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Andries Noppert: Mit Fantasie zum »Kulthelden«

Der ungewöhnliche Weg des niederländischen Torhüters auf die größte Fußballbühne der Welt

  • Daniel Theweleit, Doha
  • Lesedauer: 4 Min.
Unkonventionelle Bereicherung: Andries Noppert lässt Oranje jubeln.
Unkonventionelle Bereicherung: Andries Noppert lässt Oranje jubeln.

Es gab schon einmal eine Zeit, da war Andries Noppert erfüllt von dem Traum, der gerade konkrete Formen annimmt. Wie viele kleine Jungs habe er sich als Kind der schönen Fantasie hingegeben, einmal den goldenen WM-Pokal in den Nachthimmel zu heben, erzählt der 28-jährige Torhüter der niederländischen Nationalmannschaft vor dem Viertelfinale an diesem Freitag gegen Argentinien. Dann ergänzt er mit ernster Miene: »Aber wenn Sie meine Karriere sehen, werden Sie wissen, dass ich diesen Traum längst aufgegeben hatte.« 

Noppert hatte bis zu dieser WM weder ein Länderspiel noch eine Europapokalpartie absolviert. Zwischen 2019 und 2022 war er mehrfach vereinslos, spielte in der zweiten italienischen Liga bei Calcio Foggia und beim unterklassigen Verein Go Ahead Eagles in Holland, saß oft auf der Bank. In Italien sagte man, dieser Keeper rauche und trinke zu viel. Die Eltern rieten ihm dazu, sich als Polizist ausbilden zu lassen. Die Sache mit dem Profisport schien keine Perspektive zu haben. Nun begegnet Noppert auf der größtmöglichen Fußballbühne Lionel Messi und sagt über den Weltstar: »Er ist das gleiche wie wir. Er ist auch ein Mensch.«

Noppert sitzt in einem Zelt auf dem Gelände der Qatar University, im Hintergrund sind die Rufe eines Muezzins zu hören. Gemeinsam mit dem Kapitän Virgil van Dijk beantwortet er die Fragen der Journalisten vor dem großen Duell. Und der berühmte van Dijk scheint seinem Kollegen ebenso neugierig zuzuhören wie die Journalisten. Beispielsweise sagt der 2,03 Meter große Torhüter: »Es gibt nur einen Bondscoach, der mich hierher bringen konnte: Das ist unser Bondscoach.«

Tatsächlich ist es kaum vorstellbar, dass ein rational und konventionell agierender Nationaltrainer wie Hansi Flick plötzlich einen Spieler mit einer so brüchigen Biografie zu einer tragenden Säule seines WM-Teams macht. Als Favorit zwischen den Pfosten galt bis einen Tag vor der ersten Partie der Rotterdamer Justin Bijlow. Louis van Gaal stellte Noppert vom SC Heerenveen auf. Beim 2:0 gegen den Senegal glänzte dieser mit 15 Paraden, und van Gaal sagte: »Ich spreche gerne über die Fantasie, das hilft den Spielern. Und heute hat die Imagination ihm geholfen.«

Noppert ist auch eine Bereicherung, weil unkonventionelle Typen so einer Profigruppe guttun können. Deshalb fühlt er sich dem Bondcoach besonders verbunden, die beiden teilen das Schicksal, als etwas schräge Charaktere zu gelten. Er erkenne sich selbst in dem sehr selbstbewussten und sehr eigenwilligen Trainer wieder, sagt der Torhüter. Auch van Gaal sieht Ähnlichkeiten: Noppert habe »einen sehr offenen Charakter, er ist ziemlich direkt und nimmt kein Blatt vor den Mund«. 

Eigenwillig ist van Gaals Entschluss allemal, einen Mann ins Tor zu stellen, der nur die Erfahrung aus 32 Erstligapartien mitbringt. Dahinter verbirgt sich auch ein Torwartproblem, unter dem der niederländische Fußball schon länger leidet. Diese Schwäche schreibt eine wunderbare WM-Geschichte. Die Zeitung »De Volkskrant« sieht in Noppert das Potenzial für einen »Kulthelden« und meint, »die Menschen lieben seine Authentizität«. Ob der Torwart tatsächlich so gut mit dem Druck eines WM-Viertelfinales fertig wird, wie er behauptet, muss sich erst noch zeigen. Von den 90 000 Menschen im Stadion von Lusail werden 85 000 für Argentinien sein. Dass diese Partie ein Klassiker des Weltfußballs ist, interessiert Noppert auch nicht: »Jedes Spiel ist gleich: Ich stehe im Tor und muss Bälle fangen.«

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