nd-aktuell.de / 31.10.2022 / Wissen / Seite 1

Hilfe gegen Lepra

In unserem monatlichen Rätsel »Streckbrief« suchen wir eine Frau der Zeitgeschichte

Lisa Bor

Die heute gesuchte Schwarze Amerikanerin hatte einen Großvater, der gerne fotografierte. Vor 130 Jahren wurde sie in Seattle, Washington, geboren und hatte drei Geschwister. Die Familie war kunst- und technikversiert: In einer Zeit, in der Fotografie gerade erst ein haltbares Verfahren geworden war, eigneten sich nach dem berühmten Opa auch ihre Mutter und ihre Tante diese Technik an. Ihr Vater arbeitete für eine Zeitung als Journalist und war Rechtsanwalt.

Sie selbst wurde pharmazeutische Chemikerin und entwickelte eine Behandlungsmöglichkeit für die Infektionskrankheit Lepra. Sie starb sehr jung, im Alter von nur 24 Jahren, vermutlich an den Folgen von Überarbeitung und eines Arbeitsunfalls im Labor.

Ihre akademische Ausbildung legte sie in kurzer Zeit hin: Mit 20 Jahren hatte sie das erste, mit 22 Jahren das zweite Diplom an der University of Washington abgeschlossen. Als diplomierte pharmazeutische Chemikerin und Pharmazeutin bekam sie 1915 einen Master of Science in Chemie an der University of Hawaii – als erste Schwarze und erste weibliche Absolventin. Die Studierenden hatten mit ihr auch die erste weibliche Dozentin für Chemie vor sich.

Für die Krankheit Lepra, auch Morbus-Hansen-Krankheit genannt, gab es zu dieser Zeit keine zufriedenstellende medizinische Behandlungsmethode – mit schrecklichen Folgen für die Betroffenen. Ihre Isolation auf Inseln war ein gängiges Vorgehen, um die Ausbreitung der Infektionskrankheit zu verhindern. Heilung gab es nicht. Obwohl die Wirksamkeit eines Öls aus dem Chaulmoogra-Baum bekannt war, war die Verabreichung schwierig und oft mit Schmerzen und Nebenwirkungen verbunden.

Die gesuchte Chemikerin konnte den Wirkstoff im Öl ausfindig machen und eine verträgliche Lösung zur Injektion entwickeln. Sie arbeitete unter großem Druck und hatte daneben Stress mit den Aufgaben als Dozentin. Noch vor ihrem 25. Geburtstag – und bevor sie ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen konnte – starb die Nachwuchswissenschaftlerin. Die genauen Ursachen für ihren frühen Tod sind nicht bekannt. Nachdem sie gestorben war, setzte der Leiter der Chemischen Fakultät, Arthur Lyman Dean, ihre Arbeit fort. Er baute dabei natürlich auf ihren Erkenntnissen auf. Dennoch wurde, als viele Patienten erfolgreich behandelt werden konnten, die Methode als Dean-Methode bekannt. Bis in die 1940er Jahre galt sie als die wirksamste Möglichkeit, die Krankheit zu behandeln.

Mit der Zeit wurde klar, dass die junge Schwarze Wissenschaftlerin den entscheidenden Beitrag geleistet hatte. Dabei spielte ein kollegialer Mitwissenschaftler eine wichtige Rolle: Vor 100 Jahren nannte ihr ehemaliger Laborleiter Harry Hollman in einem medizinischen Fachartikel die Methode, mit der sie das Öl raffiniert hatte, um den Wirkstoff zu erhalten. Dabei gab er der Methode den Namen ihrer Entwicklerin. Vor 22 Jahren, im Jahr 2000, würdigte die Universität von Hawaii sie als eine ihrer bedeutendsten Absolventinnen.

Wer war’s? Antworten an: nd.Die Woche, Steckbrief, Franz-Mehring-Platz 1, 10243 Berlin oder an: steckbrief@nd-online.de

LÖSUNG #290 vom 24. September

Bei unserem letzten Steckbrief im September fragten wir nach der österreichischen Kernphysikerin Lise Meitner.

Gewonnen haben:

  • Marlies Nopens, Potsdam
  • Sandra Kaliga, Berlin
  • Horst Hahn, Rowa

Der Preis für das aktuelle Rätsel:

Lebenslinien. Von Fritz Oerter. Herausgegeben von Leonhard F. Seidl, 232 Seiten, Verbrecher-Verlag.

Einsendeschluss ist der 14. November 2022.