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In der Kindheit ganz normal

X- und O-Beine können Knie und Wirbelsäule schaden, wenn Risikofaktoren dazukommen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Kind in der X-Beinphase: Das sollte sich spätestens im Grundschulalter wieder geben.
Kind in der X-Beinphase: Das sollte sich spätestens im Grundschulalter wieder geben.

Wenn ein Cowboy im Western o-beinig zum Duell kommt, wirkt das irgendwie cool. Gesund ist eine solche Fehlstellung natürlich nicht. Einige Jahre später muss der Protagonist vielleicht wegen Knieschmerzen zur Verabredung humpeln – was weniger cool wäre. Ausgeprägte X- und O-Beine erhöhen nämlich das Risiko, eine Kniearthrose zu entwickeln. »Ein gesundes Knie kann eine Fehlstellung in der Regel kompensieren«, sagt der Orthopäde Thomas Tischer, Präsident der Gesellschaft für Orthopädisch-Traumatologische Sportmedizin. »Kommen aber andere Risikofaktoren hinzu, wird es problematisch.« Neigt sich die Beinachse wie bei X-Beinen deutlich nach innen, werden die Knie im Außenbereich stark belastet. Bei O-Beinen, die insgesamt häufiger vorkommen, ist es umgekehrt.

Umstellungsosteotomie – Das Wichtigste in Kürze

Stellt der Arzt Gelenkverschleiß am Knie und zugleich eine Beinachsenfehlstellung (O- oder X-Beine) fest, kann eine Umstellungsosteotomie sinnvoll sein. Sie kann die Achse richtig ausrichten, sodass der überstrapazierte Gelenkanteil entlastet wird. Der Gelenkverschleiß wird dadurch aufgehalten oder zumindest verzögert, Schmerzen lassen in der Regel nach.

Nach Angaben der Deutschen Kniegesellschaft gibt es grundsätzlich zwei Methoden: eine aufklappende sowie eine zuklappende Osteotomie. Bei der heutzutage am häufigsten verwendeten aufklappenden Technik wird der Knochen an Ober- oder Unterschenkel von einer Seite her teilweise durchtrennt und aufgespreizt, um die Korrektur zu erreichen. Bei der zuklappenden Osteotomie wird ein Teil aus dem Knochen herausgesägt und an dieser Stelle zugeklappt. Die richtige Position wird in beiden Fällen mit einer winkelstabilen Platte und Schrauben fixiert. Zuvor wird der gesamte Eingriff normalerweise digital geplant und simuliert.

Die Operation dauert ein bis zwei Stunden, insgesamt verbringt man vier bis sechs Tage im Krankenhaus. Nach rund sechs Wochen ist das Bein meist wieder voll belastbar. Die Knochen sind nach drei bis vier Monaten verheilt, in der Regel ist man etwa drei Monate arbeitsunfähig. ast

Ein verbreiteter Risikofaktor ist ein Meniskusschaden. Haben Patienten außerdem eine Beinachsenfehlstellung sowie Übergewicht, steigert das die Gefahr für Kniegelenksarthrose weiter, wie Henning Madry, Professor für Experimentelle Orthopädie und Arthroseforschung an der Universität des Saarlandes, erklärt. »Ein 80-Jähriger mit O-Beinen beidseitig muss nicht zwangsläufig Arthrose am Knie bekommen, wenn der Meniskus in Ordnung ist. Dagegen hat ein 70-Jähriger mit O-Beinen, der einen Meniskusriss hat und zudem übergewichtig ist, ein hohes Risiko«, sagt Madry. »O-Beine an sich sind also noch kein Problem. Aber es ist wie bei einer kaputten Autobahnbrücke: Sie hält noch Pkws aus, aber keine Lastwagen.« Das heißt: Wird die Belastung zu groß, kommt es zu Schäden.

Aber nicht nur für die Knie kann eine ausgeprägte Beinachsenfehlstellung Folgen haben. Oft geht sie mit einer Fehlstellung am Fuß – etwa einem Knickfuß bei X-Beinen – einher und bringt den Bewegungsapparat insgesamt ins Ungleichgewicht. »Die ganze Statik stimmt dann nicht mehr«, sagt Tischer. Vor allem, wenn die Beine ungleich sind – also etwa das eine gerade, das andere gekrümmt – kommt es zu Problemen. »Dann können Rückenschmerzen entstehen«, erklärt der Orthopäde. »Mit zwei O-Beinen kommt die Wirbelsäule dagegen meist ganz gut zurecht.«

Wie kommt es überhaupt zu solchen Fehlstellungen? »In den meisten Fällen sind sie angeboren«, erklärt der Arzt. Manchmal sind auch Wachstumsstörungen oder Verletzungen, etwa ein falsch verheilter Knochenbruch, die Ursache. Außerdem können zum Beispiel Knochenerkrankungen, Stoffwechselstörungen, Tumore oder entzündlich-rheumatische Erkrankungen dahinterstecken. Mitunter kommen mehrere Ursachen zusammen.

Grundsätzlich sind Beinfehlstellungen sehr verbreitet. Schaut man genauer hin, hat fast jeder Mensch zumindest leichte O- oder X-Beine. Bei kleineren Kindern ist das normal: Im Laufe des Wachstums kommt es nämlich naturgemäß zu Achsabweichungen. So haben Babys zunächst O-Beine, die noch von ihrer Kauerstellung in der Gebärmutter herrühren. Ab etwa zwei Jahren beginnt das »X-Bein-Alter«, das bis ins Grundschulalter andauern kann.

Ein einfacher Test kann bei größeren Kindern Anhaltspunkt dafür sein, ob eine Fehlstellung vorliegt: Schließen sie die gestreckten Beine, stehen bei O-Beinen die Knie auseinander, wenn die inneren Fußknöchel aneinander liegen. Bei X-Beinen liegen die Knie aneinander, dafür entsteht ein Spalt zwischen den Knöcheln.

Da Laien das Ausmaß der Abweichung nicht gut beurteilen können, ist es sinnvoll, im Zweifelsfall den Kinderarzt um Rat zu fragen. »Bei Kindern kann man schon durch einen kleinen Eingriff eine Korrektur erreichen«, sagt Tischer. So werden gegen Ende der Wachstumsphase Plättchen eingesetzt, die das Wachstum des Knochens in einem bestimmten Bereich des Kniegelenks verhindern, sodass das Bein am Ende gerade ist.

Bei Erwachsenen lässt sich eine Beinachsenfehlstellung auch chirurgisch korrigieren, doch ist der Eingriff, eine sogenannte Umstellungsosteotomie, wesentlich aufwendiger. »Es handelt sich um eine große Operation mit entsprechenden Risiken«, sagt der Orthopäde Madry. Dabei muss der Knochen durchtrennt und in die richtige Position gebracht werden. »Man schaut daher bei der Indikation genau hin und führt den Eingriff nur durch, wenn wirklich Schmerzen da sind.« 

Wichtig sei zum Beispiel zu prüfen, ob die Seite des Kniegelenks, die nach dem Eingriff stärker belastet wird, unbeschädigt ist und hinter der Kniescheibe alles in Ordnung ist. »Für eine genau definierte Patientengruppe ist die Operation eine gute Option«, erklärt Madry. Dazu gehören vor allem jüngere, aktive Leute, die dadurch ihr natürliches Kniegelenk – zumindest für einige Zeit – erhalten können. Nach Angaben der Deutschen Kniegesellschaft sind bis zu 25 Prozent der Patienten unter 55 Jahren, die einen Gelenkersatz bekamen, mit dem Operationsergebnis am Ende unzufrieden. Hinzu kommt, dass das Gelenk meist nach einigen Jahren ausgetauscht werden muss, was erneute Infektions- und weitere Komplikationsgefahren mit sich bringt.

Bevor operiert wird, sollten Patienten es mit einer sogenannten konservativen Therapie versuchen. Dazu gehören Schuheinlagen, die bei O-Beinen außen erhöht sind, oder entlastende Orthesen – also zumeist bewegliche Schienen, die man um das Knie schnallt. Solche Hilfsmittel sollte man aber nur verwenden, wenn man tatsächlich Schmerzen hat, rät Madry. Sonst können Symptome unter Umständen heraufbeschworen werden: »Der Körper hat sich über die Jahre angepasst.« Außerdem hilft oft eine Physiotherapie, bei der Muskelgruppen gezielt trainiert werden, oder eine Ganganalyse mit entsprechender Schulung, um Bewegungsabläufe zu verbessern.

Grundsätzlich rät der Orthopäde dazu, sich viel zu bewegen – auch dann, wenn man eine Beinfehlstellung samt einer beginnenden Arthrose hat. »Es ist ganz wichtig, aktiv zu bleiben. Dadurch wird der Knorpel gefordert und muss reagieren.« Als besonders wirksam hat sich das einfache Gehen erwiesen. So kam eine Studie von Wissenschaftlern des Baylor College of Medicine in Houston kürzlich zu einem erstaunlichen Ergebnis: Patienten mit Kniearthrose, die regelmäßig spazierengingen, hatten im Vergleich zu Bewegungsmuffeln weniger Schmerzen am Knie. Regelmäßiges Gehen könnte auch dazu beitragen, den Krankheitsprozess zu verlangsamen, schreiben die Autoren.

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