nd-aktuell.de / 27.11.2022 / Reise / Seite 1

Wenn der Großvater mit den Enkeln ...

Eine Kreuzfahrt, die ist nicht immer nur lustig – ein Erlebnisbericht

Horst Schwartz
Philipp, Henrik und ihr Opa auf ihrer ersten gemeinsamen Kreuzfahrt auf der AIDA cosma, die wie ein quer gelegtes Hochhaus daherkommt
Philipp, Henrik und ihr Opa auf ihrer ersten gemeinsamen Kreuzfahrt auf der AIDA cosma, die wie ein quer gelegtes Hochhaus daherkommt

Aufgeregt hocken wir im Taxi, das uns vom Airport in Palma de Mallorca zum Kreuzfahrtpier bringt. Schließlich ist das die erste gemeinsame Kreuzfahrt des 81 Jahre alten Großvaters mit seinen zwei jungen Enkeln. Henrik ist 17, sein Bruder Philip 12. Wir haben kaum ein Auge für den herrlichen Boulevard, der sich kilometerlang am Meer entlangzieht und auch nicht für die mächtige Kathedrale am Wegesrand. Dann macht das Taxi einen Bogen und unser Schiff liegt vor uns. Schiff? Die AIDA cosma gleicht einem quer gelegten Hochhaus.

Bisher hatte ich die Zahlen immer erfolgreich verdrängt. Der neueste Bau der Meyer Werft in Papenburg kann auf 16 Passagierdecks weit über 6000 Gäste aufnehmen. Die meisten sind wohl schon an Bord, denn das Einchecken in der großen Halle am Kreuzfahrtpier geht blitzschnell: Ausweis gezückt, Buchungsnummer genannt, negativen Coronatest vorgelegt – und schon wird uns das Gepäck abgenommen und jedem seine Bordkarte übergeben. »Willkommen an Bord!«, hallt es uns nach.

Deck 12 also. Aber wo ist unsere Kabine mit der Nummer 12148? Ein Gästepaar schmunzelt, als es unsere Unsicherheit bemerkt. »Die ungeraden Kabinen sind links, die mit den geraden Nummer rechts«, erklärt der Mann. »Sie müssen also nach rechts und dann vier Kilometer geradeaus.« Uns wirdschnell klar, dass dies eine gute Methode ist, mit den Unbilden eines solchen Massenbetriebs fertigzuwerden: darüber Witze zu reißen.

So verbringen wir mit erstaunlicher Gelassenheit viel Zeit vor den jeweils acht Aufzügen im vorderen, mittleren und hinteren Teil des 337 Meter langen Schiffs. Mal fahren alle Aufzüge hoch, wenn wir runter wollen, manche halten gar nicht an. Und wenn sie es doch tun, sind sie fast immer voll. Aber ein Opa und zwei schmale Jungs, die passen immer noch rein. Die anderen machen Platz und lassen ihre Sprüche los: »Ab heute wird abgenommen« oder: »Wie gut, dass Sie noch nicht beim Frühstück waren.« Wenn der Aufzug am gewünschten Deck ankommt, verabschiedet man sich voneinander, als hätte man ein ganzes Wochenende miteinander verbracht.

Auch wenn man sich im wahrsten Sinne des Wortes gelegentlich auf die Füße tritt: Die Gäste an Bord sind freundlich zueinander. Das hat auch der Nicolas Coelen festgestellt, der General Manager der AIDA cosma. In seiner Funktion ist er auf solch einem Pott Herr über alle 1200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 60 Nationen, die nicht zum nautischen oder technischen Personal gehören. »Froh, nach dem Lockdown wieder eine Kreuzfahrt machen zu dürfen, sind die Gäste einfach netter zueinander als vor dem Lockdown«, sagt er, »und sie sind auch viel dankbarer.«

Das Personal trägt maßgeblich mit zur guten Atmosphäre an Bord bei. Mufflige Gesichter oder einsilbige Antworten scheinen verpönt zu sein. Die offizielle Bordsprache ist Deutsch, aber wir werden immer wieder in Pidgin-Englisch angesprochen. So begrüßt uns auch unser Kabinen-Steward Lin aus Myanmar. Ob er dabei lächelt, können wir nur vermuten. Denn er trägt – im Gegensatz zu anderen Crewmitgliedern und den Gästen – immer eine Maske. Nur einmal nimmt er sie für ein Vierer-Selfie ab und zeigt ein freundliches, offenes Gesicht. Lin wird für uns so etwas wie ein rettendes Heinzelmännchen: Jeden Tag faltet er aus den chaotischen Kleiderbergen der Jungs akkurate Wäschestapel.

Unsere Kabine ist für drei Leute eng, aber nicht zu eng. Und da gibt es ja auch noch den Balkon mit Hängematte und Deckstühlen. Henrik und der Opa schlafen im Doppelbett, Philip hat die zum Bett umfunktionierte Couch gewählt. Da er befürchtete, durch das Schnarchen des Opas in seiner Nachtruhe gestört zu werden, hat er sich mit Ohrstöpseln eingedeckt und schläft wie ein Baby. Dafür schnarchen Henrik und Opa um die Wette, mit Geduld und Toleranz ertragen wir es alle drei.

Der größte Knackpunkt ist das Frühstück. Wir haben eine eigene Methode entwickelt, um damit fertigzuwerden. Auf dem Schiff gibt es 16 Restaurants, von denen sieben Frühstück anbieten, einige davon sogar bis 11 Uhr. Dennoch bilden die über 6000 Gäste vor den Frühstücksrestaurants lange Schlangen. Mit unserer Strategie umgehen wir das Gewusel einigermaßen gut: Einer stellt sich hinten an, zwei flitzen an der Schlange vorbei und suchen einen freien Tisch. Dann kommt einer zurück und holt den Dritten ab. Wohltuend ist, dass man fast überall im Freien frühstücken kann.

Ein zweiter Knackpunkt sind die 16 Bars des Schiffes, die viel Geduld erfordern, selbst wenn man nur ein Mineralwasser möchte. Man muss die Bordkarte gegen ein Handy des Barkeepers halten und die Bestellung unterschreiben. Bis das Getränk dann endlich serviert wird, vergehen zehn, mitunter auch 20 Minuten. Abgesehen von diesen Engpässen kommen sich die vielen Gäste kaum in die Quere, denn das Freizeitangebot ist kaum zu überschauen. Da gibt es Launches und Läden, eine Kunstgalerie und Außensportanlagen. Henrik stählt seine Muskeln im Fitnessclub, Philip verbringt Stunden um Stunden im Beachclub, einer gigantischen Wassersportanlage. In einem großen TV-Studio und im dreistöckigen Theatrium finden fast den ganzen Tag und besonders abends Spiele und Shows statt.

Henrik und Philip finden schnell Freunde, und wir sehen uns meist nur zu den Mahlzeiten. An die Absprachen, zu welchem Zeitpunkt sie abends zurück in der Kabine sein müssen, halten sie sich gewissenhaft. Bis ich eines Nachts wach werde und sehe, dass Henrik nicht neben mir liegt. Es ist 4.30 Uhr, ich ziehe mich an und mache mich auf, den jungen Mann zu suchen. Die AIDA cosma wirkt wie ein Geisterschiff. Alle Gänge und Plätze sind hell erleuchtet, aber verlassen. Nur ab und zu grüßt jemand von der Besatzung. Aber Henrik ist wie vom Erdboden verschwunden. Nach einer Stunde gebe ich auf und kontaktiere den Wachhabenden an der Rezeption. »Ich gehe davon aus, dass der junge Mann noch an Bord ist …«, sagt der, was mich nicht wirklich beruhigt. Er schickt mich zurück in die Kabine: »Wir suchen den Knaben!« Kaum bin ich dort, trifft Henrik ein, eskortiert von einem Crewmitglied. Er wurde vom Suchtrupp auf einem Deck gefunden, wo er mit einer Clique den Sonnenaufgang genießen wollte. »Ich habe die Zeit vergessen«, sagt er zerknirscht. »Da hab’ ich Mist gebaut, Opa, es tut mir leid, dass du dir Sorgen gemacht hast.« Die sind jetzt verflogen, also Schwamm drüber. Schließlich haben wir noch ein paar gemeinsame Tage und Nächte Kreuzfahrt vor uns.

Der Autor und seine Enkel wurden von der Reederei zu einer Testreise auf der AIDAcosma eingeladen. Die Route führte von Mallorca eine Woche lang durchs westliche Mittelmeer.