»Der Hörsaal ist besetzt«

Studierende protestieren für Erhalt der Geschlechtergeschichte an der Universität Jena

  • Ulrike Wagener
  • Lesedauer: 4 Min.
Rund 150 Studierende haben einen Hörsaal an der Universität Jena besetzt, um für den Erhalt der Geschlechtergeschichte zu protestieren.
Rund 150 Studierende haben einen Hörsaal an der Universität Jena besetzt, um für den Erhalt der Geschlechtergeschichte zu protestieren.

Studierende der Universität Jena haben am Mittwoch einen Hörsaal der Universität Jena besetzt. Sie protestieren für den Erhalt der Professur Geschlechtergeschichte. Im Juli hatte der Fakultätsrat der philosophischen Fakultät beschlossen, den Lehrstuhl nach Emeritierung der bisherigen Inhaberin Gisela Mettele 2025 nicht neu zu besetzen, sondern in einen Lehrstuhl für Digital Humanities (digitale Geisteswissenschaften) umzuwidmen. Das Fach wäre somit gestrichen. Studierende fordern den Erhalt des Lehrstuhls, der bei den Studierenden anhaltendes Interesse hervorrufe. Der Forschungsbereich Geschlechtergeschichte führt das Geschlecht als zentrale Analysekategorie an den jeweiligen historischen Gegenstand heran und erlaubt somit eine geschlechterspezifische Analyse historischer Ereignisse. Laut den Organisator*innen fanden sich am Mittwoch rund 200 Studierende und Unterstützer*innen zu einer Kundgebung und einem Vortrag zur Geschichte des Lehrstuhls zusammen. Am Donnerstag ging es weiter mit Plenum, Besetzungs-Yoga, Küfa und Filmscreening. »Die Universität bewegt sich keinen Zentimeter. Wir besetzen nun den Hörsaal, damit sie uns nicht länger ignorieren kann!«, sagt Anna, Teilnehmerin der Besetzung.

Laut den Organisator*innen hat der Dekan der philosophischen Fakultät ihnen ein Gesprächsangebot gemacht, eine offizielle Reaktion der Universität hat es nicht gegeben. Die Universität schrieb am Mittwoch auf Twitter: »Der Hörsaal ist besetzt und kann daher derzeit nicht für Lehrveranstaltungen genutzt werden. Uni-Präsident Walter Rosenthal, der Dekan der Philosophischen Fakultät Christoph Demmerling und der Kanzler Thoralf Held waren vor Ort und haben ein Gespräch angeboten.«

Im Vorfeld hatten die Studierenden bereits eine Petition gestartet, in der sie den Fakultätsrat aufforderten, seine Entscheidung zu überdenken. Rund 2700 Menschen haben unterzeichnet. Dort heißt es, die Abschaffung der Geschlechtergeschichte stehe »im Widerspruch zur öffentlichen Positionierung der Universität Jena für die Themen ›Geschlechtergerechtigkeit‹ und ›Vielfalt‹« und sei ein »fatales Signal angesichts eines sich auf politischer Ebene vollziehenden Rechtsrucks«. Der Thüringer Landtag hat Mitte November mit Stimmen der AfD einen Antrag der CDU beschlossen, der Behörden des Landes künftig das generische Maskulinum vorschreiben und andere Formen des Genderns verbieten soll. Auf ihrer Website fordert die Thüringer AfD den »sofortigen Förderstopp für die sogenannten ›Gender Studies‹ an Hochschulen und Universitäten«.

Auch dieser politischen Gemengelage wollen die Studierenden etwas entgegensetzen. Der Lehrstuhl an der Universität Jena ist der einzige in Deutschland, der dezidiert der Geschlechtergeschichte gewidmet ist. »Geschlecht, Sexualität und andere Dimensionen der Ungleichheit sind auch in der Gegenwart viel diskutierte Fragen. Der Lehrstuhl hilft dabei, diese (manchmal zu kurzschlüssigen) Debatten historisch einzuordnen«, heißt es in der Petition. Die Besetzer*innen kritisieren außerdem die aus ihrer Sicht intransparente Entscheidungsfindung und kurzfristige Verkündung des Fakultätsrats. Man habe erst einen Tag vorher erfahren, dass auf der Sitzung im Juli darüber abgestimmt werden sollte, welche Professur für die Verstetigung der Juniorprofessur für Digital Humanities weichen sollte. Offenbar habe man zuvor in Hinterzimmern über die Streichung der Geschlechtergeschichte entschieden, kritisiert auch die bisherige Lehrstuhlinhaberin Mettele im Gespräch mit »nd«: »Ich finde es schwierig, wenn ein Papier, das eigentlich eine Diskussion über Strukturentscheidungen der Universität erst eröffnen sollte, gewissermaßen schon beschlossene Sache ist.« Zur Disposition gestanden hatte außerdem der Lehrstuhl Mittellatein. Mettele kritisiert, dass damit die beiden Studiengänge gegeneinander ausgespielt würden und eine »solidarische Lösung« schnell vom Tisch gewesen sei. »Es ist ein Ding, dass die Uni für ihre Zukunft Mittellatein wichtiger findet als Geschlechtergeschichte«, so Mettele.

Die Strukturkommission, die mit der Frage betraut worden war, begründete die Empfehlung damit, die Geschlechtergeschichte habe seit den 80er Jahren keine neuen Erkenntnisse hervorgebracht. Und die Universitätsleitung versucht zu beschwichtigen, indem sie betont, Gender-Themen seien Querschnittsthemen, die auch in anderen Fächern gelehrt würden. Die Studierenden sehen das anders und hoffen nun auf eine Revision der Entscheidung durch den neuen Fakultätsrat. Die Frage steht am 13. Dezember auf der Tagesordnung. 

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