nd-aktuell.de / 25.11.2022 / Sport / Seite 1

Doktor Sócrates lässt grüßen

Der Brasilianer Richarlison de Andrade ist nicht nur auf dem Platz ein besonderer Fußball-Star

Peter Steiniger

Mit einem akrobatischen Seitfallzieher-Tor im ersten Gruppenspiel des fünffachen Weltmeisters hat er ganz Brasilien in Extase versetzt. Beim Match gegen Serbien war Richarlison de Andrade, der seine Brötchen bei den Londoner Tottenham Hotspurs verdient, der Beste im Team. Bereits mit seinem Tor Nummer eins, einem halben Abstauber, hatte der Mittelstürmer die Seleção auf Kurs gebracht, die nun neben taktischer Disziplin auch ihr Jogo Bonito – den brasilianischen Ballzauber[1] – zeigte. Eine titelverdächtige Kombination, wie alle beobachten konnten, die heimlich doch Katar schauen.

Anders als seine politisch polarisierte Heimat wirkt Brasiliens Team geschlossen. Mit Ausnahmespielern ist es gespickt, auch wenn alle Welt vor allem auf Neymar schaut. Der ist allerdings keine Ausnahme, wenn es um Dekadenz und politische Ignoranz von Fußballmillionären geht. Die Zeiten von Persönlichkeiten wie »Doktor« Sócrates, Rai oder Casagrande, die klar auf dem linken Flügel der Gesellschaft standen, sind auch in Brasilien längst Geschichte[2].

Umso bemerkenswerter ist, dass Richarlison nicht nur Gefühl im Fuß besitzt, sondern auch Köpfchen und ein politisches Bewusstsein hat. Mit Fleiß und Talent konnte er der Armut entkommen – der Vater Maurer, die Mutter Putzfrau –, in die er 1997 im Städtchen Nova Venécio im südöstlichen Bundesstaat Espírito Santo hineingeboren wurde. Er wuchs in einem Viertel auf, das von Drogen und Gewalt geprägt ist. Seine Wurzeln hat er nicht vergessen. Richarlison engagiert sich stark sozial und seine Prominenz nutzt er, um denen eine Stimme zu geben, denen grundlegende Rechte verweigert werden. Immer wieder verweist er auf die rassistische Diskriminierung großer Bevölkerungsteile in Brasilien. Ohne die Fahne einer Partei zu schwenken, hat er sich von der Politik der Bolsonaro-Regierung deutlich distanziert.

Nun hat der gewählte Präsident Lula vor, »Brasilien wieder glücklich zu machen«. Und linke Fans der Seleção können dank Richarlison das von den Bolsonaristen gekaperte gelb-grüne Trikot mit einem besseren Gefühl auch wieder zu ihrem machen.

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Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/177073.teamschleifer.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1136661.fussball-mit-socrates-gegen-die-maechtigen.html
  3. https://www.nd-aktuell.de/thema/fussball-wm-katar