philosophie promovierte – und beweist mit ihren scharfsinnigen Beobachtungen zum unterentwickelten Bewusstsein der deutschen Gesellschaft für die eigene koloniale Vergangenheit und zur Allgegenwart rassistischer Diskriminierung wieder einmal, dass sie immer noch dringend gebraucht wird.

1972 besuchte Davis die DDR als Staatsgast, nachdem sie wegen angeblicher terroristischer Aktivitäten auf die Liste der zehn meistgesuchten Personen des FBI aufgenommen worden war und über ein Jahr in Untersuchungshaft gesessen hatte. »Eine Million Rosen für Angela« lautete das Motto einer offiziellen Protestaktion für die Freilassung der »Heldin des anderen Amerikas«, die als Fürsprecherin der antirassistischen Bewegung ins Visier der Polizeibehörden geraten war. Diese und andere Solidaritätsbekundungen[2] hätten ihr damals das Leben gerettet, so Davis. Die in Alabama geborene Davis folgte 1965 ihrem Professor Herbert Marcuse von der Brandeis University in Massachusetts nach Frankfurt am Main, bevor sie sich zu einer Promotion in der DDR entschloss.

Nun ist die 78-Jährige wieder in Berlin – um sich mit den Menschen auf dem Oranienplatz solidarisch zu zeigen und gemeinsam an den Aufbau des dortigen Protestcamps Geflüchteter vor zehn Jahren zu erinnern. Deutschland dürfe seine historische Verantwortung nicht auf andere abschieben und den eigenen Rassismus nicht leugnen, indem es diesen auf andere Gesellschaften mit einer Geschichte offizieller Rassentrennung projiziert, so Davis. Dass alle emanzipatorischen Bewegungen Verbündete sind und ihre Freiheitsversprechen im Kapitalismus nicht eingelöst werden können, betont Davis schon seit Jahrzehnten – auch, als diese Einsichten schon fast vergessen waren.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1165917.usa-der-lange-schatten-von-gus-hall.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164020.solidaritaetsbewegung-free-angela-davis.html